Der Mittenbereich umfasst alle Stellungen des mittleren variablen Strichs, die vom Schützen als „Mitte“ bezeichnet werden. Entscheidend für die Einschätzung der Diskriminationsfähigkeit ist ausschließlich die Größe des Mittenbereichs, nicht dessen Übereinstimmung mit der sogenannten objektiven Mitte. Eine Nichtübereinstimmung zwischen subjektiver und objektiver Mitte (Abb. 4: Schützen B und C) kann unabhängig von Richtung und Ausmaß durch eine entsprechende Einstellung der Visiereinrichtung ausgeglichen werden. Trainer, die gelegentlich mit den Waffen ihrer Schützen schießen, kennen die erheblichen Unterschiede, die es hierbei gibt. In unseren Untersuchungen konnten wir belegen, dass zwischen leistungsstarken und weniger leistungsstarken Schützen (bei gleichem Trainingsalter) deutliche Unterschiede im Ausprägungsgrad der Diskriminationsfähigkeit bestehen. Die Trainierbarkeit (Längsschnittuntersuchungen über mehrere Jahre) ist vergleichsweise gering (zum Beispiel im Vergleich zur Konzentrationsfähigkeit), so dass die Vermutung naheliegt, dass es sich bei der optischen Diskriminationsfähigkeit um eine leistungsbestimmende psychische Komponente handelt, die wahrscheinlich nur in geringem Maße kompensierbar ist. In den Flintendisziplinen (Trap/Skeet) ist eine derartig ausgeprägte optische Diskriminationsleitung nicht erforderlich. Dies eröffnet Möglichkeiten für die Umlenkung schießsportbegeisterter Jungen und Mädchen, bei denen sich der Ausprägungsgrad der optischen Diskriminationsfähigkeit als leistungsbegrenzender Faktor erweist, unter der Voraussetzung, dass andere leistungsbestimmende Komponenten entsprechend entwickelt sind. Derartige Umlenkungen haben bereits in mehreren Fällen zu einer erfolgreichen sportlichen Entwicklung geführt.
Für die Überprüfung der optischen Diskriminationsfähigkeit, die im Rahmen der Eignungsauswahl unerlässlich erscheint und auch zum Teil bereits praktiziert wird, sind neben graphischen Vorlagen auch computergestützte Verfahren (Senso-Cotrol, STEPS) einsetzbar, wobei das Beurteilungsmaterial sowohl unspezifisch als auch disziplinspezifisch gestaltet sein kann.
Das Zielbild muss nicht nur exakt, sondern auch schnell erfasst werden.
Bei der Informationsaufnahme im Sportschießen spielt der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle. Der Schütze muss in der Lage sein, in Bruchteilen von Sekunden die Parameter des Zielbildes vollständig und exakt zu erfassen, da das Zielbild aufgrund der gegebenen Instabilität des Systems Schütze/Waffe (besonders in den Pistolendisziplinen und im Stehendanschlag Gewehr) nur kurzfristig sichtbar ist. Da im Sportschießen eine relativ komplexe Beurteilungsleistung gefordert wird, die einzuschätzenden Abweichungen minimal und die dafür zur Verfügung stehende Zeit beschränkt sind, kommt der optischen Auffassungsgeschwindigkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Anhand verschiedener Untersuchungen konnte belegt werden, dass zwischen Schützen unterschiedlichen Leistungsniveaus auch Unterschiede im Ausprägungsgrad der optischen Auffassungsgeschwindigkeit bestehen. Schützen mit geringer optischer Auffassungsgeschwindigkeit haben Schwierigkeiten, plötzlich eintretende Zielbildveränderungen zu erfassen und eine eventuell bereits eingeleitete Schussauslösung nochmals zu unterbrechen. Erst mit dem Brechen des Schusses wird ihnen mitunter bewusst, dass das Zielbild doch nicht gestimmt hat. Zur Überprüfung der optischen Auffassungsgeschwindigkeit eignen sich besonders computergestützte Untersuchungsmethoden, wo spezifisches oder unspezifisches Reizmaterial beliebig kurz (0,3 – 0,7 s) dargeboten werden kann.
Gut gedrückt ist halb gewonnen.
Das Drücken des Abzuges wird von Fachleuten übereinstimmend als ein entscheidendes Element der Schießtechnik angesehen. Als Abschluss der Koordinationsphase Halten - Zielen - Drücken entscheidet die Art und Weise der Betätigung des Abzuges letztlich darüber, ob ein guter Schuss abgegeben wird oder nicht. Das „Vordruck-Nehmen“ sowie die eigentliche Auslösung des Schusses erfordern eine hohe Bewegungs-, Druck- und Kraftempfindlichkeit im Finger (taktil-kinästhetische Sensibilität). Wichtig ist die wohldosierte Krümmungsbewegung des Fingers, die besonders beim Anfänger einer gesonderten Kontrolle und Regulierung bedarf. Dabei handelt es sich um das Unterscheiden mehr oder weniger kontinuierlich aufeinanderfolgender Reize (taktil-kinästhetische Diskrimination), was aufgrund der in der Regel allmählichen Druckerhöhung erschwert ist. Obwohl die taktil-kinästhetische Diskriminationsfähigkeit im Trainingsprozess erheblich verbessert werden kann, zeigt sich auch hier, dass zwischen Schützen gleichen Trainingsalters aber unterschiedlichen Leistungsniveaus Unterschiede bei dieser Wahrnehmungskomponente bestehen.
Spitzenschützen verfügen im Durchschnitt über eine höhere kinästhetische Sensibilität im Abzugsfinger, unter ihnen befindet sich keiner mit einer unterdurchschnittlichen Ausprägung (bezogen auf die Schützenpopulation). Apparative Voraussetzungen, die die Erfassung des Druckverlaufs gestatten, sind sowohl zur Überprüfung als auch zum Training dieser Wahrnehmungskomponente geeignet. Eine grobe Überprüfung ist auch mit Hilfe der sogenannten Gewichtsprobe möglich, wo verschiedene, geringfügig voneinander abweichende, Gewichte zwischen Abzugsfinger und Daumen geprüft und entsprechend geordnet werden müssen.
Die taktil-kinästhetische Sensibilität ist aber nicht nur für das Abzugsverhalten, sondern auch für die Einnahme eines anforderungsgerechten Anschlags, für Korrekturbewegungen mit der Waffe, für die Kontrolle der Stabilität des Systems Schütze/Waffe von entscheidender Bedeutung. Auch wenn der experimentelle Nachweis dafür noch aussteht, belegen Aussagen von Spitzenschützen, die über differenzierte Kenntnisse und Abbilder bezüglich notwendiger optischer und taktil-kinästhetischer Rückmeldungen verfügen, die Bedeutung der Wahrnehmungsfähigkeit für eine optimale Handlungsregulation.
Schützen, die über eine ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit verfügen, können ihren eigenen Zustand sowie auch die äußeren Bedingungen differenzierter und exakter einschätzen und verfügen somit über eine wesentlich bessere Informationsbasis (Orientierungsgrundlage) für die Regulation der sportlichen Tätigkeit.
2.2.2. Reaktionsfähigkeit
Schnell, richtig und exakt reagieren - das ist eine wichtige Anforderung an den Sportschützen. In der älteren Fachliteratur findet man zuweilen die Auffassung, dass schnelles Reagieren vorwiegend in den jagdlichen Disziplinen und im Schnellfeuerschießen erforderlich ist, in anderen Disziplinen (Gewehr, Freie Pistole) dagegen wesentlich geringere Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit gestellt werden. Derartige Vorstellungen sind inzwischen gründlich widerlegt. Die Reaktionsfähigkeit ist in allen Disziplinen des Schießsports leistungsbestimmend. Wir verstehen darunter eine komplexe psychomotorische Leistungsvoraussetzung, die es dem Schützen ermöglicht, auf bestimmte Reize schnell und richtig zu reagieren. Zur Messung der Reaktionen eines Sportlers wird die sogenannte Reaktionszeit erfasst. Das ist die Zeit zwischen dem Beginn des Reizsignals („Zielbild stimmt“) und einer dadurch ausgelösten Reaktion („Schuss auslösen“). Im Sportschießen unterscheidet man im Allgemeinen folgende Reaktionsarten:
❶ Einfache Reaktion
Der Schütze hat die Aufgabe, auf ein bekanntes, plötzlich auftretendes Signal mit einer vorher eindeutig festgelegten Bewegung zu antworten. Einfache Reaktionen finden wir zum Beispiel im Schnellfeuerschießen, wo auf die Scheibendrehung oder das Lichtsignal mit dem Hochführen der Waffe reagiert wird, oder im Skeetschießen, wo auf das Erscheinen der Wurfscheibe zu reagieren ist.
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