Dieses unerträgliche Dröhnen in seinem Schädel war vollständig zurückgekehrt. Mit einer derart unerträglichen Intensität das Frank schlecht wurde. Er kämpfte damit, nicht über dem Tisch zusammenzubrechen. Die ganze Welt um ihn begann sich zu drehen. Es zog und drückte in seinem Schädel. Sein Gehirn schien derart anzuschwellen, als würde im nächsten Moment sein Schädel bersten und es heraus quellen. Sein Atem war schwer. Die übrigen Restaurantgäste begannen auf Frank aufmerksam zu werden und fingen an zu tuscheln. Entsetzte und erschrockene Blicke streiften ihn. Frank klammerte sich an der Tischplatte fest, als ihn seine Kräfte verließen und er drohte von seinem Stuhl zu rutschen. Unter dem Mantel des Dröhnens verschwamm seine Sicht bis zur Unkenntlichkeit. Die Geräusche um ihn gingen in ein mechanisches Geräusch über, weit entfernt von der Realität. Und genau so fühlte er sich, weit ab von jeglicher, gewohnter Realität.
Frank wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte. Doch es konnte nicht sehr lange gewesen sein. Ansonsten wären wahrscheinlich längst irgendwelche Sanitäter und Polizeibeamte um ihn versammelt. Für Frank hatte dieser Moment eine Ewigkeit gedauert.
Das Schlimmste war vorbei. Es hatten sich keine Sanitäter eingefunden als er wieder zu sich kam. Die halbe Belegschaft des Restaurants und diverse Gäste hatten sich jedoch um ihn versammelt.
»Sir? Sir… Ich habe den Krankenwagen gerufen. Ge… Geht es ihnen gut?« stotterte die völlig verängstigte Bedienung und beugte sich über ihn. Im Hintergrund stritten sich lauthals eine andere Bedienung und der Restaurantmanager. Der Manager befürchtete dass etwas am Essen nicht in Ordnung war. Die Angst vor einer Klage von Franks Seite ließ ihn hysterisch umher schreien. Frank registrierte nichts von all dem. Er raffte sich auf und kämpfte sich hinter dem Tisch hervor. Die Bedienung die über ihn gebückt war um ihm irgendwelche hysterischen Sachen wie Bewegen sie sich besser nicht. Bleiben sie so… in seine Ohren zu schreien, stolperte nach hinten als sich Frank erhob. Er versuchte sich durch die Menge der Leute zu wühlen.
»Bitte bleiben sie sitzen. Sir. Ich glaube sie sollten sich erst von den Sanitätern untersuchen lassen. Der Krankenwagen wird gleich hier sein…«
Frank hatte seit er wieder zu sich gekommen noch nichts gesagt. Und er beließ es auch dabei. Wortlos torkelte er benommen aus Jacks Diner. Und danach folgte ein klaffendes, schwarzes Loch. Erst Stunden später, sollte er wieder zu sich kommen…
Stille… Es herrschte Stille… Kein Dröhnen… Kein Stimmengewirr… kein einziges, weltliches Geräusch… Frank begann mit dieser unsäglich entspannenden Stille zu experimentieren. Er versuchte in sich hinein zu horchen. Er versuchte seine Organe zu hören – zu hören wie sein Herz Blut pumpte. Wie der Darm begann die Spiegeleier und den Speck zu verdauen… War sein Körper überhaupt vorhanden? Einbildung…? Befindet sich mein Geist überhaupt noch in meinem Körper? Wo bin ich…? … … Bin ich… tot? Er fühlte sich frei… schwerelos… Vielleicht höre ich das Pumpen meiner Lungen… Frank vernahm Atemgeräusche. Seine Atemgeräusche. Sein Körper war also noch da. Er war nicht tot. Wie in einem Traum, nachdem man feststellt das man träumt, wachte Frank sofort auf. Er konnte den entfernten Klang von Hupen und anderem Straßenlärm wahrnehmen. Der vertraute Geruch einer Großstadt erfüllte langsam seine Nase. Sein Rücken schmerzte. Seine Hände fühlten einen harten Untergrund. Er schien sich auf rauem Beton zu befinden. Erst jetzt schaltete er auch seine letzten Sinne wieder ein. Vorsichtig öffnete Frank seine Augen. Sie schmerzten. Doch das Wichtigste war, dass die Schmerzen aus seinem Schädel verschwunden waren. Das Dröhnen hatte sich endlich zurückgezogen. Das Monster hatte sich wieder in seiner Höhle verkrochen.
In seinem Mund machte sich ein metallischer Geschmack breit. Er fasste unter seine Nase und fühlte eingetrocknetes Blut. Nasenbluten… Sein Orientierungssinn kehrte langsam zurück. Er begriff wieder wo Oben und Unten war. Das Körpergefühl war ebenso wieder vollends zurückgekehrt.
Frank saß in irgendeiner Nebenstraße auf dem Bürgersteig, an eine Wand gelehnt. Irgendwo in L.A…. Es war Nacht. Wahrscheinlich späte Nacht… Steh auf… Seine Hände tasteten nach irgendeiner Kante wo er sich festhalten konnte um sich zu erheben. Er umklammerte eine Fensterbank und benötigte alle verfügbare Kraft um sich aufzurichten. Eine Weile lehnte er sich gegen die Fassade und genoss den Halt, der ihm die Wand bot. Bis er schließlich alle Kraft und allen Mut zusammen nahm und damit begann einen Schritt vor den Anderen zu setzen. Mit jedem Schritt schien das Laufen einfacher zu fallen. Als hätte er Tage lang so dagesessen und wäre bloß etwas eingerostet. Schritt für Schritt bewegte er sich vorwärts, vielleicht etwas zittrig auf den Beinen. Doch erfüllte es ihn mit einer Art Stolz so schnell wieder laufen gelernt zu haben. Doch wohin gehe ich…? Wo bin ich? Wie lange war ich weg? Und was ist passiert?? Ich ging aus dem Restaurant und bin dann hier aufgewacht…
Zähflüssig rannen…
Dienstag
…die Erinnerungen an die Ereignisse im Restaurant, aus den Tiefen seines Unterbewusstseins, zurück in das bewusste Denken. Der Zeitungsbericht erschien wie ein verwackeltes Polaroid Foto vor seinem geistigen Auge. Mountains… Er musste nach Mountains End.
Eine zerbrochene Flasche, über die Frank beinahe gestolpert wäre, holte ihn wieder aus dem Nebel seiner Gedanken. Frank versuchte sich auf seine Füße zu konzentrieren, die noch nicht immer das taten, was sie sollten. Doch ein blitzartiger Schwall aus losen Gedanken durchflog sein Bewusstsein. Wie komme ich nach Mountains End… Wo steht der Wagen… sollte ich ins Krankenhaus…? Was geschieht hier…? ”What the hell, I´m doing here?” ...wie Count Flat einmal sang.
Frank steckte seine Hände geistesabwesend in die Hosentaschen. Wo ist meine Brieftasche? Meine Schlüssel? Irgend so ein Affe muss mich beraubt haben, während ich ohnmächtig dalag… Mit der Brieftasche waren auch alle seine Ausweise verschwunden. Alles was hätte beweisen können das er Frank Marshall war. Alles was Frank in seinen Taschen fand war der Zeitungsausschnitt.
Wo verdammt noch mal habe ich meinen Wagen abgestellt…? Man sollte in einer Stadt wie L.A. nicht seinen Wagen verlieren…
Als wäre er plötzlich von einer Macht erleuchtet worden, als hätte Frank in diesem Moment eine Antwort auf alle Fragen dieses Universums erhalten, blieb Frank Marshall stehen. Er riss die Augen so weit auf wie er konnte und atmete die kühle Nachtluft mit einer Intensität ein, als hätte er seit Jahren keinen solch ehrlichen, richtigen Zug Sauerstoff eingeatmet… Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen. Er wusste was zu tun war.
Frank irrte durch die unwirklichen Straßen. Der verzerrte Lärm des Verkehrs wurde immer lauter. Nach einer Weile wandelte sich die Nebenstraße zu einer Art Hauptstraße. Der Lärm, die vielen Autos… Eindrücke… Zu viele Eindrücke… Schwirren… Drehen… …Dröhnen… …das hektische Treiben schien ihn zu erdrücken. Fast hätte ihn eine weitere Benommenheit in ihren Mantel eingehüllt. Die Autos und ihre Scheinwerfer schienen bloß weiße und rote Linien zu sein. Der Lärm des Verkehrs schien zu einem einzigen Geräusch zu verschmelzen. Instinktiv torkelte er an den Straßenrand. Verzerrt… Von weit her… schienen die hupenden Autos GEH WEG zu schreien. Ein alter, grüner Gremlin kam mit unerträglichem Quietschen direkt hinter Frank zum Stehen.
»Oh mein Gott. Sind sie verrückt? Sie können sich doch nicht einfach auf die Straße legen«, schrie die aus dem Fahrzeug gesprungene Fahrerin des Gremlins. Doch ihre Hysterie ging vom ersten Schock in eine große Unsicherheit über.
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