Andreas Marti - Sieben Tage

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Das Buch nimmt den Leser mit auf die psychedelische und spannende Reise von Frank Marshall – auf der Suche nach seinem Leben und seinem eigenen Verstand – die ihn schliesslich in den kleinen Ort Mountains End führt, wo mit einem Kampf um Gut und Böse über sein Schicksal entschieden wird.
Der Beginn des fast endgültigen, unumgänglichen Endes der Geschichte. Er fühlte sich irgendwie benommen… Jeder einzelne Gedanke dröhnte in seinem Schädel. Die Tatsache dass es sich bei diesem Dröhnen in Wirklichkeit um unerträgliche Kopfschmerzen handelte, sollte ihm wohl nie bewusst werden. Dafür war er zu weit von der fühlbaren Realität entfernt. Man könnte seinen jetzigen Zustand am besten mit dem ausklingen eines Trips, sechs Uhr Morgens, nach einem Jefferson Airplane Konzert vergleichen. Vielleicht auch wie auf dem Höhepunkt eines Trips… Schließlich hatte sein Gehirn diese unerträglichen Schmerzen zu einem Dröhnen umgewandelt. Wäre er ein wenig klarer im Kopf gewesen hätte er sich wohl darüber Gedanken gemacht, ob ihm die Schmerzen oder das Dröhnen lieber wären. Er hätte sich eher für die Schmerzen, als für das komplett wahnsinnig machende Dröhnen… Wahnsinnig werden… Wahnsinn…

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»Die Zeit…« murmelte Frank, »die Zeit ist die selbe…«

»Wie bitte?«

»Ach nichts.«

Als würden zwei Geschichten, zwei Leben zur selben Zeit ablaufen. Und beide Geschichten haben ein und denselben Hauptdarsteller… Mich.

Eine Weile herrschte wieder Schweigen. Franks Verstand war inzwischen wieder imstande, sich auf alltägliche Gedanken und Sorgen zu konzentrieren. Er beobachtete eine Zeitlang unauffällig Stan den Trucker. Er war wirklich alt – verflucht alt. Eigentlich zu alt um Tag für Tag einen tonnenschweren Laster über die Landstraßen zu jagen. Doch Frank machte sich dies bezüglich keine Sorgen. Wenn man etwas nur oft genug machte, konnte man es schließlich selbst im Schlaf machen. Eigentlich fast egal in welchem Zustand man sich befand. Gewisse Schemas prägt sich der Verstand ein und geschehen mit der Zeit automatisch - fast unbewusst. Das war einer der Gründe weshalb Frank sich keine Sorgen machte, dass Stan der Trucker plötzlich die Kontrolle über seine Marylin verlieren könnte. Ein anderer war der, dass Frank in seinem Leben gelernt hatte, alte Menschen – das Alter selbst – nicht zu unterschätzen. Ein Fehler, den viele Menschen leider machten.

Frank fragte sich plötzlich was Stan der Trucker im Hänger seines Lasters gebunkert hatte. Wie sah seine Lieferung aus? Vielleicht hatte er kistenweise DVD-Player geladen. Es hätten jedoch genau so gut Zigaretten oder eine Ladung Dope sein können… Er entschied sich diesen Gedanken rasch zu verwerfen und Stan den Trucker direkt nach der Ladung zu fragen: »Kann ich sie mal was Fragen?«

»Aber natürlich, mein Sohn. Ich kann nur nicht versprechen, dass ich auch eine Antwort auf ihre Frage habe«, antwortete Stan der Trucker mit einem breiten Grinsen. Frank überlegte sich, ob Stan der Trucker nicht längst eine Brille tragen müsste. War er bloß zu eitel, oder hatte er das Glück, dass seine Augen auch in diesem hohen Alter noch gesund waren? Doch er verwarf auch diesen Gedanken und stellte schließlich seine Frage: »Was haben sie eigentlich geladen?«

»Was habe ich geladen?« stellte Stan als Gegenfrage. Frank sah ihn verblüfft an. Er öffnete den Mund und formulierte nach einer kurzen Pause eine lustlose Antwort: »Keine Ahnung. Würde ansonsten nicht Fragen… Vielleicht… irgendwelchen Elektronikschrott?«

Anstatt einer ausformulierten Antwort strahlte Stan der Trucker über das ganze Gesicht. Die tiefen Falten bildeten sich wieder und Stan der Trucker sah schlagartig wieder uralt aus. Doch es war nicht dasselbe Grinsen wie letztes Mal. Es war ein schleierhaftes, geheimnisvolles Grinsen. Frank entschied, es dabei zu belassen und nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Vielleicht entsprach es irgendeinem Lastwagenfahrer-Ehrenkodex, einem dilettantischen Fremden – Frank – nicht zu verraten was man für eine Ladung mit sich führte. Jedenfalls war es manchmal einfach klug, den Mund zu halten.

Frank schaute für eine lange Zeit aus dem Fenster und beobachtete wie sich in der jetzt bald völligen Dunkelheit die vorbeisausende Landschaft allmählich veränderte. Es waren nicht mehr einfach nur karge Wüste, Kakteen und Felsformationen in der Ferne zu sehen. Die Landschaft die sich ihm darbot wurde grüner. Pflanzen wurden in ihrer Zahl und in ihrer Vielfalt größer. Sie näherten sich eindeutig Mountains End…

In der Zwischenzeit war es Acht Uhr Dreißig und völlig Dunkel geworden. Im Moment wurde die Straße nur von den Scheinwerfern der alten Marylin und dem schwachen Licht des sichelförmigen Mondes beleuchtet. Am Horizont sah er spärliche Lichter auftauchen. Frank hielt es zuerst für ein entgegenkommendes Fahrzeug. Doch als es langsam näher kam dachte Frank: Vielleicht ein kleines Kaff, vielleicht aber auch eine Tankstelle oder so.

»Ich werde bald eine Pause einlegen. Ich will etwas essen und mich etwa für eine Stunde aufs Ohr hauen«, zerschnitt Stan der Trucker die Stille. Frank öffnete seinen Mund und wollte etwas sagen, doch Stan beachtete ihn nicht und sprach weiter: »Als ich vor über einer Stunde sagte, dass wir in fünf Stunden in Mountains End ankämen habe ich eine Pause wie diese eingerechnet. Keine Sorge.« Diesmal nickte Frank stumm. »Ich habe einen Bärenhunger. Und sie sollten auch was essen«, fuhr Stan der Trucker fort.

Frank rang mit den Worten und sagte schließlich: »Ich habe kein Geld… Mei… Meine Brieftasche ist im Wagen bei meiner Frau liegen geblieben.«

»Ach, machen sie sich keine Sorgen. Ich spendiere Ihnen was. Dafür sind nette Menschen wie ich doch da, Steve«, schwärmte Stan und drehte sich mit seinem berühmten Irrsinns-Strahlen zu Frank und blickte ihm direkt in die Augen. Frank wunderte sich, dass Stan der Trucker trotz dieses krampfhaften Strahlens sprechen konnte. Doch Stan konnte es und hängte, während er Frank weiter direkt in die Augen sah und wie ein Irrsinniger grinste, einen letzten Satz an: »Dafür sind nette Menschen wie ich doch da!«

Frank verspürte das erste Mal ein gewisses Maß an Unbehagen gegenüber dem guten, alten Stan. Stan, dem – leicht irrsinnigen – Trucker.

Irritiert setzte sich Frank aufrecht hin und sah durch die Frontscheibe die Lichter näher kommen. Jetzt konnte er das charakteristische Dach und die grelle Beleuchtung erkennen und stellte mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass es sich tatsächlich um eine Tankstelle handelte. Sie war jetzt noch etwa eine Meile entfernt.

»Dort werde ich meine Pause machen«, sagte Stan der leicht irrsinnige Trucker und zeigte mit seinem Finger geradeaus durch die Frontscheibe.

Der Laster bog mit einem zufriedenen Zischen in die Einfahrt der Tankstelle ein. Stan lenkte den Truck hinter das an der Tankstelle angebaute Gebäude, auf den LKW-Parkplatz. Die Anhängerkupplung ließ ein angestrengtes Quietschen verlauten, als der Truck schließlich zum Stillstand kam. Stan drehte den Zündschlüssel, und der Motor ging begleitet von einem Stottern aus. Er faltete seine Hände auf seinen Oberschenkeln und drehte sich zu Frank.

»Machen sie das Handschuhfach auf und nehmen sie sich einen Zwanziger aus der Metalldose«, bat Stan Frank. Frank tat wie geheißen und bedankte sich höflich.

»Ach, machen sie sich keinen Kopf deswegen. Dafür sind ne…«

»…sind nette Menschen wie sie doch da. Ich weiß«, unterbrach Frank Stan.

Stan schenkte ihm ein missbilligendes Lächeln und öffnete die Fahrertür. Frank machte es ihm nach; beide stiegen aus und setzten fast gleichzeitig auf dem festen Boden auf. Stan streckte seine Arme aus und gähnte herzhaft. Franks Beine fühlten sich schwer an.

»Kommen sie, gehen wir was essen«, forderte ihn Stan auf. Franks Magen meldete sich mit einem Knurren. Jetzt wurde ihm bewusst, dass er seit heute Morgen nichts mehr gegessen hatte.

Stan der Trucker ließ seine alte Marylin auf dem Parkplatz, zwischen den wenigen anderen Lastern zurück. Als sie an den Zapfsäulen vorbeigingen, blitzte in Franks Kopf die Erinnerung daran auf, wie er heute Mittag die Cola Flasche mitgehen ließ. Der Gedanke blieb jedoch nicht lange genug, als dass ihn Frank hätte fassen können.

Sie erreichten das Hauptgebäude der Raststätte, indem ein Restaurant und ein Shop untergebracht waren. Das Diner war wie Jacks Diner in L.A. im Stil der 50er Jahre gestaltet. Doch an Jacks Diner konnte sich Frank nicht mehr erinnern. Überhaupt fiel es Frank zunehmend schwerer sich an sein altes Leben zu erinnern. Die Erinnerungen wurden wie weggewischt – verdrängt. Nach jedem seiner Anfälle; jedes Mal wenn sein Schädel wieder anfing zu dröhnen, wurde ein weiterer Teil aus seinem Verstand eliminiert. An Sarah und alles was mit ihr zusammenhing konnte er sich einwandfrei erinnern. Doch hätte Frank in diesem Moment keinen einzigen der Namen seiner Freunde nennen können. Er bräuchte ebenfalls kurze Bedenkzeit, wenn er sich an den Namen seines Vaters erinnern müsste. Diese Tatsachen waren ihm zu diesem Zeitpunkt alles andere als bewusst. Sein Verstand arbeitete im Moment auf einer völlig anderen Ebene. Andere Erinnerungen – fremde Erinnerungen – drängten sich allmählich in seinen Verstand. Auch dieser Tatsache war sich Frank nicht bewusst. Sein Unterbewusstsein kämpfte gegen diesen Prozess an; schob den neuen Erinnerungen eine Barriere vor. Was bis jetzt recht gut klappte. Doch wie lange noch?

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