Richelieu wandte sich wieder dem Fenster zu. »Unser Interesse gilt vorwiegend Odette de la Nièvre.«
»Sie wird sich in den vergangenen Monaten in Eurer Obhut einige Freunde und Freundinnen im Palais gemacht haben. Irgendwer wird weiterhin in Kontakt mit ihr stehen und könnte uns einen entscheidenden Hinweis auf ihren Aufenthaltsort geben.« Rochefort hob die Schultern. »Mit mir wird niemand offen reden.«
»Meine übrigen Spione?«
»Zu bekannt in der Dienerschaft. Einige sind die Dienerschaft, Monseigneur.«
»In meinem eigenen Haus misstraut in dieser Angelegenheit also jeder einem jeden.«
Rochefort schwieg darauf. Das hier war von einer familiären Zwistigkeit zu einer politischen Intrige geworden und er wusste keinen Rat für seinen Dienstherrn. Der Vater der eigensinnigen Mademoiselle de la Nièvre verlöre sicherlich bald die Geduld und würde, wie angedroht, einige schmutzige Wäsche auspacken, die selbst einen mächtigen Ersten Minister ins Wanken bringen konnte. Dann bliebe es nicht bei einem willkommenen Opfer wie dem Hauptmann der Musketiere, der sich dieses Mal in die falschen Angelegenheiten eingemischt hatte.
Richelieu ließ einige Momente in Gedanken versunken verstreichen, dann schien er einen Entschluss zu fassen. »Ich muss also einen neuen, unbescholtenen und nützlichen Mann in meine Dienste aufnehmen.«
»Zweifelsohne schweben Monseigneur schon ein bestimmter Mann vor?« Rochefort dachte sich seinen Teil. 'Unbescholten' und 'nützlich' bedeuteten in diesem Zusammenhang 'leicht zu lenken' und 'mit Geld zu kaufen'.
Der Kardinal neigte den Kopf und überraschte Rochefort mit der nächsten Frage, denn sie sprach ein ganz anderes Thema an.
»Sagt mir, nach Auflösung des Korps der königlichen Musketiere, was ist mit den Soldaten und ihren Offizieren geschehen?«
»Sie wurden überwiegend anderen Kompanien zugeteilt. Ein Teil der Musketiere steht im Feld gegen Spanien bei Arras. Die Offiziere haben entweder den Dienst quittiert und sich auf ihre Güter zurückgezogen oder neue Posten in den Haustruppen des Königs erhalten.«
Noch während er den letzten Satz aussprach, verstand Rochefort das plötzliche Interesse an den einstigen Musketieren des Königs. Es war brillant.
Richelieu gab sich nachdenklich, abwägend, als er sagte: »Sicher wird einer unter diesen Offizieren sein, der unzufrieden mit seinem Schicksal ist. Der die Musketiere neu eingesetzt sehen will. Vielleicht sogar als ihr nächster Hauptmann.«
Rochefort schmunzelte wissend. Einer dieser Offiziere hatte sich derart widerspenstig nach der Auflösung der Kompanie gebärdet, dass er vorerst ein Leutnantspatent ohne Posten sein Eigen nannte. »Ich werde diesen Einen sofort aufsuchen und ihm ein Angebot machen.«
Eine mahnende Geste mit erhobener Hand folgte.
»Geht klug vor, Graf! Ich will einen Soldaten für meine Garde. Jemanden, der bislang nicht zu diesem Haus gehörte, aber der von nun an täglich im Palais verkehren wird. Der die ihm entgegenschlagende Verachtung alter und neuer Kameraden aushalten muss und der sich mit Ehrgeiz für eine andere Sache genug Vertrauen erwirbt, um für uns die Mademoiselle zu finden.«
Der Kardinal fasste Rochefort scharf ins Auge. »Kein Musketier, und sicher nicht dieser Leutnant, wird auf ein solches Angebot eingehen. Monsieur d'Artagnan hat unsere Großzügigkeit einige Jahre zuvor schon einmal ausgeschlagen, als seine Situation nicht weniger schwierig war.«
Der Stallmeister neigte den Kopf. »Ich werde den richtigen Anreiz finden. Ich kenne ihn.«
»Gut.« Die lange Rede hatte Richelieu sichtlich erschöpft, sodass er sich an seinen Schreibtisch setzte. Dort nahm er die Feder zur Hand und zog das Manuskript heran.
»Erstattet alsbald wieder Bericht.«
»Sehr wohl, Monseigneur.«
Nach einem letzten Zögern, als Richelieu erneut einen aufkeimenden Hustenreiz zu unterdrücken schien, verließ Rochefort das Arbeitszimmer und machte sich auf die Suche nach einem alten Freund.
Der Fausthieb kam von rechts. D'Artagnan ging sofort zu Boden und blieb benommen liegen. Er blinzelte orientierungslos und mit verschleiertem Blick, nicht sicher, wie er auf dem Tavernenboden gelandet war. Erst sein schmerzendes Kinn, an dem ihn der Schlag erwischt hatte, und das Hämmern in seinem Kopf ließen ihn instinktiv nach Luft schnappen. Gerade rechtzeitig sah er den Angreifer zu einem Tritt ausholen.
Bevor seine Rippen Bekanntschaft mit einem schweren Arbeitsstiefel machen konnten, fing d'Artagnan den Tritt mit den Händen ab. Für den Bruchteil eines Augenblicks stand seinem Kontrahenten ein verdutzter Ausdruck im Gesicht, bevor eine Rolle zur Seite ihn von den Füßen holte. In derselben Bewegung sprang d'Artagnan auf und sah sich den beiden Kumpanen des Landarbeiters gegenüber. Zwei kräftige Männer, jeder einen halben Kopf größer als der Leutnant und mit ihren schlichten Gemütern verdammt wütend auf ihn. Sie hatten Nacken wie Ochsen und Oberarme wie Dachbalken. Offenbar verdienten sie ihr Geld mit ehrlicher, harter Arbeit und wollten eigentlich nur ihren Lohn im Gasthaus Drei Kronen versaufen.
Ein selbst schon recht angetrunkener, ehemaliger Musketier hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, als er von seinem Platz an einem der hinteren Tische aufgestanden, aber dabei kurz nicht mehr Herr über seine Füße gewesen war und deswegen einen dieser braven Männer angerempelt hatte.
Ein empörtes Wort gab das nächste und dann sprach eine rohe Rechte.
Dass d'Artagnan ihren Freund für den Moment überrumpelt hatte, schien sie davon abzuhalten, sich sofort auf ihn zu stürzen und ihn mit ihren Fäusten, groß wie Findlinge, zu bearbeiten. Vielleicht steckte auch noch eine Unze Verstand in ihren Köpfen, sich besser nicht mit einem voll bewaffneten Offizier anzulegen. D'Artagnan durfte zwar den Musketierskasack nicht mehr tragen, aber das Standesrecht auf Degen und Dolch hatte er nicht zusammen mit dem Uniformrock abgelegt. Seine Pistole trug er vom Mantel verborgen bei sich.
Die anderen Gäste sahen interessiert an dem Schauspiel herüber und hatten sich noch nicht für eine Partei entschieden. Eine Schankmagd hingegen war schon auf die Straße gelaufen, man hörte sie draußen nach der Stadtwache rufen. Der Wirt hatte nach einem Schürhaken bei der Feuerstelle gegriffen. Seiner ängstlichen Miene nach zu urteilen, diente die Geste mehr der eigenen Verteidigung als der Schlichtung.
Es wäre von allen Seiten nun klug gewesen, halbherzige Entschuldigungen zu murmeln und die Sache dabei bewenden zu lassen. Aber der letzte Becher Wein schmeckte d'Artagnan noch auf der Zunge und er war verflucht nochmal zu stolz, um den Rückzug anzutreten.
»Kommt doch!«
Die Aufforderung genügte und drei verbitterte Leben prallten aufeinander. D'Artagnan war dieses Mal vorbereitet und wich dem ersten Hieb aus, um dann selbst zuzuschlagen. Bis auf ein Schnauben zeigte sich sein Gegner gänzlich unbeeindruckt. Sein Kumpan sprang ihm bei und nutzte die Gelegenheit für einen weiteren Tritt. Am Knie getroffen, knickte d'Artagnan ein und hatte außerdem völlig den dritten Mann am Boden vergessen. Der war inzwischen wieder auf den Füßen und packte den Leutnant mit beiden Armen von hinten. Der Griff war unerbittlich. Die anderen Beiden grinsten hämisch.
In die übrigen Gäste kam Bewegung. Einige sprangen auf und feuerten die Kontrahenten an, ihnen ein ordentliches Schauspiel zu bieten. Andere brachten sich in Sicherheit, bevor sie selbst unverhofft Teil der Balgerei werden würden. Erste Krüge und Stühle wurden umgeworfen, Beschimpfungen flogen durch die Schenke. Der Wirt sah flehentlich zur Tür, ob seine Magd endlich die Wache alarmiert hatte, doch noch brüllte niemand nach Einhalt und Verhaftung.
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