„Sie denken wohl, Sie können mich mit Ihrer Klugscheißerei beeindrucken“ erregte sich Lehmann schon wieder „Codezeilen. Klingt schön kompliziert, aber in Wahrheit schmeißen Sie doch bloß mit Ihrem Halbwissen um sich, um andere zu verunsichern. Aber das Grinsen wird Ihnen bald vergehen. Ah, da kommt der Transporter vom Staatsschutz.“
Ohne große Worte wurden Bergmann und seine Frau in das Fahrzeug gezerrt und jeweils in eine rundum mit Stahlwänden abgeschlossene Zelle gesperrt. Nach einiger Zeit hielt das Auto an, jetzt wurden beide wortlos gepackt und in einem düsteren Gebäude in Zellen eingeschlossen. Vorher hatte man eine Leibesvisitation durchgeführt aber nichts Verdächtiges gefunden, ihnen allerdings etliche Dinge, vor allem die Handys, abgenommen. Niemand kümmerte sich in den folgenden Stunden um sie, erst gegen Abend wurde Ihnen etwas zu essen und zu trinken gebracht. Danach lag Bergmann unruhig auf seinem harten Bett und fragte sich die ganze Nacht durch, was er denn so Schwerwiegendes getan haben sollte. Punkt 6 Uhr wurde er vom Rasseln der Türschlösser geweckt, dann donnerte ein Beamter das Frühstück auf den kleinen Tisch. Frieder Bergmann war nicht in der Lage, vor Nervosität etwas zu sich zu nehmen. Nach endlosen Minuten wurde er geholt und in einen mittelgroßen Raum geführt. Dort musste er vor einem leeren Tisch Platz nehmen, rechts und links von ihm saßen zwei Beamte, die jede seiner Regungen aufmerksam beobachten. Nachts hatte man ihm die Handschellen abgenommen, aber jetzt wieder angelegt. Eine Tür ins seinem Rücken öffnete sich, ein Mann trat an den Tisch heran und nahm gegenüber Bergmann auf einem Stuhl Platz.
„Frieder“ fragte er total verblüfft „was machst du denn hier?“
„Hartmut, Gott sei Dank“ stammelte Bergmann „du musst das alles aufklären, es ist ein einziges großes Missverständnis. Bitte, bitte hilf mir, ich bin am Ende meiner Kräfte und Nerven!“
Bergmann hatte sich als Amtsleiter gern auf diversen Veranstaltungen der haute volée der Stadt herumgedrückt. Erstens gab es immer erlesenes Essen, Getränke der Spitzenklasse und jede Menge scharfer Weiber. Da er ohne Petra dort hin ging (“Das würde dich nur langweilen, ist vor allem Lobbyarbeit mit trockenen Fachgesprächen“) verhielt er sich nicht gerade zurückhaltend. Er kippte ordentlich und stopfte sich mit den Köstlichkeiten voll. Als er leicht angetrunken und mit vollem Bauch vor der Tür eine Zigarette rauchte, kam er mit Hartmut Drechsler ins Gespräch, der ebenfalls eine dampfte.
„Ist sicher ein hartes Brot, mit all diesen Gaunern und Galgenvögeln als Haftrichter umzugehen, oder“ hatte er gefragt.
„Es ist sehr fordernd“ hatte Drechsler bestätigt „sich täglich mit diesem Abschaum beschäftigen zu müssen. Aller zwei Stunden muss ich mir die Hände waschen weil ich das Gefühl habe, mich mit dem Schmutz aus der Gosse besudelt zu haben.“
Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch und setzten ihre Konversation an der Bar fort. Bergmann erlitt infolgedessen einen Filmriss, und musste am nächsten Abend eine fürchterliche Standpauke seiner Frau überstehen.
„Bei uns ist die Bude bis zur letzten Zelle voll“ sagte Drechsler „den Tatbericht konnte ich noch gar nicht lesen. Den komischen Zettel habe ich allerdings schon übersetzen lassen. Harmloses Zeug: „Öffnen Sie das Menü Geräteverwaltung. Wählen Sie „Tastatur“ und so weiter. Ich überfliege den Bericht mal schnell.“
Drechsler las, dann schaute er hoch.
„Alles klar. Herr Bergmann, ich hebe die Haft gegen Sie unverzüglich auf und übergebe den Fall in die Hände der Autobahnpolizei. Von dort wird Ihnen das Strafmaß für Ihre Verkehrsvergehen per Brief mitgeteilt werden. Wachtmeister, sorgen Sie dafür, dass Herr Bergmann seine persönlichen Dinge zurückerhält.“
„Ähm, Hartmut“ sagte Bergmann „Petra sitzt auch noch hier ein.“
„Wachtmeister, gleiches gilt für Frau Petra Bergmann. Beide zu Unrecht inhaftierten Personen sind mit einem Fahrzeug der Dienststelle zu Ihrem Wohnort zu verbringen. Fertigen Sie für Herrn Frieder und Frau Petra Bergmann einen Antrag auf Haftentschädigung aus. Herr Bergmann, der Wachtmeister wird Sie und Ihre Frau jetzt begleiten, und alles Erforderliche veranlassen.“
„Das war der blanke Albtraum“ sagte Frieder Bergmann zu seiner Frau, als sie zu Hause auf dem Sofa saßen „so was möchte ich so schnell nicht wieder erleben.“
„Wir haben es überstanden, Frieder. Und du hast dich ganz wacker gehalten. Dafür hast du dir eine Belohnung verdient.“
„Oh“ freute sich Bergmann „auf ein paar kühle Biere habe ich mich schon die ganzen Stunden gefreut.“
„Du Blödmann, Bier kannst du später trinken. Komm mit ins Schlafzimmer.“
Da der Ministerpräsident nach dem unrühmlichen letalen Abgang von Bergmanns Vorgänger Krauswetter und dessen persönlicher Referentin in Bezug auf die Neubesetzung des Ministerpostens für Arbeit und Soziales sehr unter Druck gestanden hatte war es für Bergmann ein Leichtes gewesen, bestimmte Bedingungen zu diktieren. Neben der Vergütung von 25.000 Euro im Monat, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, 40 Tagen Urlaubsanspruch, üppigen Pensionszusagen, monatlichem Kleidergeld in Höhe von 300 Euro und anderen Annehmlichkeiten war es Frieder Bergmann sehr wichtig gewesen, seine Dienstzeiten zu optimieren. Darunter verstand er vor allem, seine Anwesenheit im Ministerium möglichst knapp zu halten, und „von zu Hause aus“ zu arbeiten, weil so seine Kreativität besser zur Geltung kommen würde, denn in ungestörter Atmosphäre wäre er besonders produktiv. Dies wurde ihm zwei Wochen nach seiner Vereidigung als Minister zugesagt und damit einher ging die Einrichtung eines Arbeitszimmers in seiner Eigentumswohnung, natürlich auf Kosten der Behörde, also des Steuerzahlers. Frieder Bergmann konnte mit einem Betrag von 10.000 Euro frei und ohne Nachweis disponieren und ließ sich bei der Einrichtung des Zimmers nicht lumpen. Edle Büromöbel kombinierte er mit modernster Rechen- und Drucktechnik, und da dafür kaum ein Drittel des Geldes draufging, erwarb er noch zwei Bilder aus der Leipziger Schule in der Hoffnung, dass sich deren Wert über die Zeit hin erheblich erhöhen würde. Der eigentliche Grund für die Einrichtung Bergmanns Homeoffice war aber ein ganz anderer gewesen und hatte mit seinem Job als Minister nur bedingt zu tun. Schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt musste er erkennen, dass er jetzt in Gefilde der Bürokratie vorgestoßen war, wo unter anderem akademische Titel eine große Rolle spielten und er mit seinem Diplom-Verwaltungswirt kaum protzen konnte. Keineswegs konnte man einen direkten Zusammenhang zwischen einem höherwertigen Titel als seinem und der Güte der fachlichen Kompetenz des entsprechenden Titelträgers herstellen, dies wurde Bergmann schon nach den ersten Gesprächen mit den Leitern bestimmter Bereiche schmerzhaft bewusst. Manche der schon älteren Beamten hatten schon vor Jahrzehnten über irgendwelche Themen promoviert, die weder damals noch heute kein Schwein interessierten. Allein durch ihre lange Verweildauer im Ministerium waren die Angestellten aber über die Jahre immer höher aufgestiegen und wer sich an bestimmte Regeln hielt, nicht negativ auffiel und dem Mechanismus der Bürokratie streng folgte, konnte eigentlich nichts falsch machen. Ob so brauchbare Ergebnisse entstanden oder nicht war nicht so sehr ausschlaggebend, entscheidend war die scheinbare Beschäftigung. So richtig wohl hatte sich Bergmann nicht gefühlt, als er einen schon leicht degenerierten Referatsleiter, der von der Materie, die in seinem Verantwortungsbereich zu bearbeiten war, augenscheinlich keine Ahnung hatte, zusätzlich noch als Doktor ansprechen musste. Diese Begegnung war eine Art Schlüsselerlebnis für ihn gewesen und so kam er auf die Sache mit dem Homeoffice, denn für ihn war die Richtung jetzt klar: er musste eine Dissertationsarbeit abliefern. Damit ergab sich die Frage nach dem Thema und dem Betreuer. Frieder Bergmann war nach den Enthüllungen auf Wikiplag sicher, dass er als Funktionsträger besonders unter die Lupe genommen werden würde und es sich keinesfalls leisten konnte, bei dieser Arbeit zu schludern. Wie er das aber neben seinem Amt als Minister alles unter einen Hut bekommen war ihm vollkommen unklar, und so besprach er die Sache mit seiner Frau Petra.
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