6.
Sepl, ein Einfüßiger, lediger Mensch, ein Müller, wohl belesen in der Schrift, die er den ganzen Tag in Folio auf dem Tisch oder Fensterbrett neben sich liegen hat, und worin er bis es in der Mühle schellt und leer geht, fleißig liest. Als ihn der Pfarrer einmal in der Bibel lesend fand, fragte er ihn: Verstehst Du auch, was Du liest?
Sepl: Ja, da Hab ich gerade Etwas, worüber ich schon lange kopfe, und wozu ich einen Philippus, einen Ausleger, brauchte.
Pfarrer: Was denn?
Sepl: Das hier, Gal. 1,10f.
Pfarrer: Da bist Du gerade auf die rechte Ketzerei gekommen.
Sepl: Ja, ich Hab mirs schon gedacht. Wie verstehen Sie denn dieses?
Pfarrer: Ich will Dirs wohl sagen, aber Du musst Dich nicht ärgern und mich nicht verketzern.
Sepl: Ei, so ein Narr bin ich nicht.
Der Pfarrer erklärte es ungefähr so: Kein Mensch tut Alles, was das Gesetz fordert und du, Sepl, auch nicht; folglich ist nach dem Gesetz kein Mensch gerecht, Alles steht unter dem Fluche, unter der Verdammung; wollen wir dem Fluche und der Verdammung entkommen, so müssen wir an Christum für uns glauben, durch diesen Glauben werden wir gerecht und fromm vor Gott, sündenfrei, straffrei, fluchfrei etc., der Gerechtigkeit Gottes und des ewigen Lebens teilhaftig. Darum sagt Paulus recht, der Gerechte hat seine Verzeihung und sein Leben aus dem Glauben, denn Niemand ist gerecht, als Gott und den er gerecht macht. Er macht aber nur den gerecht, lässt nur dem die Sünde nach, der an Jesum glaubt, wie der Mörder am Kreuz.
Das Gesetz will uns aber mit seinen Flüchen und Schelten, Drohungen und Forderungen zu diesem Glauben und Gnadenstuhl, zu diesem Armensündertürchen hinein schrecken und hinein treiben.
Sepl, mit seinen zwei Krücken dastehend, merkte hoch auf, begriff und ergriff Alles mit Freuden. Inzwischen kam seine Schwägerin mit ihren Kindern und Nachbarn in die Stube hinein. Diese trafen die zwei Schriftgelehrten voll Freude bei der Bibel an. Sepl, der seine Freude und seinen Glauben gern der ganzen Welt mitgeteilt hätte, bat den Pfarrer, dass er die Stelle noch einmal lesen und erklären möchte, damit die Andern auch hörten, wie armselig wir wären, aber auch, wie wir reich werden und in den Himmel kommen könnten. Der Pfarrer ließ sichs nicht zweimal sagen. Und diese ergriffens, wie Sepl; Alle wurden voll Glauben, voll Trost und Freude. Denn die auf uns liegende Trübsal lehrte sie aufs Wort merken und dasselbe verstehen, so dass ich sagen möchte, es ist ja wohl notwendig, dass um des Worts willen Trübsal und Verfolgung entstehe, sonst merken die schlafenden Leute nicht aufs Wort. - - Seit derselben Stunde lesen diese Müllerleute täglich in der Bibel und der Pfarrer kam auf ihr Bitten alle Sonntage und öfter, um sie ihnen zu erklären.
Sepl nahm einmal seine Bibel und seine Krücken, und stelzte in seines Nachbars Haus, da er wusste, dass daselbst viele selbstgerechte Leute waren, und bewies ihnen seinen Glauben aus der Bibel. Allein Sepl fand keinen Glauben, seine Zuhörer wurden zornig auf ihn, weil sie aber viel Gutes von ihm genossen, wagten sie es nicht, ihm ins Gesicht zu fahren, sondern Einer nach dem anderen stahl sich weg, so dass der Glaubensprediger zuletzt allein da saß, und weil Niemand Amen sagte, wieder traurig heimstelzte.
So musste der einfüßige Prediger erfahren, dass der Glaube nicht Jedermanns Ding sei...
Der Pfarrer fragte ihn: Hast Du auch vorher den heiligen Geist angerufen? Nein, sagte er, ich Esel meinte, es gehe gleich so. Aber das Ding geht anders. Ich will kein Glaubensprediger werden, ich will für mich glauben.
9.
Bachlin, eine verwitwete Bäuerin, die Schwester von Br’s. Dienstmagd, ward öfter von dieser und Br. auf Pöstlingberg eingeladen; aber weil sie wusste, dass man sie daselbst nur vor dem Pfarrer und seinem Glauben warnen wolle, gab sie der Einladung kein Gehör. Dafür ging sie einmal zum Pfarrer und klagte ihm ihre Gewissensangst, dass sie nämlich bei all ihrem Beichten und Streben nach Frömmigkeit doch keine Ruhe und keinen Frieden im Herzen hätte. Daran, sagte der Pfarrer, ist Niemand Schuld, als Dein Unglaube.
Bachlin: Mich ziemt (dünkt) aber doch, ich glaube Alles, was Sie predigen.
Pfarrer: Nein, Alles glaubst Du nicht.
Bachlin: Ja doch, Alles glaube ich.
Pfarrer: Sieh, ich will Dir gleich Etwas predigen, das glaubst Du gewiss nicht.
Bachlin: Das müsste doch was Komisches sein!
Pfarrer: Sieh, ich sage und predige Dir jetzt im Namen Gottes: Sei getrost, Bachlin! Dir sind Deine Sünden vergeben, denn Christus hat für Dich gebüßt, bezahlt; Du darfst es bloß glauben, so ists richtig. Glaubst Du mir das?
Bachlin, betroffen und verlegen, konnte nicht ja sagen. Statt dass sie froh hätte sagen sollen: Ja, ich glaube, kam sie mit der alten Leier, der Selbsthilfe, daher, und sagte: Ja, ich möchte aber zuvor noch eine rechte Beichte ablegen.
Pfarrer: Dass hast Du schon oft getan, und bist noch zu keiner Ruhe in Deinem Gewissen gekommen; tu’s wieder, und Du wirst wieder zu keiner Ruhe kommen.
Bachlin: Ja warum denn?
Pfarrer: Weil Du die Vergebung Deiner Sünden um Deiner Werke willen (ex opere operato), wie die Juden, und nicht aus dem Glauben an Jesum Christum, wie die Christen, erlangen willst. Aber nicht bloß Du bist so beschaffen, fast Alle meinen, Gott vergebe ihnen ihre Sünden bloß wegen ihres Beichtens, Bereuens, Fastens, Büßens etc., kurz wegen ihres Tuns, und nicht wegen des Tuns und Leidens, Büßens und Sterbens Christi, und wegen des Glaubens daran; und weil ihnen ihr schwaches, elendes Tun, ihre Reue, ihr Beichten und Büßen nie recht gelingen will, sondern immer zu schlecht, zu mager, zu dürr, zu trocken und zu unvollkommen ausfällt, so kommen sie nie zu einer wahren Ruhe, weil sie dieselbe auf ihr elendes Machwerk bauen. Und Bachlin! So gehts auch Dir. Aber sieh, betrachte es doch selber; was ist denn Dein Tun bei der Buße? Wir wollen alle fünf Stücke zur Buße durchgehen, und sehen, ob Du Ursache hast, auf Dein so elendes Tun viel zu bauen und zu vertrauen.
1. Das erste Stück zur Buße heißt: (nach Anrufung des heiligen Geistes) Erforschung des Gewissens. Aber sieh, wie elend geht das her; wie wenig erkennt der Mensch sich selbst, seine Sünden und Pflichten? Wie unzufrieden bist Du selbst oft mit Deiner Gewissenserforschung gewesen? Gelt! wie schlecht, wie mangelhaft war sie? Bachlin: Ja, das ist wahr.
2. Das zweite ist Reu und Leid. Aber eben diese ist oft so lau, so kalt, dass Du gewiss schon öfters Reue und Leid über Deine Reue und Leid erweckt hast. Bisweilen hast Du die Reue und Leid vor der Beichte gar vergessen, gelt? Bachlin: Ja, das ist geschehen.
3. Das dritte zur Buße erforderliche Stück ist der ernste Vorsatz. Aber eben der ist wieder oft so schwach, dass er denselben Tag noch bricht, wo Du ihn machst. Bachlin: Ja, ja, ist wohl wahr.
4. Das vierte ist die Beichte. Diese ist wieder gar oft so unvollständig, so mangelhaft, so verwirrt, trocken, unaufrichtig, dass Du selber oft sagst: Mich ziemt (dünkt), ich hab’ mein Leblang noch nie recht gebeichtet. Du bist so unzufrieden mit Deinen 6000 Beichten, dass Du jetzt noch nach 50 und 60 Jahren eine General-Beichte ablegen möchtest. Bachlin: Ja, ja, es ist nicht anders.
5. Das fünfte Stück zur Buße ist Genugtuung. Dass sich Gott erbarme! Mit dieser sieht es eben so erbärmlich aus, als mit den vorigen. Wie kannst Du also hoffen und erwarten, dass Dir Gott um dieses Deines elenden Tuns, Bereuens, Beichtens, Büßens willen Deine Sünden nicht zurechnen und Dir die Gerechtigkeit Gottes und Christi anrechnen werde?
Darum sei denn demütig und glaube dem Worte Gottes, das Dir sagt: a) der Mensch gelangt durch den Glauben zur Gerechtigkeit, d. h. zur Vergebung der Sünden, nicht durch die gesetzlichen oder um der gesetzlichen Werke willen, b) Die Gerechtigkeit Gottes kommt durch den Glauben an Jesum Christum in Alle und über Alle, die an Ihn glauben. Von Ihm müssen sie Alle ohne Verdienst, aus lauter Gnade sündenfrei, straffrei, höllen- teufel- und angstfrei, und auch gerechtfertiget werden. Nur Gott ist gerecht und der, den Er gerecht macht. Also nicht wegen Deines Bußgangs in die Kirche werden Dir Deine Sünden vergeben, sondern wegen des schweren Bußgangs, den Christus am Karfreitag für Dich in den Tod gemacht hat. Sei Deine Buße so streng sie wolle, so werden Dir Deine Sünden doch nicht wegen Deiner strengen Buße, sondern wegen der strengen Buße, die Christus für Dich getan hat, vergeben.
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