„Quatsch. Du reist in 10 Tagen ab. Bis dahin trainierst du und trinkst die Schlitzaugen dann locker unter den Tisch. Vorher musst du denen aber die problematischen Projekte schmackhaft machen. Übrigens: es wird Mao Tai geben, den kennst du ja schon.“
„Oh ja“ antwortete Bergmann aufstöhnend „der hat fast 60 Prozent und haut mächtig rein.“
„Na eben“ erwiderte Büchsenschuss „du wirst dich doch nicht von diesen mickrigen Chinesen schlagen lassen. Du fängst heute Abend 19 Uhr mit der ersten Flasche an. Die Fahrbereitschaft hat sie bereits in deine Wohnung gebracht. Ich rufe dich dann aller Stunden an und teste dein Reaktionsvermögen. Alles klar?“
„Ja, aber was soll ich denn meiner Frau sagen?“
„Die Wahrheit. Noch einmal: es geht um Deutschland!“
„Ich verstehe ja durchaus, dass zu deinen dienstlichen Aufgaben auch mal ein Umtrunk gehören wird“ sagte Petra Bergmann am Abend zu ihrem Mann „aber das, was du vorhast, geht aus medizinischer Sicht eindeutig zu weit!“
„Was will ich denn machen“ antwortete Bergmann und goss sich das zweite Glas Mao Tai ein „es geht um deutsche Interessen. Die sind nun mal ein höheres Gut als meine Leber. Außerdem schmeckt der Mao Tai gar nicht schlecht. Willst du mal probieren?“
„Niemals.“
„Na gut. Das würde den Test ja auch verfälschen. Es ist jetzt kurz vor 20 Uhr, Herbert wird gleich anrufen.“
Petra Bergmann ging zum Nachtdienst im Krankenhaus.
Punkt 20 Uhr meldete sich Büchsenschuss an Bergmanns Kryptohandy.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Bestens.“
„Wie ist die Quadratwurzel aus 144.“
„12.“
„Wie nennt man einen Ausdruck wie „ein weißer Schimmel“?“
„Eine Tautologie.“
„Okay. Bis in einer Stunde wieder.“
Frieder Bergmann hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht und trank den nächsten Mao Tai. Gar nicht übel das Zeug dachte er sich und verfolgte eine Sendung über gepanschten Alkohol in der Türkei. Warum die sich dort immer so die Rübe vollhauen fragte er sich verständnislos und nahm den nächsten Mao Tai zu sich. Das Telefon klingelte um 21 Uhr wieder.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Bestens.“
„Wann steht ein Fußballspieler im Abseits?“
„Wenn er zum Zeitpunkt der Ballabgabe hinter dem letzten Spieler der gegnerischen Mannschaft steht.“
„Kinetische Energie ist?“
„Ähm, ähm, hat irgendwas mit Masse zu tun. Du, Herbert, ich war in Physik nicht so gut.“
„Okay, bis in einer Stunde.“
Bergmann nuckelte an seinem Mao Tai und geriet jetzt in leicht euphorische Stimmung. Im Fernsehen lief eine Reportage über Organtransplantationen. Die Schnapsflasche war zu einem Viertel leer. Unscharfes Bild heute dachte sich Bergmann und nahm einen weiteren Schnaps. Muss ich mal den Fernsehmonteur bestellen, so geht das doch nicht. Ich drücke hier fast 50 Euro im Monat für die Flatrate ab und dann verschwimmen auch noch die Bilder. Ach ja, fiel ihm ein, die Internetinitiative muss ich ja auch noch anschieben. Ich gehe jetzt gleich mal die Downloadgeschwindigkeit testen nahm er sich vor und erhob sich. Dabei kam er etwas aus dem Gleichgewicht und lief in leichten Schlängellinien und vor sich hin kichernd in sein Arbeitszimmer. Als der Computer hochgefahren war startete er einen DSL Speed Test. Das Ergebnis war: 2,5 Mbit pro Sekunde. Bergmann schaute fassungslos auf den Monitor. Man hatte ihm aber eine Geschwindigkeit von 25 Mbit pro Sekunde verkauft! Vor Wut über das miese Ergebnis ging er ins Wohnzimmer zurück und trank noch einen Mao Tai. Im Fernsehen wurde gerade gezeigt, wie eine Leber transplantiert wurde. Bergmann kippte den nächsten Schnaps hinunter und erregte sich wieder über das schlechte Bild. Die haben wohl versucht einen Stereoeffekt einzubauen vermutete er, denn ihm kam es so vor, als würden sich zwei identische Bilder immer wieder überlagern, und dann das obere mal nach rechts, und dann nach links wegrutschen. Auch das klappt in Deutschland nicht sagte er sich verbittert, große Fresse von wegen technologisch führend, aber nicht mal in der Lage, eine vernünftige Internetgeschwindigkeit und einigermaßen passablen Fernsehempfang hinzukriegen. Gleich morgen lasse ich mir diese Pfeifen von BRABBEL Deutschland kommen und mache die rund. Wenn das schon hier in der Stadt nicht klappt, wie soll das erst in den Dörfern zugehen. Frieder Bergmanns Frust stieg immer mehr an, denn der Fernseher zeigte jetzt nicht bloß zwei, sondern vier sich immer wieder überlagernde Bilder. Die Mao Tai Flasche war halb leer. Um 22 Uhr klingelte das Telefon.
„Wie ist die Lage Frieder?“
„Ich will morgen den Betriebsdirektor, ähm, den Parteisekretär, ähm, den Chef von BRABBEL Deutschland sprechen Herbert. Stell‘ dir vor, ähm, Fern.. Fernseher zeigt vier Bilder. Un Internet geht viel zu lahm, ähm, zu langsam.“
„Wieviel ist 16 mal 3?“
„167.“
„Okay Frieder. Schluss für heute. Gute Nacht.“
Frieder Bergmann hatte etwas Mühe den Fernseher auszuschalten, dann nahm er noch einen letzten Mao Tai und wankte ins Schlafzimmer. Warum er seinen Schlafanzug nicht angezogen hatte konnte er sich am nächsten Morgen nicht erklären.
Gegen 9 Uhr saß Bergmann mit mächtigen Kopfschmerzen an seinem Schreibtisch.
„Machen Sie dem Chef erst mal einen Kamillentee“ befahl Herbert Büchsenschuss einer Sekretärin „er hatte gestern eine bis in die Nacht andauernde und anstrengende Beratung.“
Als die Frau gegangen war fragte er:
„Wieviel?“
„Was, wieviel?“
„Wieviel Schnaps?“
„Ne halbe Flasche.“
„Na bitte. Du hast dich noch einigermaßen verständlich geäußert. Bis es nach China geht bist du trainiert genug, um die Typen dort unter den Tisch zu trinken.“
„Herbert, ich hab‘ Kopfschmerzen. Wenn ich heute wieder so viel schlucken soll wird es mir morgen nicht anders gehen.“
„Doch, es wird dir anders gehen. Nach und nach wirst du dich daran gewöhnen.“
„Muss das wirklich sein, Herbert?“
„Es geht um Deutschland!“
„Okay. Was liegt heute an?“
„In einer Stunde kommt der Vorstandsvorsitzende von BRABBEL Deutschland. Du wolltest ja dringend mit ihm reden.“
„Ähm, was wollte ich gleich mit dem besprechen?“
„Du hast etwas von schlechtem Fernsehempfang und lahmer Internetverbindung gesagt.“
„Ach ja, stimmt. Was die bieten ist eine totale Mogelpackung. Den mache ich rund!“
„Sie müssen das so verstehen Herr Bundeskanzler“ sagte der in einen teuren Anzug gekleidete Mann „es heißt im Vertrag eindeutig „bis zu 25 Mbit“. Das bedeutet also, dass wir unter günstigen Bedingungen schon mal in Einzelfällen die 25 Mbit schaffen. Oft kommt das zwar nicht vor, aber manchmal klappt es doch.“
„Dann liegt der Schluss nahe“ erwiderte der von furchtbaren Kopfschmerzen geplagte Frieder Bergmann „dass wir mit unserer Internetinitiative gar nicht vorankommen und Sie Ihre Kunden, also auch mich, bewusst täuschen. “
„Keineswegs“ lächelte der Mann zurück „wenn Sie sagen würden, bis 2018 werden wir die Arbeitslosenzahlen „bis zu“ 30 Prozent senken, heißt das doch auch nichts anderes. Wenn Sie 10 Prozent schaffen liegen Sie doch durchaus richtig, aber auch wenn es nur 1 Prozent ist haben Sie nicht die Unwahrheit gesagt.“
„Wie bitte“ fuhr Bergmann hoch „Sie unterstellen mir, dass ich die Unwahrheit sagen würde?“
„Natürlich nicht“ erwiderte sein Gesprächspartner lässig „aber sehen Sie doch, wir beide sind Verkäufer. Bei Ihnen geht es um manchmal unpopuläre politische Entscheidungen. Ich drehe den Leuten Produkte an, die nicht das bringen, was angepriesen wird. Wenn einer der Kunden aufmuckt lassen wir den in unseren Hotlines verhungern. „Stellt euch blöd“ sage ich meinen Leuten immer wieder. Nehmt immer wieder die Daten und die Beschwerden dieser Störenfriede erneut auf, auch wenn die das euch schon x-mal mitgeteilt haben. Wenn einer ausrastet, weil er meinetwegen schon fünfmal angerufen hat und nicht weiterkommt, dann freut euch zwar, dass er jetzt die Nerven verloren hat, aber bleibt höflich und locker. Jetzt habt ihr ihn nämlich genau dort, wo er hinsollte. Verstehen Sie? Jetzt hat selbst der letzte der renitenten Kunden begriffen, dass er bei uns nicht durchkommt. Alle haben natürlich Verträge mit einer langen Kündigungsfrist. Ich sehe das immer wieder mit Freude vor meinem geistigen Auge, wie die wütenden Leute dann hektisch ihre Vertragsunterlagen durchsehen und verblüfft feststellen müssen, dass Sie mindestens zwei Jahre gar nicht zu einem anderen Anbieter wechseln können. Das finde ich total witzig! Die meisten geben dann auf und resignieren. Die paar, die dann noch weiter rumstänkern wollen werden an besonders geschulte Mitarbeiter verwiesen, die ihnen mit irgendwelchen unverständlichen technischen Begriffen klar machen, dass sie eigentlich viel zu blöd sind, um die Hintergründe unserer komplexen technischen Leistung überhaupt zu begreifen. Ihnen wird dann versprochen, dass sich die Leistung verbessern wird, aber das ist nur Propaganda. Manche dieser Typen sind wirklich hartnäckig und denken, dass sie mit einer Klage Erfolg haben. Aber unsere Verträge sind wasserdicht. Kein Einziger der Kläger hat jemals Erfolg gehabt, und das wird sich auch nicht ändern, solange ich der Chef bin“ beschloss der Mann stolz seinen Vortrag.
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