Andreas Marti - Sieben Tage

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Das Buch nimmt den Leser mit auf die psychedelische und spannende Reise von Frank Marshall – auf der Suche nach seinem Leben und seinem eigenen Verstand – die ihn schliesslich in den kleinen Ort Mountains End führt, wo mit einem Kampf um Gut und Böse über sein Schicksal entschieden wird.
Der Beginn des fast endgültigen, unumgänglichen Endes der Geschichte. Er fühlte sich irgendwie benommen… Jeder einzelne Gedanke dröhnte in seinem Schädel. Die Tatsache dass es sich bei diesem Dröhnen in Wirklichkeit um unerträgliche Kopfschmerzen handelte, sollte ihm wohl nie bewusst werden. Dafür war er zu weit von der fühlbaren Realität entfernt. Man könnte seinen jetzigen Zustand am besten mit dem ausklingen eines Trips, sechs Uhr Morgens, nach einem Jefferson Airplane Konzert vergleichen. Vielleicht auch wie auf dem Höhepunkt eines Trips… Schließlich hatte sein Gehirn diese unerträglichen Schmerzen zu einem Dröhnen umgewandelt. Wäre er ein wenig klarer im Kopf gewesen hätte er sich wohl darüber Gedanken gemacht, ob ihm die Schmerzen oder das Dröhnen lieber wären. Er hätte sich eher für die Schmerzen, als für das komplett wahnsinnig machende Dröhnen… Wahnsinnig werden… Wahnsinn…

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Doch dann lenkten seine Gedanken auf eine andere Sache, auf eine andere Überlegung. Eine, wie er fand, sehr beängstigende Überlegung.

Was wäre, wenn ich mir das alles nur eingebildet habe? Was ist, wenn meine Hausschlüssel nur nicht passten, weil sie verformt waren. Verformt vom vielen Gebrauch. Was, wenn meine Kreditkarten gar nicht, nicht existieren. Was wenn diese eine bloß defekt war; was wenn das Kartensystem nur gerade ein technisches Problem hatte. Wenn die Leitungen vom Kartenleser einen Wackelkontakt hatten. Was, wenn die Empfangsdame in meiner Firma nur meinen Namen falsch geschrieben hatte… Vielleicht sitzt meine Sarah zu Hause. Sitz zu Hause und wartet – auf mich. Krank vor Sorge. Sie weiß ja schließlich nicht, wo ich bin - und wieso ich abgehauen bin… Und wenn ich mich nicht damit beeile zurück nach L.A. zu kommen, ist mein Job ebenfalls gefährdet. Ich muss zurück nach L.A. Ich muss… Ich muss Sarah anrufen.

Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Münzsprechautomat. In einer Art benommenem Wahn kroch Frank zu dem Saab, dessen Fahrertüre immer noch offen stand. Er kramte weggetreten im ganzen Auto nach Kleingeld. Ich muss Sarah anrufen… Schließlich wuselte Frank irgendwie zu dem Telefon. Er hielt sich an dem Kasten fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und steckte die 50 Cent, die er im Wagen gefunden hatte, in den Münzschlitz. Er konnte den Klang der Münzen hören, wie sie am Boden des kleinen, fast leeren Geldspeichers aufschlugen. Er hob den Hörer von der Gabel und begann zu wählen. Als er die Hälfte von Sarahs Nummer – unserer Nummer – eingegeben hatte hielt er kurz inne. Hatte er die richtige Nummer gewählt? Er entschied, dass es die Richtige war und tippte die Zahlenreihe zu ende. Tuuu-t… Tuuu-t… Es klingelte. Sein Herz klopfte – tobte – wie verrückt. Tuuu-t… Tuuu-t… Gab es Menschen die um Zehn Uhr bereits schlafen gingen? Er schaute auf seine Uhr, es war bald halb Elf. Konnte Sarah um diese Zeit schlafen? Tüüü-t… Tüüü-t… Ja. Wahrscheinlich konnte Sarah die letzten drei Tage kaum schlafen. Schließlich war ihr Ehemann – bin ich - spurlos verschwunden. Einen kurzen, schrecklichen Augenblick lang, bildete sich Frank ein, dass er wieder in den Hörer gezogen wurde. Dann hörte er ein Klick und eine verschlafene, weibliche Stimme meldete sich: »Hallo…?« Das ist nicht Sarah… Doch! sagte sein Verstand. Ich habe sie geweckt. Deshalb klingt sie so anders.

»Sarah?« fragte Frank vorsichtig.

»Wer? Nein. Hier ist nicht Sarah«, meldete sich die Stimme am anderen Ende des Telefons wieder. Frank wusste nicht was er sagen sollte und entschied sich für das einzig logische: »Ist Sarah da? Könnten sie sie bitte ans Telefon holen?«

»Es tut mir leid. Ich kenne keine Sarah. Sie müssen sich verwählt haben.«

»Sie lügen«, klagte Frank. Er verspürte wie die Wut wieder in seinen Verstand kroch. Der ganze Körper verkrampfte sich. »Holen sie Sarah ans Telefon. Sagen sie ihr, dass ihr Ehemann am Apparat wäre. Ich…«

»Sir, bitte. Ich kenne Niemanden mit dem Namen Sarah und sie machen mir Angst. Sie haben sich verwählt.« Ihre Angst klang aufrichtig. Das Dröhnen kroch langsam zurück in seinen Kopf. Das Monster pirschte sich langsam durch das Dickicht seines Verstandes an ihn heran. Doch die Wut verflog. Sein Körper entspannte sich. Unsicherheit ersetzte die Wut.

»Aber… Tut mir leid. Au… Auf wiederhören.« Mit diesen Worten legte er auf. Hatte er sich doch verwählt? Tatsächlich verwählt. Nein. Er wusste es besser. Er wünschte sich, dass er sich verwählt hatte. Er wünschte sich, dass alles nur ein böser Traum war, um sich vor der schrecklichen Realität zu drücken. Doch die Realität war schrecklich. Frank hatte wirklich sein ganzes Leben verloren. Und er wusste es. Diese Erkenntnis verstärkte das Dröhnen. Das Monster wurde aggressiver. Jetzt stand Frank da. Er konnte kaum das Gleichgewicht halten, seine Gedanken überschlugen sich. Er musste trotzdem nach Mountains End. Doch die Energie schien aus seinem Körper zu strömen. Er fühlte sich leer. Wie sollte er nach Mountains End gelangen? Der Tank des Wagens war leer. Und selbst wenn er ihn mit den zwanzig Dollar füllen würde. Er würde nicht weit kommen. Nicht weit genug. Er war auch kein Automechaniker. Wie sollte er die Leitungen reparieren? Er wusste gerade mal genug über Autos, um regelmäßig den Ölstand zu überprüfen. Das Dröhnen wurde lauter, und Frank riss sich zusammen um nicht einfach umzukippen. Er erkannte (in seinen Augen erschien ein wahnsinniges Funkeln) das er jetzt nicht aufgeben durfte. In Mountains End würde er die Lösung für alles finden. Sogar das Dröhnen würde aufhören.

Es gab nur die eine Möglichkeit, wie er nach Mountains End gelangte. Er musste den Wagen auftanken und sehen wie weit er kam. Den Rest müsste er vielleicht laufen. Das würde sich ergeben. Aber ein paar Meilen würde er mit diesen 20 Dollar bestimmt schaffen.

Er überquerte die Straße. Sein Blick verharrte auf dem Wagen. Frank hätte ein heranbrausendes Auto weder gehört oder gesehen, noch sonst wie wahrgenommen. Ein unachtsamer Fahrer wäre sein Ende gewesen – aber immerhin ein Ende.

Als sich Frank in den Wagen bücken wollte um die Handbremse zu lösen, stolperte er und schlug sich das Knie auf. Er schrie auf vor Schmerz. Doch um ein schmerzendes Knie konnte er sich jetzt nicht kümmern. Denn er kannte sein primäres Ziel. Er musste den Wagen auftanken.

Er löste die Handbremse und begann den Wagen anzuschieben. Sein Knie protestierte und er knickte ein, wobei er mit dem verwundeten Knie auf dem harten Beton aufschlug. Er kniff die Augen zusammen und unterdrückte einen weiteren Schrei. Er rappelte sich wieder auf die Beine und machte sich erneut ans Werk. Einen Augenblick lang, glaubte Frank wieder einzubrechen, doch dann setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Mit einer Hand am Lenkrad lotste er den Saab möglichst nahe an die Zapfsäule heran. Als das geschafft war, setzte er sich für einen kurzen Moment auf den Fahrersitz und ließ die Schmerzen geschehen. Geistesabwesend, betätigte er den Knopf für die Tankklappe. Dann setzte er seine Arbeit mit vorsichtigen Schritten fort und humpelte zum Geldautomaten. Er kramte den zerknitterten 20 Dollarschein aus seiner Gesäßtasche und steckte ihn in den Schlitz. Einen weiteren schrecklichen Augenblick lang glaubte Frank, dass der Automat den Geldschein einfach trotzig wieder ausspucken würde – dass der Schein zu zerknittert war. Doch die Anzeige am Automaten spuckte ein OK aus und wechselte zur Säulenwahl. Frank tippte die Zahlen 0 und 1 auf der Tastatur und ein weiteres OK erschien. Das zufriedene Summen der zum Tanken bereiten Zapfsäule erklang.

Er humpelte zu dem Zapfhahn und führte ihn zu dem Einfüllstutzen. Mit einer Hand schraubte er den Tankdeckel ab und führte anschließend mit der anderen Hand den Zapfhahn in den Tank. Er betätigte den Griff am Hahn und konnte hören, wie die so dringend benötigte Flüssigkeit in den Tank floss. Frank fühlte sich wie ein Junkie, der endlich seinen Schuss bekam.

Nach einer Zeitlang waren die 20 Dollar aufgebraucht, und der Benzinfluss stellte mit einem durchdringenden Klicken ab. Er hängte den Hahn in die Halterung zurück und schraubte den Tankdeckel wieder auf den Tank. Sein Knie fühlte sich jetzt schon viel besser an. Er stieg völlig ruhig in das Auto und drehte den Schlüssel. Das ganze System füllte sich langsam wieder mit Benzin und der Wagen sprang nach einer Weile, ohne Protest an.

Ein irrsinniges Grinsen zauberte sich auf Franks schweißüberströmtes Gesicht. Er gab langsam Gas und rollte gemächlich an den Straßenrand. Frank vollführte einen Blick nach links und nach rechts, und setzte den Blinker. Mit einer nie dagewesenen Ruhe fuhr er auf die Straße, Richtung Mountains End.

Frank war noch etwa eine Stunde von Mountains End entfernt, als die Tankanzeige nahe am roten Bereich war. Bald würde wieder das Warngeräusch des Reservetanks anfangen. Hinter sich zog er immer noch eine Benzinspur nach. Doch das störte Frank nicht. Ein Song der Dire Straits wurde im Radio gespielt und Frank war sich wage bewusst, dass er kurz davor war durchzudrehen. Doch das störte Frank nicht, er war zufrieden und fühlte sich gut.

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