Opal Delta schaltete den Bildschirm aus. Niemand sagte etwas. Die einzigen Geräusche im Raum waren das Summen der Elektronik und das rhythmische Geklapper des Kugelschreibers, mit dem Fox nun spielte.
-„Ich denke, damit erreicht die ganze Angelegenheit eine neue Dimension. Von einem einfachen Anschlag können wir nicht mehr sprechen.“
-„Da haben Sie vollkommen Recht“, befand Rebecca Lavoir. „Ziehen Sie alle Leute von bestehenden Fällen ab und setzen Sie sie an diesen Fall. Wir brauchen schnellstmöglich alle Informationen. Wirklich alles. Und ich denke für unseren Agenten hier ist es höchste Zeit anzufangen. Keine weitere Diskussion, der Wagen steht unten bereit. Wenn Sie noch etwas von Zuhause benötigen, kann Charlie Sie im Grüngang vorbeifahren. Also: an die Arbeit!“
Fox legte den Kugelschreiber beiseite und erhob sich. Der Druck unter dem er nun arbeiten musste, stellte eine neue Herausforderung dar. Es ging also wieder los.
2
Der Beamte des Innenministeriums
Der Motor wurde gestartet und die schwarze Limousine fuhr langsam von Bord der Fähre. Dann ging es im Schritttempo durch den Fährhafen der Stadt Meersburg und etwas schneller die Serpentinen des Schlossberges hinauf in Richtung B31. Sobald sie die Bundesstraße erreicht hatten, schaltete Charlie, Opal Alphas Fahrer, in den fünften Gang. Mit Tempo hundertfünfzig ging es weiter in Richtung Friedrichshafen, fünfzig Kilometer pro Stunde über dem erlaubten Limit, wohlgemerkt. Ihren Fahrer schien das wenig zu kümmern. Auf der rechten Seite neben ihnen erstreckte sich der wunderschöne, blaue Bodensee im Licht der aufgehenden Sonne. Bei kühlem, aber heiterem Wetter hatten sie gute Sicht über die Weinberge auf die ruhige Wasseroberfläche. Windsurfer und Segler hatten sich bei den kalten Temperaturen nicht auf das Wasser verirrt, aber der stündlich verkehrende Katamaran im markanten Weiß-Blau war gut zu erkennen.
-„Also theoretisch wären wir mit dem Katamaran ja schneller in Friedrichshafen gewesen“, bemerkte Lisa Maytree. „Und das ist doch auch viel romantischer, dem Sonnenaufgang auf dem See entgegenzufahren, anstatt hier oben in einem Auto zu sitzen.“
Opal Gamma schnaubte verächtlich.
-„Sehr romantisch sich da unten den Arsch abzufrieren. Außerdem sollten Sie sich vielleicht fragen, was in der augenblicklichen Situation für einen romantischen Moment sprechen sollte.“
-„Hey“, meldete sich Charlie lässig zu Wort. „Immer mit der Ruhe da hinten. Wenn’s hier zu wenig romantisch ist, dann leg ich n‘ bisschen Kuschelrock auf. Auf dass die Liebe erglühe und so weiter.“ Er schob sich die Sonnenbrille wieder ins Gesicht, die er kurzzeitig abgenommen hatte.
-„Bloß nicht! Verschon uns mit so einem Quatsch.“ Opal Gamma schien angesäuert. Fox, der sich bereits gedanklich auf die anstehende Zusammenkunft mit dem Beamten vom Innenministerium vorbereitete und bislang nicht an der Diskussion beteiligt war, knallte die Hand gegen das Fenster.
-„Wenn wir schon von Musik reden, dann leg doch was von Rihanna auf. S&M oder irgendetwas in der Art.“
Das tat Charlie dann auch und nachdem Opal Gamma und Opal Omega über den kleinen Bildschirm in der Kopflehne des Fahrersitzes Colin Fox die letzten Instruktionen und Details zum Einsatzort gegeben hatten, wurde es doch noch eine harmonische Fahrt in Richtung der zweitgrößten Stadt am See.
Am Flughafen angekommen, ließ Charlie die drei aussteigen und begann einen Parkplatz zu suchen, was zu dieser Tageszeit gar nicht so einfach war. Opal Gamma, Lisa Maytree und Colin Fox begaben sich zum Flughafencafé. Die Café-Bar Volare bestand aus einem kleinen Verkaufshäuschen inmitten des Terminals und einigen durch niedrige Schutzwände abgetrennten Sitzgelegenheiten. Sie setzten sich an einen Tisch und bestellten alle, auf anraten von Fox, Kaffee Royal.
-„Also theoretisch haben wir noch eine halbe Stunde und Sie in etwa zwanzig Minuten“, bemerkte Opal Gamma an Fox gewandt.
-„Ich werde mich dann gleich nach dem Kaffee zu den Sicherheitskontrollen begeben. Gibt es noch irgendetwas Wichtiges, das ich vor dem Abflug wissen sollte?“
-„Mir fällt für den Moment nichts ein. Sie werden das schon machen, Fox!“
Er lächelte. Wenn Fox Selbstvertrauen hätte tanken müssen, wäre Opal Gamma in jedem Fall die beste Tankstelle.
Eine Weile saßen sie schweigend da, dann entschuldigte sich Opal Gamma für einen Moment und verschwand in den Sanitären Anlagen. Eine Durchsage mit dem ersten Aufruf für den Sonderflug nach Benghazi ertönte.
-„Na dann werde ich mich mal aufmachen“, murmelte Fox. Er trank den letzten Schluck aus seiner Tasse und wandte sich zum Gehen, doch Lisa Maytree hielt ihn mit einem Griff an die Innenseite seines Oberschenkels zurück. Langsam fuhr sie mit der Hand seinen Oberschenkel entlang.
-„Pass auf Dich auf“, flüsterte sie verführerisch. Dann ließ sie von ihm ab. Fox stand auf und verschwand wortlos. Sein weniges Gepäck, das nur aus einer Tasche bestand, war bereits auf dem Weg ins Flugzeug und das Handgepäck beschränkte sich auf Dinge wie sein iPhone und sein Portemonnaie. Seine Dienstwaffe würde er laut den Instruktionen seines Abteilungsleiters Opal Omega an Bord des Flugzeuges erhalten.
Vor der Sicherheitskontrolle blieb er stehen und hielt nach dem Beamten des Innenministeriums Ausschau, den er hier treffen sollte. Außer den Flughafenangestellten konnte er allerdings niemanden erblicken. Würde sich der Mann am Ende noch verspäten? Na ja, immerhin war er ja Beamter. Fox lehnte sich gegen eine Absperrung und sah auf sein iPhone. Keine Nachrichten.
Von weitem hörte man das Klackern hoher Absätze. Eine junge Frau, wenige Jahre jünger als Fox selbst, kam auf ihn zu. Ihm fielen sofort ihre perfekte Figur und ihre langen, gewellten dunkelblonden Haare auf. Vor ihm blieb sie stehen und hielt ihm die Hand hin.
-„Guten Morgen“, sagte sie freundlich. Ihre braunen Augen blickten ihm direkt ins Gesicht. „Mein Name ist Leonie Krüger, das Innenministerium schickt mich. Sie müssen Colin Fox sein, richtig?“
-„Ja, der bin ich.“ Er schüttelte irritiert die angebotene Hand. „Eine Frau demnach“, murmelte er. Es war also gar kein Beamter, sondern eine Beamtin, die ihn begleiten sollte. Und was er auf den ersten Blick sah, ließ zumindest ein wenig Freude bei ihm aufkommen. Die wich allerdings schnell wieder der Erkenntnis, dass es so noch unvernünftiger war, eine außer-geheimdienstliche Person mitzunehmen. So würde es sicherlich ein ganzes Stück schwerer werden, den Auftrag zur vollsten Zufriedenheit aller auszuführen.
-„Das haben Sie ja gut erkannt“, spöttelte die Frau.
-„Wie bitte?“ Fox war ein wenig aus dem Konzept geraten ob der Überraschung, die er vor wenigen Sekunden erlebt hatte.
-„Ich meine, dass ich eine Frau bin, haben Sie gut erkannt. Das spricht für Sie.“
-„Entschuldigen Sie bitte. Ich bin ein wenig…“
-„Überrascht?“ Sie sah ihn fragend an. Ihr Gesichtsausdruck verdeutlichte ein gewisses Selbstvertrauen. Nicht unbedingt das Selbstvertrauen, das Frauen wie sie normalerweise hatten, da sie ihre Schönheit einzuschätzen wussten, vielmehr eins, das ihr Gegenüber wissen ließ, dass sie mehr als nur Beauty-Tipps verteilen konnte.
-„Ja, das trifft es im Grunde. Mir war ein Mitarbeiter des Innenministeriums angekündigt worden, keine Mitarbeiterin. Aber Sie können mir glauben, dass es mich freut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
-„Na dann.“ Ihr Mund verzog sich zu einem süffisanten Lächeln.
Fox nickte in Richtung der Terminals und ließ ihr höflich den Vortritt bei den Sicherheitskontrollen. In ihrer Kleidung, bestehend aus knielangem Rock und heller Bluse inklusive einem Halstuch, hätte Leonie Krüger auch als Stewardess durchgehen können. Er folgte ihr nachdenklich über die Gangway zum Flugzeug. Er durfte nicht vergessen, welch schwere Aufgabe vor ihm lag. Im Grunde war seine Begleitung in den folgenden Stunden nur hinderlich. Er musste schnellstens die Initiatoren der Anschläge ausfindig machen oder zumindest die Verbindungen nach Libyen untersuchen und da konnte ihn eine schöne Frau eigentlich nur behindern. Aber es war jetzt nicht mehr zu ändern und wenn er es recht bedachte, war ihm diese Begleitung um einiges lieber, als ein traniger Beamter.
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