Die gegenwärtige Sammlung, welche die Sagen zur Bequemlichkeit des Lesers nach dem Laufe des Stromes ordnet, den sie von den Mündungen bis zu den Quellen verfolgt, wünscht dem Reisenden als poetischer Reisebegleiter willkommen zu sein, die Jugend zur Erlernung der vaterländischen Geschichte heiter anzuregen, und jedem Gebildeten eine geistreich belebende Unterhaltung zu gewähren. Sie ist nicht bloß Anthologie, d. h. Sammlung schon vorhandener poetischer Behandlungen rheinischer Sagen, sondern enthält viele Originalien, indem außer den zahlreichen von dem Herausgeber selbst behandelten Sagen auch die von den Herren O. F. Gruppe, August Kopisch und Wilhelm von Walbrühl in Berlin, J. Kreuser, Gustav Pfarrius und Hermann Grieben in Köln, Adolf und August Stöber in Oberbrunn und Wolfgang Müller in Düsseldorf auf sein Ersuchen beigesteuerten, hier zum erstenmal im Druck erscheinen.
Bei der Auswahl ist mehr auf Gediegenheit des Ausgewählten, als auf Reichhaltigkeit der Sammlung gesehen worden. Es wäre ein leichtes gewesen, sie um das Zehnfache zu vermehren.
K. S. [Karl Simrock]
An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate dir gut,
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Mut.
Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei
Als wär' es ein adlig Geschlecht,
Gleich bist du mit glühender Seele dabei:
So dünkt es dich billig und recht.
Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön
Und die Stadt mit dem ewigen Dom:
In den Bergen, wie klimmst du zu schwindelnden Höhn
Und blickst hinab in den Strom.
Und im Strome, da tauchet die Nix' aus dem Grund,
Und hast du ihr Lächeln gesehn
Und grüßt dich die Lurlei mit bleichem Mund,
Mein Sohn, so ist es geschehn:
Dich bezaubert der Laut, dich betört der Schein,
Entzücken faßt dich und Graus:
Nun singst du nur immer: Am Rhein, am Rhein
Und kehrst nicht wieder nach Haus.
K. S. [Karl Simrock]
In Südersee Stavoren, wer hat die Stadt geschaut?
Mit Türmen und mit Toren gar stolz ist sie erbaut.
Paläste siehst du ragen noch heut' so hoch als eh',
Doch alles hat beschlagen die unermeßliche See.
Wenn alle Winde schweigen, der Kahn dich ruhig wiegt,
Der Schiffer wird dir zeigen, wo sie begraben liegt.
Du blickst auf Markt und Straßen, doch öde, menschenleer,
Und wenn die Glocken tönen, so strich ein Hecht zwischenher.
Vorzeiten zu Stavoren war Pracht und Überfluß,
Da schwelgte man in Freuden und sann nur auf Genuß;
Da mußten Gallionen durch alle Meere gehn,
Mit den Schätzen fremder Zonen Stavorens Kinder zu versehn.
Verwöhnte Kinder freilich, das Glück war allzu hold:
Den Hausflur und die Türen beschlugen sie mit Gold,
Gepflastert mit Dukaten war Hof und Speisesaal,
Mit blanken Laubtalern die Weg' und Stege zumal.
Wie sich die Schätze häuften, so wuchs der Übermut
Als wär' der Himmel käuflich für eitel Geld und Gut.
Und als das Maß erfüllt war, da gingen sie zugrund,
Die erst das Meer bereichert, die schlang das Meer in den Schlund.
Vor allen in Stavoren war eine Jungfrau reich,
Ihr Name ging verloren, kein König kam ihr gleich;
Doch herrisch und vermessen war ihr betörter Sinn,
Sie hatte Gott vergessen und sann auf nichts als Gewinn.
Zu ihrem Schiffmeister sprach einst die stolze Maid:
„Auf, lichte du die Anker, zwölf Monden hast du Zeit;
Doch kehrst du nach Stavoren, so sei dein Schiff beschwert
Mit dem Edelsten und Besten, das rings der Erdball gewährt.“
Da sprach der alte Meister, er war ein weiser Mann:
„Ich bringe was du heischest, nur zeig es näher an;
Des Edeln und des Guten ist auf der Welt so viel,
Was dich das Beste dünket, das Edelste, schafft mein Kiel,
Wofern dein Mund es ausspricht. Ist's Korn oder Wein?
Ist's Bernstein oder Seide, Gold oder Spezerein?
Sind's Perlen, sind's Smaragden? Es kostet dich ein Wort,
Das Schiff mir zu befrachten mit der Erde köstlichstem Hort.“
Sie sprach: „Du mußt es raten, du giltst doch sonst für klug;
Wer meinen Dienst erwählte, dem sei ein Wink genug.
Nun laß das läst'ge Fragen: bei meinem Zorn ins Meer!
Das Edelste, das Beste gebracht, ich sage nicht mehr.“
Da mußt' er wohl gehorchen; unschlüssig fuhr er ab,
Der Frau Geheiß erwägend, das viel zu denken gab.
Er kannte wohl der Herrin hochmütig strengen Sinn:
Wie er ihr nun genüge, darüber sann er her und hin.
Am Ende dacht' er also: Ich kauf' ihr Weizen ein:
Was möcht' auf Erden edler, was möchte besser sein?
Man hält in hohen Ehren das herrliche Korn,
Niemand kann es entbehren: so meid' ich wohl ihren Zorn.
Da steuert' er gen Danzig und lud zu gutem Kauf
Polnischen Getreides zehntausend Lasten auf.
Es war der beste Weizen, den je die Erde trug:
Wer des genossen hätte, dem gab er Kräfte genug.
Da ließ er seine Segel die Winde blähn und war
Im Hafen von Stavoren noch vor dem halben Jahr.
So schritt er vor die Herrin, die noch bei Tafel saß,
Mit Blicken der Befremdung von Haupt zu Füßen ihn maß.
„Wie,“ rief die Übermütige, „Schiffmeister, schon zurück?
Und wär' dein Schiff ein Vogel, den Vogel hieß' ich flügg':
Dich wähnt' ich an Guineas goldreichem Strand;
Was hast du nun geladen? sag an, ich bin doch gespannt.“
Da sprach der Seemann zögernd, er hörte wohl, der Wind
Sei seiner Fahrt zuwider, doch faßt' er sich geschwind:
„Den besten Weizen führ' ich, Gebieterin, dir her,
Kein beßrer ist zu finden, so weit die Länder küßt das Meer.“
Sie sprach: „Was muß ich hören? das hätt' ich nicht gedacht!
Elenden Weizen, woraus man Semmel macht?
Den wagst du mir zu bringen? Es wird dein Ernst nicht sein:
Das Edelste, das Beste, gebot ich, handle mir ein.“
Da sprach der Greis: „So elend ist doch was Brot gibt nicht,
Da man zu Gott alltäglich um Brot die Bitte spricht.“
„Wie ich's verachte,“ rief sie, „beweis' ich dir sofort:
Von welcher Seite nahmst du die schnöden Körner an Bord?“ –
„Das Schiff ist von der rechten geladen,“ sprach er. – „Gut,
So wirf mir von der linken den Weizen in die Flut.
Die ganze Ladung, hörst du? das muß sogleich geschehn:
Ich werde selber kommen, ob du gehorchtest, zu sehn.“
Der Schiffmann ging, doch tat er nicht wie die Frau ihn hieß,
Weil ihr Gebot so greulich wider Gott verstieß.
Er rief die Armen alle, die Hungernden, herbei,
Ob nicht durch solchen Anblick das harte Herz zu rühren sei.
Sie kam und fragte: „Hast du getan, wie ich befahl?“ –
Da fallen ihr zu Füßen die Armen allzumal:
„Laß uns den Weizen,“ flehn sie, „eh' ihn das Meer verschlingt,
Daß wir den Hunger stillen!“ Sie aber weigert's unbedingt,
Und winkt ihren Knechten und läßt erbarmungslos
Die Gottesgabe senken in tiefer Fluten Schoß;
Die Menge mußt' es schauen, die stumm die Hände rang.
Da rief der alte Schiffer, der sich nicht länger bezwang,
Laut rief er's vor dem Volke der Frau ins Angesicht:
„Nein, wahrlich ungeahndet bleibt diese Bosheit nicht.
Wenn noch das Gute lohnet, das Böse straft ein Gott,
So wird einst schwer gerochen an Euch der frevelnde Spott.
So wird ein Tag erscheinen, wo Ihr die Körner gern,
Die edeln, von den Straßen aufläset, Kern um Kern,
Den Hunger nur zu stillen; doch niemand gönnt Euch sie.“
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