-„Ich könnte mir einen Zusammenhang vorstellen. Wir sollten ihn zumindest nicht ausschließen. Die Libysche Islamische Kampfgruppe soll unseren Informationen zufolge enge Kontakte mit den Führern von Al Kaida pflegen. Ihr Durst nach Vergeltung scheint noch immer nicht gestillt. Gegründet wurde diese Organisation in den Neunzigern von heimkehrenden Mujaheddin aus Afghanistan. Der Kampf, der für sie viele Jahre im Mittelpunkt stand, ist nun gewonnen. Gaddafi ist tot und das Land von seiner Herrschaft befreit. Aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen und des demokratisierenden Einflusses Europas und vor allem Deutschlands auf Libyen könnten die Terroristen der Kampfgruppe uns als nächsten großen Feind ansehen. Zwar ist eine gewisse Kartei vorhanden, die uns bei der Einreise von Anhängern der Organisation hätte alarmieren müssen, jedoch leben einige von ihnen als Asylanten in Großbritannien. Es ist also durchaus möglich, dass sie so nach Deutschland gelangten.“
Opal Alpha nickte, ging dann zu dem Videoprojektor, schaltete ihn aus und dafür das Licht ein. Sie blickte zum wiederholten Male in die Runde, die mittlerweile aus einem Mann weniger bestand.
-„Was denken Sie, wäre das Beste in dieser Situation? Ich erwarte Vorschläge. Bedenken Sie aber bitte, dass wir nicht im Namen Deutschlands handeln. Als Regierungsunabhängiger Geheimdienst haben wir den Auftrag, die Weltsicherheit zu gewährleisten und nicht Vergeltungsmaßnahmen im Sinne des deutschen Volkes oder der Bundesregierung zu unternehmen. Die Bundeskanzlerin lag schon richtig mit der Aussage, dass der Kampf gegen den Terror die Zukunft bestimmen wird. Aber wir werden diesen Kampf mit verdeckten Karten führen. Und? Schon irgendwelche Ideen?“
-„Mein Vorschlag wäre, diese Terrorgruppe in Libyen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen“, merkte Opal Omega an. „Und zwar nicht durch die Abteilung Delta, sondern vor Ort. Wir wissen, dass die Organisation die Rekrutierung vorwiegend im Nordosten, in der Kyrenaika, vornimmt. Das wäre ein Anhaltspunkt, der uns helfen könnte.“
-„Haben wir einen Mann in Libyen?“, fragte Opal Alpha an Opal Sigma, den Leiter der Kommunikations- und Verwaltungsabteilung gewandt, wohl wissend, dass Opal Omega diese Frage eigentlich auch hätte selbst beantworten können.
-„Derzeit leider nicht. In Nordafrika fehlen uns schon seit geraumer Zeit die Agenten. Wir müssten jemanden hinschicken. Ich..“
-„Die Aufgabe sollte einer unserer Besten übernehmen“, unterbrach ihn Opal Omega. „Die Sache darf nicht vermasselt werden. Die Sicherheit der ganzen Welt steht auf dem Spiel.“
Opal Alpha blickte den Spanier (Opal Omegas bürgerlicher Name war Orlando Gomez) fragend an. Da der nicht antwortete, ergriff sie wieder die Initiative.
-„In Ordnung. Wir brauchen also einen unserer Besten. Vielleicht sogar den Besten. Wo genau hält sich Colin Fox eigentlich zurzeit auf?“
Die beißende Kälte, die derzeit auf den Straßen Sankt Petersburgs herrschte, war in dem gemütlichen Tanzlokal am Nevsky Prospekt in der Nähe der Fontanka nicht einmal zu erahnen. Die rund dreihundert Hochzeitsgäste tranken verschiedene alkoholische Getränke, tanzten, unterhielten sich oder saßen einfach in einer Ecke und erfreuten sich am Hochzeitstanz, den das Brautpaar gerade aufführte. Colin Fox saß am Tresen, vor ihm eine Schale mit Kaviar, etwas Brot und mehrere leere Wodka-Gläser. Diese Party war im Grunde die beste Ablenkung, die es für einen Mann wie ihn, mit etwas annähernd ähnlichem wie Liebeskummer überhaupt geben konnte. Er bestellte einen weiteren Wodka. Dann überließ er sich wieder seinem Elend und blickte nachdenklich, den Kopf in der linken Hand abgestützt, durch das leere Glas in seiner rechten. Seit über vierzehn Monaten hatte er seine große Liebe nun nicht mehr länger als wenige Stunden gesehen, geschweige denn etwas Nächtliches mit ihr unternommen. Daran hatte auch das kurze Telefonat, das er vor sechzig Stunden, an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, mit ihr geführt hatte nichts geändert. Vielmehr hatte es ihn in seine augenblickliche Depression geführt. Lavinia Lichtsteiner hatte ihn nicht etwa darum gebeten, endlich wieder einmal mit ihr auszugehen, um wenigstens ihren Geburtstag zu einem schönen zu machen; nein, sie hatte es sich sogar erlaubt, ihm von ihrem neuen Freund zu berichten, ihrer ersten ernsthaften Beziehung, seit er sie kannte und die erste echte Bedrohung für die Erfüllung seines innigsten Wunsches, irgendwann einmal dieses zauberhafte Mädchen mit den wunderschönen Augen und dem herzerwärmenden Lächeln zu heiraten. Allmählich wurde ihm klar, was die letzten Jahre über sein Fehler gewesen war. Die Frau Deiner Träume kommt nicht einfach auf Dich zu. Du musst schon etwas dafür tun, um Dein Leben mit ihr zu verbringen und vor allem: nicht zu lange warten!
Nun war es passiert. Sie hatte einen Anderen. Und alle Mühe, die er sich bislang bei ihr gegeben hatte, schien umsonst. Fox nahm einen tiefen Schluck aus seinem neuen Glas. Es hatte ja schon einen Hauch von Ironie, dass er hier über den Problemen in seinem Liebesleben verzweifelte, während um ihn herum dreihundert Menschen die Hochzeit seines guten Freundes Alexander Kessel mit dessen ihm nun angetrauten halbrussischer Ehefrau Anna Stan feierten. Das Brautpaar hatte seinen Tanz gerade beendet und der Bräutigam kam an den Tresen.
-„Du siehst aber nicht gerade fröhlich aus. Ich habe so die leise Ahnung, dass es mit Lavi zu tun hat, habe ich Recht?“
Fox nickte langsam.
-„Ich kann ja verstehen, wenn Dir nicht gefällt, dass Du jetzt einen Konkurrenten hast, der im Moment die Pole-Position innehat, aber das hier heute ist meine Hochzeit und ich möchte, dass alle Gäste fröhlich und zufrieden sind. Erst recht wenn ich seit über zehn Jahren mit ihnen befreundet bin.“ Kessel nahm seine Fliege ab, hängte sie sich offen um den Hals und klopfte Fox freundschaftlich auf die Schulter. „Komm schon. Heute Nacht kannst Du sowieso nichts mehr machen. Also amüsier Dich wenigstens und füll Dich nicht mit diesem widerlichen Zeug ab.“
-„Vermutlich hast Du Recht“, bestätigte Fox gequält.
-„Natürlich habe ich das. Übrigens hat die Cousine meiner Frau offensichtlich ein Auge auf Dich geworfen. Also vielleicht hilft sie Dir ja, Deinen Kummer zu vergessen. Was meinst Du? Wie in den alten Zeiten? Und diesmal könnte ich Dir sogar eine vorab-Bewertung geben. Im Gegensatz zu früher bewerte ich nicht nur nach Eindruck von außen, ich habe sie bereits getestet.“ Die beiden fingen an zu lachen.
-„Was für Drogen geben die Euch eigentlich in der Kommission in Brüssel?“, witzelte Fox. „Du wirst ja immer verrückter.“
-„Lass bloß meine Arbeit aus dem Spiel. Ich bin froh, dass ich wenigstens jetzt Ruhe habe. So wie es aussieht, wird es nicht mal etwas mit ungestörten Flitterwochen. So, jetzt muss ich mich aber mal wieder auf der Tanzfläche sehen lassen. Dir wünsch ich viel Spaß.“ Mit einem Zwinkern ließ er Fox wieder allein.
Vermutlich hatte sein Freund Recht, er sollte wirklich versuchen sich zu amüsieren. Nur das Wie würde er sich noch einmal überlegen. Zuerst einmal musste er sich ein wenig aufpäppeln. Er machte sich langsam auf den Weg, durch den Verbindungsgang neben dem Tresen in einen großen Hinterraum, vorbei an weiteren Gästen und dann die Treppe hinunter, in den Keller, wo sich die Toilettenräume der Herren befanden.
Als er bereits die Hand auf die Klinke gelegt hatte, stockte er plötzlich. Was hatte er da gerade aus dem Augenwinkel gesehen? Nein, es konnte nicht sein. Unmöglich, ganz ausgeschlossen!
Fox ging ein paar Schritte zurück, um sich zu vergewissern. Vorsichtig drückte er sich an die Wand und blickte durch den größeren Spalt in einer Tür. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. In dem Raum, der durch ein Schild an der Tür als Hausmeisterraum gekennzeichnet war, erkannte er Anna Stan, wie sie einen Mann küsste. Und dieser Mann war nicht ihr Ehemann.
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