Die Spurensicherung hatte bei der Informationspräsentation den Vorrang. Diese trat auf in Person von Rita Minkat, einer Brünetten mit Brille. Minkat war bei allen Kollegen beliebt. Knoop hatte es noch nie erlebt, dass sie schlechte Laune hatte. Egal, durch welchen Arbeitsberg sie sich fressen musste. „Das Lächeln nimmt mir keiner“, sagte sie immer. Ihre Haare trug sie lang, hatte sie aber bei ihrer Arbeit immer durch einen Knoten am Hinterkopf verkürzt. Die Aussage: "Wir haben DNA!“, überraschte keinen. Es waren Bruchstücke, aber Minkat zeigte sich zuversichtlich, aus den einzelnen Bruchstücken größere Teile, wenn nicht sogar einen kompletten Abdruck zu bekommen. Sie und ihre Kollegen hatten die Stelle untersucht, an der die Verstorbene ausgeblutet war. Es gab also noch keinen Tatort. Auf jeden Fall hatte man bis jetzt noch keinen gefunden. Ihre Leute waren im Moment wieder vor Ort, um danach zu suchen. Es gab aber leider auch keine eindeutigen Fußabdrücke, weil eine Reihe von Tieren und der Hundehalter durch den Waldboden gestapft waren. Minkat legte sich nach der Faktenlage auf Größe 44 fest. Auch mit den Fingerabdrücken auf der Silofolie war es mau. Die Folie war zu verdreckt. An einen Stellen gab es fingergroße Abdrücke von Schmutz, aber keine vollständigen Fingerabdrücke. Sie lächelte, als sie das Wortspiel aussprach, und der Haarknoten wippte dazu. Interessanter waren die Spuren am Rand der Folie. Während zwei der Seitenkanten schon des Längeren verschmutzt waren, galt das für die anderen beiden nicht. Sie waren zwar verdreckt, aber es gab auch unter dem Mikroskop saubere Segmente. Sie interpretierte dies so: „Die Folie ist in letzter Zeit erst abgetrennt worden. Ich vermute, dies könnte speziell für diesen Mord geschehen sein. Aber dies werden...“
„...die genaueren Untersuchungen zeigen“, vervollständigte der Chor der Zuhörer. Das Lachen nahm etwas Anspannung aus der Besprechung.
„Ach, ja.“ Rita Minkat hatte sich wieder von ihrem Sessel erhoben. „Da ist etwas, was ihr wissen solltet. Das Abtrennen muss mit einer scharfen, beidseitig geschliffenen Klinge erfolgt sein. Denn die Körperkanten sind glatt. Stellenweise ist die Trennung aber zerhackt. Ich vermute, dass die Klinge an einer Stelle beschädigt ist. Ich hoffe, das hilft euch weiter.“
Höfftner hatte Walter Weber gebeten, die Telefonlisten einzufordern und die Gespräche nach Relevanz zu ordnen. Weber hatte 1568 Gespräche in diesem Telefonknoten herausgefunden. Alle mussten überprüft werden. Verständlicherweise konnte er zur Zeit noch nichts sagen.
Walter Weber hatte sich nach seinen Darlegungen gerade gemütlich zurückgelehnt und die Hände über seinem Bauch verschränkt. Da störte die Tonfolge eines Feuerwehrwagens die Konzentration der Gruppe. Alle schauten sich an, während das Murmeln der Stimmen an Lautstärke gewann. Es war Minkat, die mit hochrotem Kopf das Gespräch annahm. Sie flüsterte etwas in ihr Handy und trennte das Gespräch. „Entschuldigung! Ich hate meinen Mitarbeitern erlaubt mich anzurufen, wenn was wirklich Wichtiges gefunden wird. Wir haben den Tatort gefunden. Ungefähr sechzig Meter vom Fundort entfernt gibt es eine Stelle mit Blutansammlung. Wenn wir mehr wissen, dann erfahrt ihr es.“
Van Gelderen korrigierte den Sitz seiner Krawatte. „Ich bitte aber jetzt doch...“ Er vervollständigte seinen Satz nicht. Jeder wusste, dass er die Mobiltelefone meinte, die man auszuschalten hatte.
Gundula Krebs war die Aufgabe zugeteilt worden, weitere Informationen über die Tote zu beschaffen. Ein Übersetzer war angefordert, um Informationen zielgerichtet auswerten zu können. Die Erkenntnislage war über alle Maßen mager. Für Höfftner war es aber nur eine Frage der Zeit, bis sich die Lage ändere.
Nach knapp einer Stunde störte erneut ein Klingelton die Konzentration der Arbeitsgruppe. Nun waren die Stimmen deutlich zu vernehmen, die das Geschehen kommentierten. Alle schauten sich an, wer die Anweisung auf Abschaltung des Mobilfons diesmal missachtet hatte. Ingrid Höfftner griff mit rotem Kopf in ihre Handtasche. Dann wanderten alle Blicke zum Chef. Dieser wollte gerade aus der Haut fahren, als Höfftner nach einer Entschuldigung verkündete, die Rechtsmedizin habe Ergebnisse. Und diese interessierten alle.
Die Rechtsmedizin war im Klinikum 'Am Kalkweg' untergebracht. Nun gingen Höfftner, Knoop und Laurenzo durch lange, kalte Flure zum Seziersaal. Höfftner ging voraus. Mit ihren kurzen Beinen und dem breiten Becken fühlte sich Knoop an eine Gans erinnert. Sie scheint Pullunder zu mögen, dachte Mikael. Höfftner hatte zwar ihre Garderobe gewechselt. Aber das diesmal ausgewählte giftgrüne Strickwerk war wieder viel zu eng und betonte - wie gewohnt - die Speckrollen ihres Körpers. Im Raum arbeiteten drei Personen. Jeder der Ärzte beschäftigte sich mit Körpern auf Edelstahltischen. Hier lag der Rest, was einmal ein ganzer Mensch gewesen war. Zwei der mit riesigen Plastikschürzen und Mundschutz bekleideten Ärzte schauten kurz auf, wer da den Saal betrat. Dann beugten sie sich wieder zu ihrer Arbeit nieder. Als sich der Dritte ihnen zuwandte, erkannte Knoop in ihm Norbert Liesner. Mit dem hatte er schon mehrmals zusammengearbeitet.
Liesner war vermummt, wie ein Chirurg bei der OP. Unter der grünen Topfmütze drängten sich blonde Locken hervor. Er zog seinen Mundschutz nach unten. An einem Druckknopf des Mikrofons schaltete er die Aufzeichnung aus. Mit seinem Körper verdeckte er einen Teil der Leiche.
„Um es vorweg zu sagen, der Körper sieht nicht gut aus.“ Er winkte seine Besucher heran.
Auf dem Seziertisch lag der Körper einer dunkelhäutigen Frau. Man hatte ihre Haare geschoren. Der Brustkorb war geöffnet, alle inneren Organe waren ihm entnommen worden. Sie lagen wohl in den Plastikgefäßen auf einem Beistelltisch. Der Kopf war zu einem Drittel nicht mehr vorhanden, wie auch der linke Arm fehlte.
„Also, wie ich schon sagte, die...“
Neben sich hörte Mikael, wie Carlos so tief einatmete, als hätte er vor, fünfzig Meter weit zu tauchen. Dann drehte sein Nebenmann ab und stürzte zu einem Keramikbecken an der Wand. Er würgte und das Würgen wollte nicht aufhören. Höfftner schienen die Gerüche und das Aussehen toter Körper nichts auszumachen. Sie zeigte jedenfalls keinerlei Regung. Knoop selbst hatte vor Betreten des Sektionsbereiches Spray in seine Nasenöffnungen gepumpt. Nur Carlos war vielleicht aus Unwissenheit untätig geblieben. Mit hochrotem Kopf würgte er, benetzte sein Gesicht mit Wasser und würgte wieder. Mikael zog ihn an den Schultern hoch und pumpte etwas Spray vor dessen Nase. Carlos jappste wie ein Bergsteiger ohne Sauerstoffflasche auf dem Himalaja, dann richtete er sich auf. Mikael reichte ihm den Spray.
„Drücke vorne in der Nase, jeweils nur einmal pro Loch. Atme dann mehrmals tief durch. Du wirst sehen, du wirst nichts mehr riechen.“ Und mit einem Lächeln fügte er hinzu: „In den nächsten Stunden werden Steak, Pommes und Kuchen alle den gleichen Geschmack haben.“ Dann zog er Laurenzo an den Seziertisch zurück.
Höfftner verdrehte die Augen. Für sie war Unwohlsein eine Schwäche des männlichen Geschlechts. Liesner quittierte Laurenzos Übelkeit mit einem gleichgültigen Blick. Dieser war nicht der erste, der bei solchen Anblicken schlapp machte.
„Fangen wir noch einmal an. Die Todesursache ist eindeutig die durchtrennte Kehle. Wer das gemacht hat, der hatte Routine darin. Der Schnittverlauf ist glatt und hat genau die richtige Tiefe. Die Frau war sofort stumm und wenig später ausgeblutet. Man könnte auch von menschlichem Schächten sprechen.“
Liesner schmunzelte über den eigenen Witz. Laurenzo war immer noch mit der Geruchsbeeinträchtigung geplagt. Knoop zog seine Brauen nach oben. Nur Höfftner teilte diesen Scherz. Der Pathologe räusperte sich, rückte die Sehhilfe zurecht und setzte seinen Vortrag fort.
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