»Sagt Ihr es mir. Ihr rettet, nach den Geschichten zu urteilen, beinahe täglich edle Damen, gar Königinnen oder gleich ganz Frankreich.«
»Es gibt Geschichten?«
»Nein.«
»Bedauerlich.« Der Leutnant seufzte schwermütig. »Ich bin nur ein abgedankter Soldat, den man nicht mehr braucht. Seit Jahren schon hat man mich am Hof vergessen. Ohne die Musketiere bin ich nichts.«
»In der Tat.« stimmte sein Gegenüber völlig ungerührt zu und d'Artagnan verzog das Gesicht. »Ich habe Euch auch lieb, Rochefort.«
»Wolltet Ihr etwas anderes hören?« Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht hier, um Euer selbstmitleidiges Jammern zu unterstützen.«
»Aber meinen Wein trinkt Ihr trotzdem!«
»Und er ist ganz ausgezeichnet, gebe ich zu.«
D'Artagnan sah ein, dass seine durchbohrenden Blicke wirkungslos an Rochefort abprallten, also rümpfte er die Nase und schenkte ihnen beiden nach. »Wenn demnach nicht für eine tröstende Umarmung und ein aufmunterndes Schulterklopfen, warum seid Ihr dann hier?«
»Aus zwei Gründen: Erstens, um meine Frage zu wiederholen, wie lange das noch so weitergehen soll.«
»Zweitens?«
Rochefort hob die Schultern. »Um Eure Situation arglistig für meine eigenen Zwecke zu nutzen, natürlich.«
»Ah, Ihr warnt mich doch sonst nie vor? Es muss Euch ernst sein und wir reden nicht allein in aller Freundschaft, sondern geschäftsmäßig.« D'Artagnan neigte interessiert den Kopf. Mit Sicherheit übertrieb der Stallmeister; vielleicht bot er dem ehemaligen Musketier, nach Wochen der Untätigkeit und der Sorgen um die eigene Zukunft, jetzt wahrhaftig eine gute Gelegenheit an, wieder in Lohn und Brot zu kommen.
Nach dem letzten Gespräch mit Monsieur de Tréville war d'Artagnan noch entschlossen gewesen, die Auflösung der Kompanie nicht einfach hinzunehmen. Er hätte sich an den Rat des Hauptmanns halten sollen, nichts zu unternehmen. Alles, was d'Artagnan mit einer Audienz beim König bewirkt hatte, war, auch noch sich selbst seines Postens zu entheben.
Ludwig XIII. war enttäuscht, erschüttert in seinem Vertrauen wegen Trévilles angeblichen Verrats. D'Artagnan wusste nicht, wie viel Wahrheit in der Anklage gegen den Hauptmann steckte; Verschwörung gegen Seine Eminenz, Kardinal Richelieu, den Ersten Minister - gegen Frankreich selbst. Noch wusste er, was wirklich vorgefallen war. Mit Details hielten sich alle Seiten bedeckt und Gerüchte sagten wenig glaubhaftes. Solche Intrigen regelte der Hof unter sich und das Ende einer kleinen Kompanie war da nur Begleitschaden.
D'Artagnans Bitte um Gehör beim König wurde zwar stattgegeben, aber der Leutnant hätte nicht so naiv sein dürfen zu glauben, dass seine Fürsprache und seine Argumente irgendetwas anderes als nur noch größeren Zorn bei Seiner Majestät geweckt hätten. Die Audienz verlief... stürmisch. Während schließlich die anderen Musketiere aufgeteilt und versetzt wurden, wurde ihr Leutnant nicht mehr gebraucht.
D'Artagnan war darüber die ersten Tage wie erstarrt, ganz und gar fassungslos. Über zehn Jahre hatte er treu gedient, war so manches Mal sogar direkt an der Seite des Königs geritten und nach seiner Meinung gefragt worden - und jetzt war er vergessen, in Ungnade. Nicht unehrenhaft entlassen, das nicht! Nur nicht wieder eingesetzt.
Die darauffolgenden Wochen hatte der Leutnant wie im Taumel verbracht, tatsächlich zwischen Heim und wechselnden Wirtshäusern. Wann immer ihm ehemalige Kameraden auf der Straße begegnet waren, hatte er sich beschämt gefühlt, freundliche und aufmunternde Worte harsch abgetan, bis sie ganz ausblieben.
Wie gerne hätte er sich mit Athos, Porthos und Aramis über Briefe ausgetauscht, sich freundschaftlichen Rat von den einstigen Weggefährten erbeten! Doch sie schrieben sich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Teufel, d'Artagnan wusste nicht einmal, wo er die alten Freunde hätte suchen sollen! Aramis war zum Abbé berufen, Porthos zum wievielten Male neu verheiratet. Athos war von seiner letzten Mission nicht zurückgekehrt und hatte nur ein Rücktrittsgesuch an den Hauptmann hinterlassen. Noch nie war sich d'Artagnan so verlassen vorgekommen. Noch nie so überflüssig, denn er hatte keine Aufgabe mehr. Rochefort hatte eine rhetorische Frage gestellt; es konnte nicht mehr lange so weitergehen.
Der Stallmeister nickte wissend. »Ich habe Euch einen Vorschlag zu machen, ja. Sofern Ihr nicht weiterhin wie ein abgedankter Soldat an den hintersten Tischen im Wirtshaus herumlungern wollt.«
»Wo ist da die Arglist?«
»Der Vorschlag wird Euch nicht gefallen.«
Beinahe hätte d'Artagnan zynisch aufgelacht. Mit einer einzigen Ausnahme würde ihm jeder Vorschlag gefallen, wenn er ihm nur wieder Land unter die Füße brächte. »Wollt Ihr mir vielleicht das großzügige Angebot Seiner Eminenz überbringen, mich in die Reihen seiner Garden aufzunehmen?«
»Ja.«
Erst geschah nichts. Dann sprang d'Artagnan auf und ein Schwall blumigster Ausdrücke ging über den Stallmeister nieder, der geduldig wartete, bis dem Gascogner die Luft und die Flüche ausgingen. Es dauerte eine ganze Weile.
»Seid Ihr fertig?« Rochefort ließ dem Freund keine Gelegenheit, sich darüber neu zu ereifern, sondern fuhr gleich fort: »Dann setzt Euch und hört zu!«
Einen Moment länger wirkte d'Artagnan so, als bedaure er es sehr, seinen Degen im Schlafzimmer zurückgelassen zu haben. Dann setzte er sich ruckartig wieder hin und presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie einen dünnen Strich bildeten. Der Wutausbruch hatte ihm eine gesunde Gesichtsfarbe verliehen, wodurch die Kratzer aus der Schlägerei noch deutlicher hervorstachen. Morgen dürfte er wohl mit einem Brummschädel und geschwollenem Auge rechnen. Fast hätte Rochefort darüber schmunzeln mögen. So sehr verändert hatte sich d'Artagnan seit seinen ersten Tagen in Paris nicht; er hatte sich sein hitziges Gemüt bewahrt, das der Stallmeister nun zu bändigen suchte.
»Wenn Ihr warten wollt, bis der König Euch Euer impertinentes Verhalten vergibt, gut. Dann wünsche ich Euch viel Glück bei diesem hoffnungslosen Unterfangen.«
»Impertinenz ist Euch mehr vorzuwerfen als mir.« knurrte d'Artagnan. »Jetzt verstehe ich, was Ihr in diesem Innenhof meintet. Wie sehr es Euch gelegen käme, wenn ich Euch mein Leben und einen Gefallen schuldete. Mir ein solches Angebot zu machen! Pfui, Rochefort!«
»In der Tat wäre Euch mit Erpressung, Eure Freiheit gegen Euren Degen für Seine Eminenz, nicht beizukommen.«
Allein schon wie trocken die Worte klangen, ließ d'Artagnan neuerlich auffahren. »Teufel noch eins! Dass Ihr einen alten Freund erpressen würdet, habt Ihr denn gar kein Ehrgefühl?«
Rochefort winkte ab. »Vor allem habe ich keine Zeit für solche Spielchen. Euch aus der Bastille zu holen, würde sogar mich mehrere Tage kosten und wer kann schon sagen, in welchem Zustand Ihr dann wärt.«
»Großartig. Einfach großartig. Fast könnte man meinen, Ihr wärt besorgt um mich.«
»D'Artagnan, ich spiele mit offenen Karten. Ob ich mich um Euch sorge oder nicht, ist jetzt nicht von Belang. Hier geht es allein um ein Geschäft und ich bin nur der Bote.«
»Nun, Herr Bote!« Der Leutnant reckte stolz das Kinn. »Dann richtet dem Kardinal aus, dass kein Preis für meine Klinge hoch genug wäre, um sie ihm zu verkaufen!«
»Das Korps der Musketiere.«
»Pardon?«
Rochefort schwenkte den Wein im Glas und betrachtete ihn sinnend. »Der Preis. Die Wiedereinsetzung der Kompanie in vollen Ehren. Vielleicht sogar mit Euch als ihrem neuen Hauptmann. Der Einfluss des Ersten Ministers auf Seine Majestät ist dafür mehr als ausreichend.«
»Ha, das ist er gewiss!« D'Artagnan schnaubte abfällig. »Warum den Umweg über Richelieus Garden gehen? Ihr seid verrückt, Rochefort! Die Musketiere und Gardisten standen nie auf gutem Fuß miteinander. Selbst wenn es mir den Preis wert wäre, ich würde keine Woche überleben!«
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