Fröhlich war mit einem Mal blass geworden.
-„Was… was… was heißt das für meine Abteilung?“, stammelte er sichtlich schockiert.
-„Das heißt vor allem erstmal, dass Sie verdammt wachsam sein müssen. Die Geheimhaltungsmaßnahmen sollten noch einmal verstärkt werden. Genau genommen haben wir jetzt zwei große Probleme: Der Artikel aus der letzten Woche bestätigt, dass wir ein Leck haben. Der Mann muss einen Kontakt direkt im Service haben. Das andere Problem ist mindestens genauso schwerwiegend: Man interessiert sich für uns, für den ESS. Und man ist auf Ihr Programm aufmerksam geworden. Eine sehr schlechte Perspektive.“
-„Aber das Programm soll wie geplant weiterlaufen?“
-„Solange nichts Außergewöhnliches passiert, ja.“
-„Gut.“ Fröhlich nickte langsam.
-„Aber Ihnen sollte klar sein, dass wir verdammt vorsichtig sein müssen. Ich habe bereits veranlasst, diesen Reporter unter Beobachtung zu stellen. Wir können ihm das Schreiben nicht verbieten, also müssen wir irgendwie versuchen, die Kontrolle zu behalten und wenigstens vorbereitet zu sein, wenn eine weitere Enthüllung auf uns zukommt.“
-„Meinen Sie nicht, wir könnten das Death Panel nutzen, um…?“
Freud hielt in der Bewegung inne und starrte Fröhlich erst irritiert, dann mit einem Blick an, der hätte töten können.
-„Verlieren Sie jetzt nicht die Nerven, mein Freund, verlieren Sie nicht die Nerven! Was meinen Sie, was das für Folgen hätte, wenn dieser Reporter jetzt unter mysteriösen Umständen zu Tode käme? Das ganze öffentliche Klima ist im Moment doch darauf ausgerichtet, Verschwörungen zu wittern. Wir können es uns nicht leisten, so einen Fehler zu machen. Dafür war das Death Panel im Übrigen nie gedacht. Wir sollten unsere eigenen Prinzipien jetzt nicht über Bord werfen.“ Er wandte sich zur Tür. „Habe ich mich also klar genug ausgedrückt? Keine Alleingänge!“ Fröhlich nickte eingeschüchtert. „Dem Reporter darf vorerst nichts zustoßen. Wir müssen das Problem anders lösen. Die Überwachung ist angeordnet und ich hoffe, das bringt einige Erkenntnisse.“
-„Was ist mit dem Kontakt im ESS?“
-„Den hoffe ich so auch entlarven zu können. Aber deshalb wollte ich ebenfalls mit Ihnen sprechen. Ich brauche jemanden, dem wir rückhaltlos vertrauen können. Derjenige sollte eine interne Ermittlung einleiten und sich unauffällig umhören, damit wir dem Leck auf die Schliche kommen. Das können wir beide nicht tun, dafür stehen wir zu weit oben, zu isoliert von unseren Mitarbeitern. Zumal ich ohnehin nicht davon ausgehe, dass das Leck in Ihrer Abteilung zu finden ist. Dann hätte man bereits mehr in der Hand.“
-„Habe ich bis morgen Zeit, darüber nachzudenken?“
-„Maximal vierundzwanzig Stunden. Dann möchte ich einen Vorschlag von Ihnen, wer die Untersuchung leiten soll. Aber kein Wort zu niemandem! Die Sache muss unter uns bleiben, bis wir Anhaltspunkte haben. Sprechen Sie auch nicht mit Ihren Leuten darüber, selbst wenn Sie mir morgen einen von denen vorschlagen wollen. Nichts ohne mein Okay, verstanden?“
-„Ja, alles klar.“
-„Gut. Ich habe noch zu tun. Bis morgen.“
Damit verschwand Ronald Freud aus Fröhlichs Büro und begab sich zu den Aufzügen, um zu seinem Wagen zu gelangen. Wirklich beruhigt war er nicht. Hoffentlich drehte Fröhlich nicht durch. Das war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
Fox erreichte Barcelona am frühen Vormittag des siebenundzwanzigsten Dezember. Der AVE-Hochgeschwindigkeitszug war erstaunlich pünktlich und so hatte er die Hoffnung, beim Hauptsitz der Banco B vor Beginn der offiziellen Geschäftszeiten anzukommen. Vom Bahnhof nahm er ein Taxi in Richtung Torre Agbar und stieg an der Plaça de les Glòries Catalanes aus. Um kurz vor halb neun stand er vor dem modernen Geschäftsgebäude, in dem sich der Hauptsitz der Banco B befand. Durch die breite Glasfront konnte Fox bereits einige Mitarbeiter der Bank beobachten, die geschäftig durch die Lobby liefen. Auch der Empfang war bereits besetzt. Offensichtlich gab es hier keine richtige Schalterhalle, denn abgesehen von einem einzelnen Geldautomaten in einer Nische unter der Treppe, die in neunzig-Grad-Winkeln in die oberen Etagen führte, deutete nichts auf eine Geldausgabe hin.
Eine hübsche Spanierin mit schwarzen Haaren und in modernem Kostüm kam auf den Haupteingang zu und lächelte ihn an. Nachdem sie mehrere Schlösser im Inneren geöffnet hatte, zog sie eine der Türen zu sich heran.
-„Adelante!“
-„Gracias.“ Fox trat ein und wartete, bis die Spanierin neben ihn getreten war. „Ich würde gerne mit Sr. Nogales sprechen, wäre das möglich?“
-„Für Sie ist hier alles möglich“, sagte sie in perfektem Englisch. Ihr Lächeln hatte ihr vermutlich diesen Job verschafft, überlegte Fox. „Warten Sie doch bitte einen Moment, ich spreche kurz mit einer Kollegin.“
Die hübsche Spanierin verschwand und kam kurz darauf mit einer etwas älteren Kollegin in den Dreißigern zurück.
-„Sra. Espinosa wird Ihnen bestimmt weiterhelfen können.“ Dann verschwand sie und ließ ihn mit ihrer Kollegin allein. Sie standen etwas abseits des Eingangs nahe einer großen Palme.
-„Meine Kollegin sagte mir schon, dass Sie Sr. Nogales sprechen wollen. Es tut mir leid, da muss ich sie wohl enttäuschen. Sr. Nogales ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Natürlich kann er noch kommen, aber normalerweise ist er immer pünktlich.“
-„Meinen Sie, es lohnt sich, auf ihn zu warten?“
-„Sie können es zumindest versuchen. Er hat ein Zweitbüro in Mexico-City, deshalb ist er ohnehin nicht oft im Haus. Durch seine Tätigkeit als Fondsmanager ist das auch gar nicht nötig. Diese Woche sollte er allerdings zumindest kurzzeitig vorbeischauen.“
-„Dann werde ich die Wartezeit wohl in Kauf nehmen.“
-„In Ordnung. Wollen Sie oben in der Etage seines Büros auf ihn warten? Dort gibt es einen Aufenthaltsbereich mit einem Kaffeeautomaten.“
-„Ja, sehr freundlich.“
Fox folgte der Frau zu den Aufzügen. Sie drückte die drei.
-„Darf ich fragen, um was für ein Anliegen es sich handelt, das Sie mit Sr. Nogales besprechen wollen?“
-„Es geht lediglich um ein Investment. Eine kurze Beratung zu einer Angelegenheit, die wir kürzlich besprachen.“
Der Aufzug hielt und die Spanierin führte ihn über einen langen Flur zu einer kleinen Sitzecke mit tiefen Ledersesseln und einem Snack-, sowie einem Kaffeeautomaten.
-„So, machen Sie es sich bequem, ich werde Ihnen dann mitteilen, wenn Sr. Nogales erscheint. Allerdings hat er sich seit drei Tagen nicht mehr bei uns gemeldet, aber über die Weihnachtsfeiertage ist das vermutlich nichts Ungewöhnliches. Ich möchte nur nicht, dass Sie vergeblich warten.“
-„Nein, ist schon okay.“
Die Frau lächelte und verschwand in einem der Büros. Fox sah sich auf dem Gang um. Weit und breit niemand zu sehen, nur das Surren der Elektronik und ab und zu Stimmen oder Tastengeklapper aus den Büros. Neben der Tür, die direkt an die Sitzecke angrenzte, war ein Schild mit der Aufschrift A. Nogales – Gestor del Fondo angebracht worden. Wenn er jetzt noch irgendwie unbemerkt in das Büro kam, hatte sein Plan funktioniert.
Noch einmal blickte er sich um, dann nahm er einen Dietrich aus der Tasche, den er vor einiger Zeit von der Abteilung Gamma erhalten hatte. Man konnte nie sicher sein, dass ein Werkzeug zu dem Schloss passte, das man öffnen wollte, aber diese Weiterentwicklung erhöhte zumindest die Wahrscheinlichkeit. Fox kniete sich vor die Tür und begann, sich an dem Schloss zu schaffen zu machen. Ein erstes Klicken stimmte ihn optimistisch. Vielleicht noch ein paar Drehungen…
Ein Widerstand machte den Optimismus schnell zunichte. Er drehte und zog, doch offenbar konnte der Dietrich nicht weiterhelfen. Fox befahl sich ruhig zu bleiben. Mit einem Ohr hörte er, wie in einiger Entfernung eine Bürotür geöffnet wurde. Sofort wurden seine Bewegungen hektischer. Er durfte sich hier nicht erwischen lassen. Seine Hand begann zu zittern, aber das Schloss wollte sich nicht öffnen lassen. Schritte kamen näher. Fox schätzte, dass er schon bald bemerkt werden würde. Noch einmal drehte er das Werkzeug.
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