1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Doch es war der Schreibtisch aus dunklem Palisanderholz, der das Arbeitszimmer dominierte. Die übrige Einrichtung hatte über die Jahre gewechselt, doch dieses Möbel blieb und schien einen Teil der Persönlichkeit seines Besitzers angenommen zu haben. Man mochte sich nicht ausmalen, wie viele Dokumente hier schon gelegen hatten, die über das Schicksal eines Staates, eines Kontinents, ach! der ganzen Welt bestimmt hatten. Man begegnete dem Schreibtisch mit Respekt, selbst wenn der Kardinal nicht anwesend war.
Das Husten verstummte schließlich und d'Artagnan hob den Blick zu Seiner Eminenz. Richelieu hatte in seinem Sessel Platz genommen und obgleich er noch immer blass und erschöpft wirkte, saß er aufrecht und maß ihn mit wachem Verstand. Rochefort blieb an der Seite des Kardinals, während d'Artagnan nun herrisch herangewinkt wurde.
»So zurückhaltend kennt man den Leutnant der Musketiere sonst nicht.« kommentierte Richelieu zwar heiser, aber mit scharfem Sarkasmus. »Hört auf, die Tür zu bewachen!«
Ruckartig löste sich d'Artagnan von seinem Posten und trat vor den Schreibtisch, eine nicht weniger bissige Antwort auf der Zunge. Er schluckte sie hinunter und erwiderte stattdessen: »Ich bin in einer Position, in der mir Zurückhaltung gut ansteht, Monseigneur. Diese Lektion habe ich endlich gelernt.«
»Habt Ihr das? Euer Veilchen erzählt eine andere Geschichte. Ganz zu schweigen von Rocheforts Bericht dazu.«
Der Stallmeister hob andeutungsweise die Schultern, als ihn ein flüchtiger, aber sehr finsterer Blick des Freundes streifte. »Ja, ganz zu schweigen.« D'Artagnan wandte sich wieder dem Kardinal zu und straffte seine Gestalt. Er sah knapp an Richelieus linkem Ohrläppchen vorbei, auf die goldenen Lettern eines Codices, während er sagte: »Rochefort erwähnte ein Angebot, ein Geschäft nannte er es. Ihr wollt meine Klinge für die Garde.«
Richelieu lächelte schmal. »Gascognische Offenheit, beinahe Frechheit. Gut. Es stand schon zu befürchten, Ihr wärt tatsächlich vernünftig geworden.«
Neuer Zorn brodelte in d'Artagnan, aber er beherrschte sich. Diese Chance durfte er sich nicht durch den eigenen Hitzkopf entgehen lassen. Auch wenn man ihn anscheinend nur herbestellt hatte, um ihn zu demütigen, anstatt zur Sache zu kommen. »Es ist vernünftig, zuzuhören.«
»Ein offenes Wort also.« Der Kardinal gab Rochefort ein Zeichen, der nun das Reden übernahm und damit bewies, dass er gestern seine Karten längst nicht vollständig hergezeigt hatte.
»Ihr seid gerade Herzog de la Nièvre und seiner Entourage begegnet.«
Als d'Artagnan darauf nur mit blanker Miene reagierte, fügte Rochefort an: »Der Gatte einer Nichte Kardinal Richelieus.«
Kaum schlauer als zuvor, runzelte d'Artagnan die Stirn. Ein angeheirateter Neffe also, der es sich aus irgendeinem Grund leisten konnte, nicht vor dem Ersten Minister zu kuschen. Wahrscheinlich war la Nièvre selbst einflussreich und mächtig genug dazu, wenn auch auf einer anderen Ebene als der Hofpolitik. Familienangelegenheiten, Streit in der Verwandtschaft. Was ging d'Artagnan das an? »Er macht Ärger?«
»Seine Tochter macht den Ärger.« stellte Rochefort knapp fest. »Odette de la Nièvre. Sie ist verschwunden.«
»Aha.«
»Nachdem sie zuvor ins Palais Cardinal unter den Schutz ihres Großonkels Richelieu vor einer arrangierten Ehe geflohen war.«
D'Artagnan verspürte einen leichten Anflug von Kopfweh. Offenbar hatte sich der angeheiratete Neffe mit dem Onkel überworfen und trieb Heiratspolitik mittels der eigenen Tochter gegen Richelieu. »Monseigneur war mit dieser angedachten Ehe ebenfalls nicht einverstanden, sodass er den Schutz gewährte?«
»Scharfsinnig erkannt.«
»Kommt zum Punkt!«
Rochefort wartete ein zustimmendes Nicken des Kardinals ab, dann erklärte er endlich kurz und bündig: »Ihr sollt uns die Mademoiselle wiederfinden.«
»...in der Garde.« Kurz stand dem Leutnant der Musketiere das Bild einer als Mann verkleideten Soldatin vor Augen. Bevor er sich entscheiden konnte eine solche Maskerade entweder lächerlich oder mutig zu finden, störte Rochefort erneut seine Gedanken.
»Offenbar hatte die Mademoiselle einen eigenen Kopf und wollte nicht länger hier zu Gast sein. Sie wurde nicht entführt, so viel wissen wir bereits. Nein, sie ist freiwillig irgendwo in Paris untergetaucht, um sich jeglichem Einfluss - sowohl ihres Vaters als auch des Kardinals - zu entziehen. Wir vermuten, dass sie Hilfe aus dem Palais bekam, als sie verschwand.«
»Ich verstehe.« D'Artagnan konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht länger verkneifen. »Den Spion in den eigenen Reihen kann der Meisterspion nicht finden.«
Der Kardinal schwieg weiterhin und Rochefort überhörte die letzte Bemerkung gelassen. »Hier kommt Ihr ins Spiel. Die Leibgarde Seiner Eminenz ist immer im Palais anwesend. Der beste Vorwand für Euch, hier zu sein und Euch umzuhören.«
Es war ein überzeugendes Argument, aber noch zweifelte d'Artagnan an dem Plan. »Genügt es, wenn ich den oder die Freunde der Mademoiselle finde? Ich würde meinen Aufenthalt in der Garde und im Palais so kurz als möglich halten wollen.«
»Es wird so lange dauern, wie es dauert.« Endlich sprach auch Richelieu wieder und trotz seiner angeschlagenen Gesundheit, mangelte es ihm nicht an Autorität. »Euer Lohn wird nicht gering sein.«
»Die Musketiere?«
»Ja.«
»Mit mir als ihrem neuen Kapitäns-Leutnant?«
»Womöglich.«
»Gnade für Tréville?«
»Ein gutes Wort bei Seiner Majestät.«
D'Artagnan schwieg nachdenklich. Das Angebot war gut, sehr gut sogar. Es war mehr als alles, was er sich erhoffen konnte. Rochefort hatte in dieser Hinsicht nicht das Blaue vom Himmel versprochen. Dafür eine aufsässige junge Frau wiederzufinden, schien keine zu schwere Aufgabe zu sein. Irgendwo musste es einen Haken geben. Einen, den er partout nicht ausmachen konnte.
Die Bedenkzeit des Leutnants schien verstrichen, denn jetzt forderte der Erste Minister eine Entscheidung ein. »Nun?«
»Ja.« D'Artagnan neigte schicksalsergeben den Kopf und wunderte sich für einen Moment, dass er ihm nicht gleich abgeschlagen wurde. Als er den Blick wieder hob, saß sein Haupt noch immer unversehrt auf seinem Hals und dennoch lag wenig Wohlwollen in Richelieus nächsten Worten.
»Damit seid Ihr in meine Garde einberufen. Ihr werdet den Rang eines einfachen Soldaten bekleiden.«
»Was...?« Ehe d'Artagnan diese schockierende Eröffnung recht begreifen konnte, fuhr der Erste Minister hart fort: »Ihr seid Gardist auf Probe, bis ich beschließe, dass Ihr Euren Wert bewiesen habt. Keine Wirtshausschlägereien mehr. Ihr werdet Disziplin lernen!«
Rochefort war plötzlich neben dem Freund und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm, bevor d'Artagnan am Ende doch noch seinen Kopf riskiert hätte. »Fangt ganz unten an und Ihr habt mehr Spielraum in Euren Nachforschungen, denn als Offizier. Versteht Ihr?«
Die Frage war so eindringlich gestellt, dass der degradierte Leutnant ohne nachzudenken langsam nickte. Der Kardinal hatte ihm einst das Offizierspatent gegeben, der Kardinal hatte es ihm wieder genommen. Er nahm Richelieus: »Meldet Euch morgen früh bei Eurem Vorgesetzten zum Dienst!« wie erstarrt hin. »Jaherr.«
Den Salut vergaß d'Artagnan, als er abrupt auf dem Absatz kehrtmachte und ohne Blick zurück aus dem Arbeitszimmer marschierte.
Rochefort musste zugeben, dass d'Artagnan ihn überrascht hatte. Der Gascogner hatte nicht nur den vernünftigen Weg gewählt und dem Handel zugestimmt; nein, noch dazu war nicht ein einziger, ungehöriger Fluch über seine Lippen gekommen!
Selbst Richelieu schien über den Ausgang erstaunt, als er sich nun an seinen Stallmeister wandte: »Bringt ihm nachträglich die Papiere.«
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