Bertgen: „Warum predigen sie immer gar so viel vom lebendigen Glauben?
Pfarrer: Weil wir toten, lieb- und wertlosen Glauben, der bloß im Kopfe und Munde ist, in Überfluss haben, am lebendigen Glauben aber haben wir in der Stadt und auf dem Lande überall Mangel. - Und dann darum, weil der lebendige Glaube mir und meinen Pfarrkindern hilft und geholfen hat zur Vergebung der Sünden, zur Ruhe des Gewissens, zum heiligen Geiste, zur dankbaren Liebe, zu allen guten Werken und Tugenden, und zum ewigen Leben. Der Glaube ist ja das erste Hauptstück im Katechismus, und das erste Gebot, ohne den Glauben ist es ja gar nicht möglich, Gott zu gefallen, heilig zu leben und selig zu sterben. Der Glaube macht ja selig, wie soll ich denn vom Glauben nicht reden?!
Bertgen: Warum aber gar immer?
Pfarrer: Dass ich nicht gar immer nur vom Glauben predige, will ich durch meine Predigten beweisen; dass ich aber öfter davon predige, dazu bestimmen mich folgende Ursachen:
a. Hat sich ein Bauer in der Pfarre erhängt aus lauter Unglauben und Desperation [Verzweiflung].
b. Treffe ich entsetzlich viele ängstliche und unruhige Leute im Beichtstuhle an.
c. Ist der lebendige Glaube nicht Jedermanns Ding - nicht so allgemein in der allgemeinen Kirche, als man glaubt; denn der leichte Kopf- und Maulglaube ist der wahre nicht.
d. Weiß ich die erschrockenen, ängstlichen Sünder mit nichts Besserm zu beruhigen und zu trösten, als mit dem lebendigen Glauben, dass ihnen Gott um Christi willen ihre Sünden verzeihen wolle, unter der Bedingung, wenn sie Buße tun und an ihn glauben. Dies weiß ich aus eigner und fremder Erfahrung.
e. Muss ja das inwendige Christentum dem auswendigen vorangehen, wie der gute Baum der guten Frucht; und das inwendige Christentum besteht ja eben im Glauben, in der Liebe und Hoffnung. Denn Alles, was nicht aus dem Glauben und aus der Liebe kommt, das ist und gilt nichts, sagen Christus, Paulus etc. Darum heißt es: Glaube, Hoffnung und Liebe; nicht: Liebe, Hoffnung, Glaube. Aus dem Inwendigen muss das auswendige Christentum, müssen die guten Werke und Tugenden herausfließen, und fließen sie nicht, so ist kein lebendiger Glaube da.
Bertgen: Sagen Sie doch nicht immer: lebendiger Glaube. Die Leute meinen sonst, sie müssen mit dem Leibe glauben, sie brauchten die physischen und körperlichen Kräfte dazu.
Pfarrer: Ei, bei Leibe nicht! Man sagt es nur zum Unterschied des toten Maul- und Buchstabenglaubens, der ohne Liebe und ohne Werke der Liebe ist, und wer den lebendigen einmal hat, der weiß es wohl, dass er nicht mit dem Bauche und mit dem Knie glauben müsse. Mit dem Herzen glaubt man, und das macht gerecht. Mit dem Munde und mit den Knien, mit den Werken, bekennt man seinen Herzens- Glauben und das macht selig. Röm. 10.
Bertgen, der immer stiller und nachdenkender wurde, fuhr fort, mir seine beim Konsistorio eingesaugten Ärgernisse auszukramen.
Aber, fing er an, warum haben Sie denn gepredigt, sie wollen diejenigen, die einen lebendigen Glauben hätten, leicht in die Sakristei hineinbringen?
Pfarrer: Ja, das habe ich im Eifer einmal gesagt, wo ich meine Pfarrkinder
a. in lustige und sichere,
1 in selbstgerechte,
2 in erschrockene und betrübte, und
3 in solche einteilte, die einen lebendigen, fromm, ruhig, froh und selig machenden Glauben haben. Und zu dem letztern sind vielleicht Viele berufen, aber Wenige auserwählt; wenn’s auf eine Musterung und Probe ankäme, sagte ich, würde kaum die Sakristei voll werden. Diese Musterung kann aber nur Gott vornehmen.
Bertgen: Das beleidigt ja die Leute entsetzlich!
Pfarrer: Hm! Das kann eben nicht sein. Die Meisten lieben mich, und ich rede mit ihnen das ganze Jahr von Herzen freimütig und ungeniert weg, wie ein Vater mit seinen Kindern, so wie ich auch mit Euer Gnaden jetzt und sonst als Kaplan freimütig und herzlich sprach. Und dann, wenns nur wahr und klar ist, was hat ein Prediger darnach zu fragen, obs den Leuten gefalle? Wehe ihm, wenn ihn Jedermann lobt! Sagt ja Christus auch, der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und Wenige wandeln darauf. Viele sind berufen, aber Wenige nur auserwählt. War er so unhöflich, dass er seine Zuhörer übertünchte Gräber, Heuchler, Schlangen etc. (Matth. 23) nannte, wie soll denn ein Prediger nicht sagen dürfen, dass Wenige sind, wie sie nach Christi Sinn und Lehre sein sollen? Endlich ist unsere Sakristei so klein nicht, sie fasst über hundert Menschen.
Bertgen (nach einer Pause): Und was macht denn Ihr Kaplan Rechberger? Der ist auch verklagt, wie Sie.
Pfarrer: Er machts wie ich, er hilft mir Glaube, Liebe, Hoffnung predigen. Das Volk und ich sind recht wohl mit ihm zufrieden, er ist fleißig, untadelhaft, eifrig etc.
Der Kaplan Rechberger trat unterdessen zur Türe herein. Bertgen wurde ernster und etwas aufgebracht und sprach: Es ist Ernst, voller Ernst. Sie sind Beide fürchterlich beim Konsistorio verklagt, und ich habe von demselben den Auftrag, Sie zu untersuchen; Sie müssen mir alle Ihre Bücher, Predigten etc., vorlegen, und sich über Ihre Lehrweise genau verantworten.
Pfarrer: Wir unterwerfen uns der strengsten Untersuchung, und danken zum voraus Gott und dem Konsistorio, dass es uns Euer Gnaden, unsern besten Freund, zum Inquisitor gegeben hat. Wir freuen uns, wenn wir unsern Glauben auch vor der Obrigkeit bekennen dürfen; werden unsere Predigten getreulich und mit Freuden vorlegen; denn wir schämen uns des Evangeliums nicht, werden uns aber auch verantworten und erklären dürfen, so gut wir können.
Jetzt ward Bertgen zwar etwas milder, doch nicht ganz so freundlich, wie sonst, sondern vielmehr etwas spröde und stachlicht. Indes fing er an diesem Tage an, zu studieren und sich auf die mit uns vorhabende Untersuchung zu bereiten. Er las (wie er mir nachher selbst bekannte, da ihm die Decke von den Augen fiel) das Tridentinum über die Rechtfertigung, Knipfel, Bertieri etc. Unter diesem Lesen ging ihm schon ein helles Licht auf, dass er vor Freude drei Nächte nicht schlafen konnte.
Erste Untersuchung durch R. R. Bertgen in Gallneukirchen.
Nachdem Boos zurückgekehrt war und Allem dem nachdachte, was er in Linz bei Bertgen erfahren hatte, trieb es ihn und Alle, die mit ihm denselben teueren Glauben empfangen hatten in der Gerechtigkeit Jesu Christi, 2. Petr. 1,1, mächtig zum Gebete. Er rang, die Zwischentage bis zur Untersuchung Tag und Nacht mit Tränen vor Gott im Gebete für Bertgen, nicht aus Furcht, sondern aus Mitleid und Liebe, aus innigem Verlangen, dass ihm vom Herrn das Licht des Glaubens geschenkt werden möchte. Besonders eifrig und brünstig war sein Weinen und Flehen vor dem Herrn die letzte Nacht zwischen dem 6. und 7. Februar.
Am 7. früh sandte Boos Ross und Wagen nach Linz, um seinen Inquisitor abholen zu lassen.
Indessen schrieb er einige Sätze auf, die er für ihn auf dem Tische bereit hielt.
Vorerinnerungen.
1. Schon im Jahre 1796 entstand der nämliche Lärm in der nämlichen Sache wider mich, S.f. etc. im Kemptischen und Augsburg Die Konsistorien, durch ein fürchterliches Lügengeschrei aufgeschreckt, untersuchten Wochen, Monate, Jahre lang. Das Konsistorium zu K. und zu C. sahen der Sache gleich auf den Grund, sie gaben nach, erklärten die der Ketzerei Beschuldigten für unschuldig, und setzten sie wieder in ihre Stellen ein. Die Klügern und Bescheidneren vom Konsistorium zu Augsburg taten das Nämliche. Zwei Andere aus persönlichem Hass gegen S. wollten nicht nachgeben, wurden aber bald darauf von Gott gestraft, ihrer Ämter entsetzt und starben. Einer davon starb in der Raserei.
Als Bertgen, der schon ganz umgekehrt, geändert und voll Freude und Liebe kam, beim Eintritt in das Zimmer, dieses auf dem Tische liegen sah und las, erschrak er und ließ sich willig und aufmerksam Alles erklären und erzählen. Er sagte gleich beim Empfange zu Zobo: ich habe heute die ganze Nacht nicht schlafen können, ich las immer von der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben. Auch bin ich mein Lebtag nie so vergnügt, so wohl, wie heute, nach Gallneukirchen gereiset. Zobo sagte: Nun, das freut uns: das ist für uns. Desto besser wird die Inquisition ausfallen. Bertgen erwiderte: Nichts Inquisition! Ich komme bloß auf eine freundschaftliche Unterredung, um den Leuten die Mäuler zu stopfen und ihnen Ruhe zu verschaffen. Er las nun weiter:
Читать дальше