Als die Servicekräfte den nächsten Gang auftrugen erfüllte sofort ein bestialischer Gestand den Raum. Frieder Bergmann ahnte Schlimmes auf sich zukommen und trank noch einen Mao Tai. Sein Trinktempo war deutlich höher als das der Chinesen und anerkennende Blicke streiften ihn.
„Chou Doufu“ sagte der Dolmetscher und Bergmann sah, wie dem Mann buchstäblich das Wasser im Mund zusammen lief „das ist fermentierter Tofu. Meinen Sie nicht auch, dass sein Geruch einzigartig ist?“
„Ja“ presste Bergmann heraus und machte sich über das Gericht her.
In einer Schale lagen in einer Soße zwei bräunliche Stücke des Essens, die so einen ekelerregenden Geruch absonderten, dass Bergmann ein Würgen unterdrücken musste. Er biss mutig in ein abgesäbeltes Stück hinein und musste feststellen, dass der stinkende Tofu gar nicht so übel schmeckte. Wenn nur dieser furchtbare und abstoßende Gestand nicht wäre. Der nächste Mao Tai machte seine Nase noch anfälliger für den üblen Pestilenz Geruch. Schlimmer kann es ja bald nicht mehr werden redete er sich ein.
Er schielte ängstlich auf den nächsten aufgetragenen Gang und erkannte Fleischstücke.
„Peking Ente“ sagte der Dolmetscher.
Frieder Bergmann wähnte sich jetzt bald am Ende des Essens angekommen und machte sich mit Appetit über das ganz hervorragend schmeckende Fleisch her. Sein Magen war jetzt bereits erheblich gefüllt, und ohne, dass er es unterdrücken konnte, entfuhr ihm ein laut rollender und kräftiger Rülpser. Der Vorsitzende schaute ihn lächelnd an und sagte etwas zu dem Dolmetscher.
„Der Vorsitzende freut sich sehr, dass es Ihnen so gut schmeckt“ übersetzte der Dolmetscher.
„Sagen Sie ihm bitte, dass es ein ganz phantastisches Menü ist“ antwortete Bergmann laut schmatzend.
Er prostete Deng Peng Kläng grinsend zu, denn die Mao Tai zeigten jetzt erste Wirkung. Bergmann rechnete noch mit zwei Gängen zur Abrundung des Menüs und ging davon aus, dass es etwas Leichtes sein würde.
Er hatte sich nicht geirrt. Auf seinem Teller lagen zwei Eier, und die würde er locker schaffen. Tatendurstig entfernte er am oberen Teil des Eis die Schale und erstarrte im gleichen Moment. Ihn blickte ein Entenembryo an, bei dem Kopf und Hals vollständig ausgebildet waren, auch Schnabel und Federn und der Körper waren deutlich zu erkennen.
„Schlürfen Sie die Flüssigkeit aus“ raunte ihm der Dolmetscher zu „und dann schälen Sie das Ei komplett. So kommen Sie an das köstliche Fleisch heran. Schnabel und Federn können Sie mitessen.“
Frieder Bergmann riss sich zusammen, schlürfte die salzig schmeckende Flüssigkeit aus und legte den Entenembryo vollständig frei. Alle Blicke der Chinesen waren jetzt auf ihn gerichtet. Bergmann schluckte den Embryo in einem Happen hinunter. Dann machte er sich über das zweite Ei her und erlebte eine schlimme Überraschung. Er schaute auf ein grünlich verfärbtes Eigelb, welches von einer bernsteinfarbenen Masse umschlossen war, das ehemalige Eiweiß.
„Das sind tausendjährige Eier“ sagte der Dolmetscher zu Bergmann, und da alle wieder zu ihm herschauten, löffelte er alles tapfer weg.
Dann trank er noch einen Mao Tai.
Jetzt konnte nur noch die Nachspeise kommen.
Auf dem Teller vor Frieder Bergmann lag eine Frucht, die einen derart intensiven Geruch ausströmte, dass ihm bald übel wurde. Er sah, dass eine fleischige und schmierige Masse wohl das Fruchtfleisch bildete. Den Endspurt schaffe ich auch noch sagte er sich und grub den Löffel in die eigenartige Masse. An seinem Gaumen spürte er einen Geschmack von Walnuss und Vanille, aber dieser wurde von einem zwiebelartigen Geschmacksanteil überlagert. Als er alles aufgegessen hatte rekapitulierte Frieder Bergmann das Menü:
Suppe
Rattenfleisch
Übel stinkenden Tofu
Peking Ente
Entenembryo
Tausendjährige grüne Eier
Durian.
Für heute reichte es ihm, und als er den Mao Tai gekippt hatte musste er abermals laut rülpsen, aber auch achtgeben, dass aus seinem Magen nichts nach oben stieg. Der Vorsitzende erhob sich und auch alle anderen Anwesenden standen auf und applaudierten heftig. Deng Peng Kläng sagte etwas zu dem Dolmetscher.
„Herr Bundeskanzler“ übersetzte der Mann „der Vorsitzende ist beeindruckt wie Sie mitgetafelt haben. Vor Ihnen hat das noch kein anderes Staatsoberhaupt geschafft. Außerdem hat er festgestellt, dass Sie bis jetzt zehn Mao Tai getrunken haben, keiner hat je so viel wie Sie zu sich genommen. Es ist für uns eine große Ehre, einen so standhaften Mann als unseren Gast zu begrüßen.“
Frieder Bergmann ließ noch einen Rülpser hören und erwiderte:
„Herr Vorsitzender, verehrte Anwesende,
Ihr schönes Land bietet viel kulinarische Abwechslung und ich bin zutiefst beeindruckt von der Kreativität Ihrer Küche. Sehen Sie, bei mir zu Hause gibt es immer wieder das Gleiche auf den Teller. Bratwurst und Sauerkraut, Schnitzel mit Bratkartoffeln und wieder Bratwurst und Schnitzel. Hier ist das ganz anders! Lassen Sie uns auf die deutsch-chinesische Freundschaft trinken!“
Frieder Bergmann sprach mit absolut klarer Stimme, aber einige der Chinesen waren schon ziemlich angetrunken. Er war spürbar lauter in dem Raum geworden und Frieder Bergmann vermutete, dass jetzt wohl die härteste Phase der Begegnung beginnen würde.
„Es geht um Deutschland“ hatte Herbert Büchsenschuss stets in der Vorbereitungsphase des Staatsbesuches gesagt und damit das Trinktraining Bergmanns begründet.
Ich werde meinem Vaterland bis zum letzten Tropfen Mao Tai treu dienen nahm sich Frieder Bergmann vor und war fest entschlossen dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Politbüros die in Deutschland heftig umstrittenen Projekte aufs Auge zu drücken. Seine Strategie war denkbar einfach und hieß: die Leute abfüllen, und sie in diesem Zustand zu einer Unterschrift zu bewegen. Bergmann hatte drei Verträge vorbereiten lassen.
Sukzessiver Abriss aller Kernkraftwerke und Entsorgung aller strahlenbelasteten Teile
Einrichtung eines atomaren Endlagers auf chinesischem Territorium für die Entsorgung aus den dann noch weiterlaufenden Kraftwerken
Bau der Nord-Süd-Energietrasse
„Es gibt in Deutschland eine recht archaische Trinksitte“ erklärte er jetzt „das Stiefeltrinken. Ein großes Glas wird mit Bier gefüllt, und dann muss man es in einem Zug austrinken. Wollen wir einen Wettbewerb veranstalten wer der Beste ist?“
Freudiges Raunen schlug ihm entgegen nachdem der Dolmetscher übersetzt hatte.
Bergmann verabschiedete sich noch einmal auf die Toilette, wenn er wieder da war, sollte das Kampftrinken beginnen.
In seinem Bauch grummelten die verschiedenen und sehr unterschiedlichen Speisen. Frieder Bergmann schlug sein Wasser ab und wollte sich die Hände waschen. Er war immer noch in Gedanken an das Rattenfleisch, den stinkenden Tofu und das Entenembryo, als ihn eine plötzliche Übelkeit überkam. Er erbrach sich würgend in das Waschbecken, und dieses füllte sich mit den noch nicht vollständig verdauten Speiseresten. Mit fliegenden Händen ließ er Wasser ein, verrührte den übel riechenden Brei, und konnte die Stücke dann durch den Abfluss pressen. Als er damit fertig war verließ er eilig den Sanitärbereich und traf im Gang auf zwei albern kichernde und torkelnde Mitglieder des Politbüros.
Der Vorsitzende hatte mittlerweile die entsprechenden Trinkgefäße heranbringen lassen. Die gut einen halben Liter fassenden Gläser wurden nach Bergmanns Eintreffen dann Rand hoch mit Bier gefüllt. Frieder Bergmann fühlte sich nach der Magenentleerung wieder aufnahmebereit. Auf ein Zeichen des Dolmetschers setzten die Männer die Gläser an. Man hörte nur lautes Schlucken und als erster setzte Bergmann das leere Glas ab. Auch die zweite Runde ging an ihn. Jetzt beschloss er den finalen Schlag zu landen. Er winkte einen Kellner heran und ließ durch den Dolmetscher ausrichten, dass er gern ein Sektglas haben würde. Alle schauten zu ihm hin. Bergmann ließ übersetzen, dass das Sektglas bis oben hin mit Mao Tai gefüllt werden sollte. Die Chinesen tuschelten aufgeregt miteinander, dann bestellten sie die gleiche Ladung.
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