»I.. ist a… alles in Ordnung mi… mit Ihnen? Fehlt ihnen etwas?« Sie bückte sich über Frank. Dabei verrutschte ihre Brille.
»Ich muss nach Mountains End… Mountains End… Bitte… Hilf mir…«, stöhnte Frank in seinem Delirium. Panik brach bei der jungen Fahrerin aus. Ihre Blicke schweiften nervös über den an ihnen vorbeirasenden Verkehr. Es erschien ihr in diesem Moment als das Beste, sie und ihren Patienten weg von der Straße zu bringen. Weshalb sie Frank mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft aufhalf und ihn auf die Rückbank ihres Gremlins legte. Aus Angst von einem Auto erfasst zu werden, stieg sie über die Beifahrertür ein und kletterte auf den Fahrersitz. Als sie den Wagen startete und anfuhr vollführte der Wagen einen ruckartigen Sprung und starb ab. Sie startete den Wagen erneut und brachte ihn mit einem Ruckeln zum Rollen. Tränen rannen ihr über die Wangen. Hätte sie Schminke getragen, wäre sie jetzt verschmiert.
Frank war inzwischen wieder weggetreten - und in die Traumwelt eingetreten. Er schlief…
Frank saß an seinem Schreibtisch. Diesem Designermodell. Er lass die Überschrift des grünen Formulars das er in seinen Händen hielt. Grün. Grün waren die weniger brisanten Fälle. Die Unwichtigen, bei denen die Chancen auf einen Betrug eher gering waren. Oder solche bei denen es sich nur um einen geringen Betrag und somit um einen geringen Verlust für die Firma handelte.
»Steinschlag… Frontscheibe…«, murmelte Frank während seine Augen über die Zeilen huschten. Er legte das Formular auf seine Schreibtischunterlage, die einen Sandstrand, das Meer und Palmen zeigte. Es war eines dieser Motive, welche man normalerweise auf Puzzles findet.
Er nahm einen Schluck von dem kalten Kaffee und rückte seinen Hefter neben dem Schreibgestell zurecht. Frank lies seinen Blick über den Schreibtisch und schließlich durch das ganze Büro wandern. Über die Berge von Akten, den Schränken voll Akten und all den anderen losen Unterlagen, die sich sogar am Boden auftürmten. Doch seine hohe Stellung hatte auch sein Gutes. Er hatte zum Beispiel sein eigenes Büro. Die meisten Mitarbeiter mussten in irgendwelchen Boxen in riesigen Räumen ausharren. Wie Pferde werden sie da hinein gepfercht. Auch seine Karriere hatte in so einer Box begonnen.
Frank erstarrte als das Telefon klingelte. Als er sich vom Schreck erholt hatte, sah er auf das Display des Telefons. Der Schriftzug Home blinkte darauf. Seine Frau rief an. Schließlich nahm er den Hörer ab und meldete sich mit einem freundlichen: »Hallo Sarah.«
»Hi, Frank. Ich wollte dir nur sagen das ich die Ramleys heute zum Essen eingeladen habe. Sie kommen so gegen Acht.«
»Okay, Schatz«, antwortete Frank mit einer inzwischen gespielten Freundlichkeit. Er konnte die Ramleys nicht leiden. Er hasste Mr. Ramleys verdammte Angleranekdoten und seine verzweifelten Versuche humorvoll zu wirken. Und diese ewig nörgelnde Mrs. Ramley. Immer und an verdammt noch mal allem hat sie etwas auszusetzen. Außer sie erzählt von ihrer scheiß Teddybärsammlung.
»Kannst du mir bitte noch einen halben Liter Sahne vom Laden mitbringen, Frankie?«
Frank richtete seine Augen auf die Wanduhr. Gleich Zwölf. Mittagspause. Schließlich antwortete er mit seiner freundlichsten Stimme: »Natürlich Schatz. Okay, ich muss Schluss machen. Ich habe noch eine Menge Arbeit vor mir, wenn ich heute Abend rechtzeitig zu Hause sein will. Bis dann, ich liebe dich.« Mit diesen Worten legte Frank den Hörer auf und verließ sein Büro. Er durchquerte den Raum mit den Boxen und betätigte am anderen Ende dieses trostlosen Raumes den Knopf für den Lift. Mit dem gewohnten BING öffneten sich nach einer Weile die Türen des überfüllten Lifts. Frank betrachtete die Menschenmenge und schielte verunsichert auf das Aluschild mit dem zugelassenen Maximalgewicht. Mit einem Seufzer betrat er den Lift und die Türen schlossen sich.
Die Luft war erfüllt von einem Gemisch aus Parfum, Aftershave und Schweiß. Die Fahrt runter in die Cafeteria schien heute eine Ewigkeit zu dauern. Irgendwann zwischen dem 15. und 14. Stockwerk vernahm Frank ein seltsames Geräusch. Es klang wie ein immer näher kommendes Hupen. Er fasste sich an die Ohren um sich zu vergewissern ob mit seinen Hörorganen etwas nicht stimmte. Die Menschen um ihn herum warfen Frank kritische Blicke zu. Das Hupen wurde immer lauter, bis es schließlich alle anderen Geräusche verschluckte. Nur übertroffen von dem Dröhnen in seinem Schädel. Das Monster war zurückgekehrt. Alle Erinnerungen außerhalb seiner Traumwelt kehrten ebenfalls zurück. Seine Sicht verschwamm erneut und…
…er wurde von dem Hupen des vorbeibrausenden Trucks geweckt. Das grelle Tageslicht blendete ihn. Die nachträglich montierte Uhr am Armaturenbrett zeigte zwei nach Zwölf Uhr Mittags.
»Hi«, begrüßte ihn die Fahrerin zu seiner Rückkehr in die reale Welt, »sie hatten wohl keine Gute Nacht. Sie haben die ganze Zeit zusammenhang-loses Zeug geredet.«
»Na ja. Von einer guten Nacht kann nicht die Rede sein. Ich war… ich war zurück. Sogar die Uhrzeit stimmte…«
»Wo von sprechen sie?«
Frank richtete sich langsam – dies schien der Beginn des fast endgültigen, unumgänglichen Endes seines bisherigen Lebens zu sein - auf der Rückbank des Gremlins auf, bevor er antwortete: »Egal. Wo sind wir?« Die Fahrerin drehte sich zu ihm um und er konnte das erste Mal das Gesicht seiner Retterin sehen. Sie war kaum älter als sechzehn und fuhr wahrscheinlich erst seit kurzem Auto. Sie hatte strähniges, dunkles Haar und auf ihrer Nase saß eine Brille, dessen Bügel sie hinter ihre leicht abstehenden Ohren geklemmt hatte. Doch im Gesamten hatte sie ein sympathisches, hübsches und freundliches Gesicht. Mit einem breiten Grinsen entgegnete sie ihm: »Zuerst möchte ich ihren Namen wissen. Schließlich darf man nicht mit Fremden reden.«
»Frank. Mein Name ist Frank«, antwortete Frank und fuhr nach einer kurzen Pause fort, »aber Fremde auf der Straße auflesen findest du intelligenter?«
»Alicia.« Mit diesen Worten und einem noch breiteren Grinsen streckte sie ihm die Hand hin. Frank schüttelte sie zögernd.
»Wir befinden uns zehn Meilen hinter der kalifornischen Bundesgrenze. Sie haben gesagt, dass sie nach Mountains End wollen. Stimmt’s?
»Ähm… ja. Genau.«
»Ich glaube, in Colorado gibt es so einen Ort. Ich glaube wir haben in der Schule etwas darüber gelernt. Irgendwas über eine riesige Umwelt-katastrophe, oder so.“ Als hätte sie damit gerechnet, dass Frank etwas dazu sagen würde, machte sie eine kurze Pause. Doch Frank schwieg und Alicia fuhr schließlich fort: „Ich fahre nur bis Las Vegas. Aber bis dort können sie mitfahren.«
»Aber nur wenn sie mir ihre Geschichte erzählen«, fügte Alicia an. Frank ignorierte ihren letzten Satz und beugte sich zwischen den zerrissenen Sitzen nach vorne. Er vernahm den unappetitlichen Geschmack von abgestandenem Rauch.
»Hast du eine Zigarette für mich?«
»Aber klar.« Alicia griff zu den Zigaretten auf dem Beifahrersitz und bot ihm das Päckchen an.
»Nimm dir eine.« Frank griff nach der Schachtel und zog sich eine Zigarette aus dem Päckchen. Alicia hatte bereits den Zigarettenanzünder betätigt.
»Gibst du mir auch eine? Ich muss mich aufs Fahren konzentrieren. Steck sie mir bitte gleich an« Er steckte sich beide Zigaretten in den Mund und lehnte sich weiter nach vorne zu dem Anzünder. Als beide Zigaretten brannten, reichte er eine davon Alicia und verstaute den Anzünder an dem vorgesehenen Platz.
»Weißt du was?« brach Alicia das Schweigen. »Ich werde beim nächsten Motel halt machen. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren. Vorhin haben wir ein Schild passiert das ein Motel ankündigt hatte. Wir müssen noch ein paar Meilen fahren. Aber ich glaube wir sind bald da.«
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