1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 »Freut mich sie kennenzulernen«, entgegnete Stan, der Trucker schließlich. »Aber jetzt kommen sie, ich muss los.« Mit diesen Worten ging Stan um seinen Truck und schloss die Fahrertür auf. Mit einem lauten Ächzen öffnete er die große, königsblaue Tür. Er kletterte gewannt – viel zu gewannt für einen wahrscheinlich achtzigjährigen – in seinen Truck und bückte sich zur Beifahrertür. Diese öffnete sich mit einem noch kläglicheren Knarren. Frank kletterte ungeschickt in den Truck. Als sein rechter Fuß bereits festen Halt im Cockpit fand und der andere Fuß noch auf dem obersten Trittbrett verweilte, rutschte der linke Fuß ab. Stan der Trucker bekam Frank gerade noch am Kragen seines verunstalteten Hemdes zu fassen und verhinderte so einen schmerzhaften Absturz. Frank keuchte und formulierte ein knappes Danke. Er ließ sich mit einem langen, befreienden Seufzer auf das Sitzpolster fallen. Sitzpolster… Der ganze riesige Beifahrersitz – natürlich genau so der Fahrersitz – war mit einem Kuhüberzug bespannt. Die verdammten Überzüge waren mit einem Kuhfellmuster versehen…
Der Truck setzte sich mit lautem Getöse in Bewegung. Dabei wirbelte er so viel Staub auf, dass die Sicht gleich Null war. Doch irgendwie schaffte es Stan der Trucker die alte Marylin mit einer surrealen Leichtigkeit aus dem Parkplatz hinaus zu manövrieren. An der Ausfahrt waren alte, kaum lesbare Schilder angebracht. Das eine zeigte nach Los Angeles, das andere war mit den Lettern Las Vegas beschrieben. Stan der Trucker setzte den Blinker und brauste in Richtung Las Vegas auf die Straße. Um die unbehagliche Stille die herrschte seit Stan der Trucker losgefahren war zu durchbrechen, stellte Stan das Radio an. Es waren gerade noch die letzten dreißig Sekunden von Johnny Cashs Hymne Ring Of Fire zu hören, als ein eine Art Howdy-Schrei aus den Lautsprechern drang. Der wahrscheinlich komplett wahnsinnige Moderator – Frank war sich sicher, dass der Moderator einen Strohhut und blaue Latzhosen trug – trug einen Lobgesang auf Johnny Cash vor und stellte den nächsten Song vor. Der großartige Klassiker The Monkey and the Engenier – in Franks Ohren ein grauenhaft fröhliches Countrygedudel - folgte auf die Ansage des Moderators. Frank hatte mit dem Gedanken gespielt, das Radio rauszureißen und aus dem Fenster zu werfen. Doch er entschied sich für eine banale Frage: »Ha… Haben sie eine Zigarette?« Dieses sagenhaft irrsinnige Strahlen erschien wieder auf dem Gesicht von Stan dem Trucker.
»Im Handschuhfach sollte noch ’ne alte Packung Chesterfield liegen«, antwortete er schließlich. Wortlos öffnete Frank das Handschuhfach und wühlte in dem Gerümpel aus Straßenkarten, leeren Flaschen, Kleingeld, Handschuhen, einer metallenen Dose, Schlüssel, einer Leimdose, Werkzeug, Klebeband, Staub und Tabakkrümmeln nach den Zigaretten. Er fand schließlich eine vergilbte, zerknitterte Packung Chesterfield Filter. Gerade als Frank nach einem Streichholz Fragen wollte, musste Stan der Trucker einen seiner Starkraucher-Hustenanfälle herauskotzen. Frank verzog den Mund und ließ die Zigarette zurück in die Packung gleiten. Stan der Trucker setzte wieder sein Irrsinns-Strahlen auf.
»Wissen sie, mein Sohn«, begann er – wieso mein Sohn, wieso MEIN SOHN – »Ich war mal genauso ein Tunichtgut wie sie.« Tunichtgut? Schließlich fuhr Stan der Trucker fort: »Ich war mal das, was man einen richtigen Kettenraucher nennt.« AHA! »Deshalb kotze ich mir manchmal fasst die Seele aus dem Leib. Wissen sie, mein Sohn - … - meine Frau hat mich oft genug darum gebeten, Gott habe sie selig, das ich endlich mit diesen verdammten Seelenräubern aufhöre. Weißt du, mein Sohn«, – Ich bin nicht dein verdammter Sohn – »so hat sie… Also die Zigaretten. Seelenräuber, so hat sie meine süße Norma immer genannt.« Mit diesen Worten setzte er wieder sein Irrsinns-Stahlen auf. Doch dieses Mal schimmerte eine unendliche, nie ganz verarbeitete Trauer in seinem Strahlen mit. Seine stillen Tränen, die er in diesem Moment vergoss, waren fast zu sehen. Diese Mischung aus Trauer und einem arglosen, breiten Grinsen, ließen sein Strahlen tatsächlich noch irrsinniger aussehen.
Das Strahlen verschwand so schnell, wie es gekommen war. Stan der Trucker setzte eine besorgte Miene auf und meinte mit ernster Stimme: »Mein Sohn, mit Zwölf habe ich meine erste Zigarette geraucht. Ich hatte Sie meinem Vater geklaut. Damals wurde mir echt Übel davon.«
Frank glaubte für einen kurzen Moment sein Strahlen aufblitzen zu sehen. Doch dann fuhr Stan der Trucker mit noch ernsterer Stimme fort: »Ich habe 55 Jahre gebraucht um mit diesen Dingern aufzuhören. Als Norma an dem verdammten Raubtier, an Krebs starb, sagte ich mir jetzt ist Schluss. Und ich sage dir mein Sohn, man sollte aufhören, so lange man noch jung ist. Man sollte aufhören, bevor diese verdammten Seelenräuber den ganzen Körper vergiftet haben. Ansonsten werden sie gewinnen, wird das Raubtier gewinnen. Und letzten Endes wird es dich auffressen.« Frank zündete sich mit den Streichhölzern, die er inzwischen in dem Handschuhfach gefunden hatte eine Zigarette an. Sie schmeckte bitter… Alt. Jetzt begriff Frank, dass diese Zigaretten wahrscheinlich seit fünf Jahren in diesem Handschuhfach lagen. So wie fast jeder ehemalige Raucher irgendwo eine Packung für den Notfall aufbewahrte.
»Wie bitte? Es tut mir Leid. Ich war gerade in Gedanken. Haben sie was gesagt?« Frank hoffte, wenn er vorspielte nicht zugehört zu haben, dass Stan das Thema wechseln würde. Er wollte nicht darüber reden. Er war Raucher. Ein Raucher, der große Schwierigkeiten damit hatte, es auf die Reihe zu kriegen mit dem Rauchen aufzuhören. Ein Raucher, der jedoch große Angst vor dem Krebs hatte. Dieses Thema war ihm unangenehm. Er wollte nicht darüber reden.
Stan der Trucker starrte ihn einen Moment lang mit offenem Mund an, entschied sich aber es dabei zu belassen: »Ach vergessen sie was ich gesagt habe. Ist nicht wichtig«, – es wahr ihm sehr wichtig – »bei einem 72 Jährigen«, - 72 Jahre! – »senilen Trucker kommt sowieso selten was Schlaues aus seinem Mund.« Mit diesen Worten setzte Stan der Trucker sein gutes, altes Irrsinnsgrinsen auf.
»Woher kommen Sie?«
»Aus L.A.«
»Und was führt sie in einen so gottverlassenen Ort wie Mountains End?«
»Geschäftliches.«
»Was sind sie den von Beruf?«
Frank stellte überrascht fest, dass er sich anstrengen musste um sich an seinen alten Job in der Versicherung zu erinnern. Wie hieß die Agentur noch mal…? Der Versuch sich an sein früheres Leben zu erinnern bereitete ihm dröhnende Kopfschmerzen. Dröhnen… Das Dröhnen ist wieder da. Das Monster ist zurück gekehrt…
Rein technisch gesehen war er momentan sowieso arbeitslos. Schließlich konnte sich in seiner alten Firma niemand mehr an ihn erinnern…
»Sir… Mister Krieger…«
»Nenn mich Stan, mein Sohn.«
»Ok, Stan«, – der Trucker – »ich bin sehr Müde«, – Nein, mein Schädel dröhnt, dröhnt, drööööhnt… - »und ich möchte etwas schlafen. Können wir dieses Gespräch auf später verlegen?«
»Aber natürlich mein Sohn. Ich wünsche angenehme Träume.«
Wieso muss ich nach Mountains End? Wieso weiß ich dass ich nach Mountains End muss…? Was werde ich dort vorfinden…? Vielleicht mich selbst…? Mit diesen Gedanken fiel Frank langsam in eine Art Schlaf…
Frank gähnte. Er bog mit seinem Saab Kabriolett in die Einfahrt ein und drückte auf den Garagenöffner. Wie so selten öffnete sich das Tor und gab den Blick auf eine spärlich beleuchtete Tiefgarage frei. Frank ließ den Wagen die Einfahrt herunterrollen und stellte ihn auf den mit seinem Wagenkennzeichen beschrifteten Parkplatz. Als er ausstieg tropfte ihm Regenwasser vom geschlossenen Verdeck auf den Kopf. Draußen schüttete es in Strömen, was für L.A. eher selten war. Er betrat den kurzen Gang der zur Treppe hinauf in seine Wohnung führte. Sie befand sich im ersten Stock. Wie jeden Tag stieg er die genau dreißig – er hatte die Stufen einmal als er sturzbetrunken von einer außerordentlichen Sitzung nach Hause kam gezählt – Stufen zu seiner Wohnung hinauf und kramte vor der Eingangstür nach seinen Schlüsseln. Sarah verschloss wegen ihrer großen Angst vor Einbrechern, selbst wenn sie zu Hause war, die Wohnungstüre. In ihrer Kindheit waren Einbrecher in ihr Elternhaus eingestiegen, als sie alleine zu Hause gewesen war und oben schlief. Dieses traumatische Erlebnis hatte sie bis Heute nie vollständig verarbeitet.
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