Wettkampfvorbereitung und -durchführung
Ein gesondertes Kapitel „Wettkampfvorbereitung“ wurde nach vielen Gesprächen mit Schützen und Trainern aufgenommen, da die adäquate Bündelung unterschiedlicher Trainingsmaßnahmen im Vorfeld des Wettkampfes unabdingbar für die Ausprägung individueller Höchstleistungen ist. Viele der aufgeführten psychologischen Trainingsmaßnahmen sind Bestandteil der langfristigen Wettkampfvorbereitung. Die entscheidende Phase unmittelbar vor einem Wettkampf erfordert aber eine besondere Aufmerksamkeit, werden doch hier die Fehler gemacht, die entscheidend das Wettkampfergebnis beeinflussen. Es kommt darauf an, gemeinsam mit den Schützen eine individuelle Strategie zu erarbeiten, welche in der aktuellen Vorbereitung und Durchführung des Wettkampfes die Berücksichtigung der konkreten Bedingungen und Leistungsvoraussetzungen ermöglicht. Die Vorbereitung am Wettkampftag, die Phase vor dem eigentlichen Wettkampf oder vor dem Finale entscheidet letztlich darüber, ob der Sportler das langfristig im Training erarbeitete Leistungsniveau auch im Wettkampf umsetzen kann.
Psychologische Aspekte der Kampfrichtertätigkeit
Die meisten Trainer und auch viele Schützen (Wurfscheibenschützen in der Regel) sind als Kampfrichter tätig - eine bei der Auflistung der Aufgaben eines Trainers (und auch Sportlers) oft vergessene und auch unterschätzte Facette seiner Tätigkeit. Wenn hier ein gesondertes Kapitel der Arbeit des Kampfrichters und den damit zusammenhängenden psychologischen Problemen gewidmet wird, dann auch deshalb, um diesen wichtigen Bereich des Sportschießens zu würdigen. Was wären wir ohne Kampfrichter? Viele ehemalige Schützen bleiben auch nach ihrer aktiven Zeit als Kampfrichter dem Sportschießen erhalten, viele sind Schützen und Kampfrichter so lange es ihnen möglich ist. Ohne sie wäre die Durchführung und Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Schießbetriebs gar nicht möglich. Die Ausführungen sollen auch dazu beitragen, die Kampfrichter als Förderer der eigenen Leistung zu sehen. Der Kampfrichter gewährleistet nicht nur den reibungslosen und regelgerechten Ablauf eines Wettkampfes, er übernimmt zwangsläufig auch wesentliche Aufgaben bei der Erziehung und Ausbildung unserer Schützen.
Fragen aus der Praxis - Antworten für die Praxis
Das abschließende Kapitel wurde erst nach der Vorstellung oben skizzierter Inhalte dieses Buches konzipiert. Teilnehmer an Trainerweiterbildungen haben in den unterschiedlichsten Veranstaltungen immer wieder konkrete Fragen gestellt, die dann auch in die Aus- und Fortbildung eingeflossen sind. Da viele der angesprochenen Themen immer wiederkehrten, wurde eine Auswahl der disziplinübergreifenden Probleme in diesem Kapitel zusammengefasst, wohl wissend, dass es darüber hinaus noch weitere Fragestellungen gibt, aber auch in der Hoffnung, dass die Ausführungen eine Hilfe bei der Lösung so manchen praktischen Problems sein können.
Wir hoffen, mit den skizzierten Inhalten wesentliche Interessen aller im Schießsport tätigen Schützen und Trainer getroffen zu haben. Uns ist bewusst, dass die vorliegende Broschüre auch Lücken, sowohl im Wissen als auch hinsichtlich einsetzbarer und wirksamer Maßnahmen, offenbart. Hier liegen unsere künftigen Forschungsaufgaben, aber auch Ansatzpunkte, die als Anreiz für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch, verbunden mit der Suche nach Bewältigungsmöglichkeiten dienen könnten. Damit ist gesagt, dass die Ausführungen über die Bedürfnisse der Sportler und Trainer hinaus auch auf eine Förderung und Qualifizierung der psychologischen Arbeit im Schießsport insgesamt gerichtet sind.
2. Leistungsbestimmende psychische Komponenten im Sportschießen
„Praxis ohne Theorie ist blind, Theorie ohne Praxis unfruchtbar“
John Desmond Bernal
2.1. Einige, nicht ganz so theoretische Vorbemerkungen
Spitzenschützen zeichnen sich durch eine besondere geistige Leistungsfähigkeit aus. Diese Aussage lässt sich anhand von Beurteilungen erfahrener Praktiker sowie vieler sportpsychologischer Untersuchungsergebnisse belegen. Zwischen leistungsstarken und weniger leistungsstarken Schützen existieren im körperlichen Bereich (zum Beispiel körperbauliche Merkmale, Kraft) keine oder nur geringfügige Unterschiede, dafür aber bei bestimmten psychischen Leistungsvoraussetzungen deutliche. Es steht außer Zweifel, dass die geistige Leistungsfähigkeit letztlich den Erfolg eines Schützen bestimmt.
Wenn das so ist, kommt es darauf an, im sportlichen Training sowohl die notwendigen körperlichen als auch die geistigen (psychischen) Leistungsvoraussetzungen zu entwickeln. Das kann ein Trainer oder Sportler aber nur, wenn er genau weiß, was eigentlich ausgebildet werden soll. Im sporttechnischen oder athletischen Bereich gibt es da kaum Probleme. Jeder Schütze könnte sofort Eigenschaften (z.B. Kraft, Kondition, sporttechnische Fertigkeiten) und dazugehörige Trainingsmittel aufführen, die zur Ausbildung konkreter sporttechnischer Fertigkeiten oder athletischer Voraussetzungen geeignet sind.
Aber welche psychischen Leistungsvoraussetzungen sollen entwickelt werden? Gibt es dafür bereits bewährte Methoden? In der Fachliteratur finden wir eine verwirrende Vielfalt der Beschreibung verschiedenster psychischer Eigenschaften, deren Bedeutung für das Sportschießen jedoch oftmals nicht ausreichend begründet wird. Einige Beispiele: Mobilisationsfähigkeit, Steigerungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Wahrnehmungstempo, Mut, psychische Stabilität. Diese Reihe ließe sich ohne Schwierigkeiten fortsetzen.
Es existieren Eigenschaftslisten für das Sportschießen mit mehr als 50 sogenannten leistungsbestimmenden oder -beeinflussenden Eigenschaften. Aber wer weiß schon, was sich hinter den Begriffen verbirgt, welche Unterschiede zwischen einzelnen Eigenschaften bestehen und welche schließlich wirklich die wesentlichsten sind. Diese eher vorwissenschaftlichen Eigenschaftszusammenstellungen (oft auch Anforderungsprofile genannt) liefern kaum Informationen. Im Gegenteil, sie tragen zur allgemeinen Verwirrung bei.
Voraussetzung für die Ermittlung der leistungsbestimmenden Eigenschaften ist eine gründliche Analyse der sportlichen Tätigkeit, in unserem Falle der schießsportlichen Disziplinen:
❶ Es steht zunächst die Frage, welche Anforderungen stellt die jeweilige Disziplin an den Schützen? Das werden im Gewehrschießen sicher andere sein als in den Wurfscheiben-Disziplinen. Diese objektiven Leistungsvoraussetzungen existieren unabhängig vom Schützen.
❷ Die zweite Frage ist die nach den subjektiven Leistungsvoraussetzungen. Diese entscheiden letztlich darüber, ob und in welcher Qualität die geforderte sportliche Leistung erbracht werden kann. Verfügt der Schütze zum Beispiel über die notwendige Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit?
❸ Die sportliche Leistung ist immer unter bestimmten Bedingungen zu erbringen. Dabei unterscheiden wir unveränderliche Bedingungen (Regeln/Vorschriften) und veränderliche (Umweltbedingungen: Temperatur, Wind, Lichtverhältnisse). Insbesondere letztere sind bei der Ableitung wichtiger Eigenschaften zu beachten, da diese die Anforderungen entscheidend erhöhen können: Wechselnder Wind stellt höhere Anforderungen an die Konzentration (Gewehr) oder Reaktion (Wurfscheibe).
Die Abbildung 1 verdeutlicht die dreifache Abhängigkeit der sportlichen Leistung, die bei einer umfassenden Tätigkeitsanalyse beachtet werden muss. Es genügt also nicht, am Schreibtisch die logische Ableitung eventuell wichtiger Eigenschaften vorzunehmen, vielmehr ist der Beleg zu erbringen, dass zwischen dem Ausprägungsgrad einer Eigenschaft (ungenügende oder sehr gute Reaktionsfähigkeit) und der sportlichen Leistung ein Zusammenhang besteht.
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