»Wenn Ihr Euch nicht ganz dumm anstellt, werdet Ihr Euch schon für eine gewisse Zeit einfinden.« Rochefort hob die Schultern, als wären alle Bedenken belanglos und mit einer einfachen Geste abgetan. »Es soll nur für ein paar Wochen sein, genug Zeit, um Eure Qualitäten erneut zu beweisen. Jede Schwierigkeit und jede Verachtung werdet Ihr für ein größeres Ziel aushalten müssen. Womöglich seid sogar Ihr in der Lage, einmal kein Duell vom Zaun zu brechen.«
»Ich hätte nicht übel Lust, mich gleich hier in meinem Salon mit Euch zu schlagen!«
»Aber dafür seid Ihr inzwischen zu klug.«
»Jawohl, das bin ich!« D'Artagnan konnte noch immer kaum glauben, was ihm hier vorgeschlagen wurde. Er, ein Gardist des Kardinals! Nicht nur die Abscheu seiner neuen Kameraden erwartete ihn da, sondern auch die Verachtung aller ehemaligen Musketiere, all seiner alten Freunde und Weggefährten, wenn sie je etwas davon erführen. Sollte er irgendwann Monsieur de Tréville wiedersehen, würde der sich mit vollem Recht zornig und enttäuscht abwenden.
War d'Artagnan das die Rettung der Kompanie wert? Für eine kurze Zeitspanne ein Gardist zu werden, wie Rochefort nur verlangte? Er war alles andere als derart opferbereit, er war kein Held. Aus gutem Grund winkte noch die Aussicht auf eine Beförderung. »Zeigt mir den Rest Eurer offenen Karten! Meine ewige Dankbarkeit und Treue dafür, dass Richelieu mir diese Gelegenheit gewährt und mich mit dem Posten eines Kapitän-Leutnants ködert - das wird wohl kaum alles sein.«
»Schätzt Ihr Euch selbst inzwischen so gering, dass Eure Treue nicht Gewinn genug sein könnte?«
»Wann hätte ich dem Kardinal zuletzt noch so im Weg gestanden, dass er mich an sich binden müsste? Unsere Rechnungen sind ausgeglichen.«
Rochefort seufzte. »Ich muss mich geirrt haben, Ihr habt Euren Schneid verloren. Meine Karten behalte ich für mich, wenn Euch jeder Ehrgeiz abgeht und Ihr kein Risiko eingehen wollt.« Er stellte das Weinglas ab und erhob sich. »Dann haben wir uns für heute nichts mehr zu sagen.«
»Wartet!« rief d'Artagnan aus einer Regung heraus. Er hatte eine Hand zur Faust geballt und nutzte sie jetzt als Stütze am Kinn, um ihr einen anderen Sinn zu geben als den, einen Stallmeister damit zu verprügeln. Rochefort gab dem Leutnant die Gelegenheit, ein paar Gedanken zu sortieren und d'Artagnan stellte am Ende fest: »Wir wissen beide, dass mehr dahinter steckt. Werdet Ihr es mir sagen, bevor ich zustimme alles zu verraten, wofür ich die letzten Jahre gelebt habe? Seid Ihr bereit, dieses Risiko einzugehen?«
»Fragt Ihr eine Kreatur des Kardinals oder einen Freund?«
»Ich frage Euch, Ihr seid immerzu beides.«
Rochefort musterte ihn für einen langen Moment. Dann wandte er sich zum Gehen und meinte an der Tür: »Kommt morgen früh ins Palais Cardinal , zum Arbeitszimmer Seiner Eminenz. Ich verspreche Euch, als Freund, Ihr werdet unbehelligt wieder gehen dürfen, falls Ihr das wünscht.«
D'Artagnan wartete, bis er die Haustür ins Schloss fallen hörte. Erst dann stützte er den Kopf in den Hände und murmelte leise ein » Mordieux «.
D'Artagnan stand auf der Rue St. Honoré , im Rücken den Louvre und vor sich das Palais Cardinal . Er starrte seit einer geraumen Weile auf den gewaltigen Stadtpalast. Inzwischen schien er zurückzustarren.
Das übrige Paris erwachte nur langsam aus dem nächtlichen Dämmerzustand. Vereinzelte Kutschen rissen im Vorbeifahren den Nebel in Fetzen, doch noch reichte das erste, schwache Licht des Tages nicht aus, um die Schwaden aus den Straßen zu vertreiben. Die wenigen Passanten waren eng in ihre Mäntel gewickelt und liefen schnell vorüber. Niemand beachtete den einsamen Offizier, der sichtlich mit sich selbst rang.
Nach einer reichlich kurzen Nacht hatte d'Artagnan sich an der Waschschüssel noch eingeredet, wie lächerlich Rocheforts Angebot war. Sein Spiegelbild indes blickte sehr müde und erschöpft zurück. Während er sein blaues Auge vorsichtig betastete, argumentierte er mit sich selbst, dass er sich zumindest anhöre könne, welchen Vorschlag genau ihm der Kardinal zu machen hatte. D'Artagnan rasierte sich und schlich aus der Wohnung, ohne die Chevrette zu wecken.
Weitere Minuten verstrichen, die Morgenröte floss über die Dächer und ein Wachwechsel wurde eingeläutet. Ein vertrauter Vorgang, nur im falschen Palast. Verärgert kaute der ehemalige Musketier auf seinem Bart, zog sich schließlich den Federhut tiefer in die Stirn und marschierte auf das Palais Cardinal zu.
Niemand hielt ihn auf, als er den säulenumrahmten Torbogen hinter sich ließ und den vorderen Innenhof überquerte. Aber als er sich entlang der Galerie dem Eingang in den Haupttrakt näherte, erwarteten ihn schon zwei rotgerockte Gardisten. Mit unverhohlener Skepsis verfolgten sie seinen Auftritt und versperrten ihm schließlich an der Treppe den Weg.
»Cahusac. Sorel.« D'Artagnan nickte ihnen zu. Man kannte sich in den rivalisierenden Truppen. Cahusac hatte vor über einem Jahrzehnt in dem berühmten Duell am Karmeliterkloster Athos zum Gegner gehabt. Obwohl das schon eine halbe Ewigkeit zurücklag und Cahusac inzwischen ergraut war, hatte noch niemand bei den Musketieren und den Garden den Vorfall vergessen.
» Monsieur le lieutenant .« grüßte Cahusac rau und mit gerade so viel Höflichkeit, dass es ihm nicht als Sarkasmus ausgelegt werden konnte. »Wohin?«
Er fragte einsilbig, nicht aus Mangel an Respekt. Das Sprechen fiel ihm schwer, seine Stimme klang belegt und heiser. Athos hatte ihm in dem Duell damals eine Wunde an der Kehle beigebracht und die Folgen trug Cahusac bis heute.
Sorel hielt sich im Hintergrund bereit, um im Zweifel sofort einzugreifen. Er musterte den fremden Leutnant wachsam.
An einem anderen Tag hätte d'Artagnan das misstrauische Gebaren der beiden Männer gegen sich vielleicht ein amüsiertes Schmunzeln entlockt. Jetzt aber ließ diese Verzögerung vor einem schweren Gang ihn zornig werden. »Ich bin eingeladen, tretet beiseite!«
»Nein.« erwiderte Cahusac knapp und sein junger Kamerad ergriff im Folgenden das Wort für ihn.
»Mit Verlaub, das werden wir nicht tun, ehe Ihr diese Einladung beweisen könnt.«
Sorel klang beinahe vergnügt. Dem Burschen saß der Schalk im Nacken, in seinen Augen blitzte es herausfordernd. Es fehlte ihm noch an Kriegserfahrung, aber seine rechte Hand ruhte selbstbewusst auf dem Griff des Degens. Er trug einen schmalen Goldring am Finger. Seine Forderung nach einem Beweis war indes völlig berechtigt und d'Artagnan hätte seinen eigenen Musketieren das Fell über die Ohren gezogen, wenn sie jeden Dahergelaufenen nur aufgrund einer Behauptung in den Louvre gelassen hätten. Verfluchter Rochefort, das nicht bedacht zu haben!
»Ah, und wenn ich es nicht beweisen kann? Schießt ihr mich dann an Ort und Stelle nieder? Da dürften die Herren viel zu erklären haben, Jussac wird außer sich vor Freude sein. Mein Ehrenwort wird genügen müssen.«
Bei der Erwähnung ihres eigenen Leutnants zögerten die Gardisten. Cahusac war deutlich anzumerken, dass ihm eine scharfe Antwort auf der Zunge lag. Dass ein Ehrenwort allein hier nicht genügen würde, mochte mit altem Groll zusammenhängen; die Narbe an seiner Kehle war ihm stete Erinnerung an die erste Begegnung mit d'Artagnan.
Andererseits: Leutnant Jussac würde in der Tat nicht dankbar für den Aufruhr, für einen festgenommenen Offizier oder gar einen Toten auf den Treppenstufen sein. Hauptmann Luchaire war zu sehr Politiker, schmutzige Angelegenheiten überließ er seinem Stellvertreter. Während Tréville sich mit geradezu diebischem Vergnügen in jede Konfrontation mit Richelieu persönlich begeben hatte, erfüllte Luchaire vom Schreibtisch aus seine Pflichten. Der Hauptmann der Garden war ein Beamter, ein Verwalter. Jussac bekam dadurch mehr Verantwortung übertragen und d'Artagnan adressierte ihn vor den Gardisten ganz richtig.
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