Sie hatte ihn gezwungen sich mit dem Gesicht zur Mauer zu stellen und die Hände gegen die Steine zu drücken, so wie Polizisten es in Kinofilmen mit Verdächtigen machten. Als es noch Kinos gab. In dieser lächerlichen Position musste er die Durchsuchung über sich ergehen lassen. Warum machten sie sich diese Mühe? Hätten sie ihn nicht wenigstens erst erschießen können? Eine der Hände glitt in sein offenes Hemd, berührte dabei seine nackte Haut und fand die versteckte Innentasche. Der Honk stieß einen Pfiff aus.
»Sieh mal, Heinz.« Er hielt dem Mann mit dem Maschinengewehr seinen Fund unter die Nase.
Mit einem gemeinen Grinsen nahm Heinz Christians Handheld entgegen und schaltete ihn an.
»Wie ist das Passwort?«
Trotzig biss Christian sich auf die Lippe. Warum sollte er ihnen das sagen? Sie würden ihn ohnehin erschießen.
Anscheinend erriet Heinz seine Gedanken. Er beugte sich über seine Schulter und sein Mundgeruch traf Christians Nase.
»Ich wette mit dir, dass Gabriel keine halbe Stunde braucht, um das Passwort aus dir herauszuprügeln«, flüsterte er dicht neben seinem Ohr.
Christian versuchte die Luft anzuhalten und schielte über die Schulter; dorthin, wo Gabriel stand.
*
Sie weinte! Ganz leise. Siws Hand mit dem Revolver sank wieder. Leise, aus tiefstem Inneren, kam das kaum hörbare Schluchzen. So verzweifelt, als weinte sie um die ganze Welt und wahrscheinlich tat sie das auch.
Siws Daumen rutschte ab und der Hahn entspannte sich mit einem nicht zu überhörenden Klicken. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück. Die fremde Frau wandte sich nicht sofort um. Sie erstarrte und ihr Weinen brach abrupt ab. Die Hand mit der Bürste schlaff vor sich im Sand, wartete sie ergeben ab.
Siw brachte keinen Ton heraus. Was sollte sie auch sagen? Warum war sie überhaupt hier? Dumme Frage! Wegen des Wassers natürlich. Die Schultern der Frau zitterten, als ob sie fror. Siw kam sich total blöd vor, mit der klobigen Waffe in der Hand, herumzustehen. Was sagte man in so einer Situation? Hallo, fühlst du dich auch so verloren?
Langsam drehte die Fremde sich zu ihr um. Ihre Augen waren blau und, bis auf die Tränen, klar. Das waren nicht die Augen einer Wahnsinnigen. Trauer und Schmerz sprangen Siw fast physisch aus diesem Blick an. Einen Moment fühlte sie sich, als ob sie in einen Spiegel schaute.
»Ich bin Kamherra«, sagte die Fremde leise.
Siw lauschte der Stimme. Sie war traurig. Am liebsten hätte sie den Revolver unsichtbar gemacht. »Kann ich mir deine Bürste leihen?«, fragte sie spontan.
*
Hinter ihr stand keine Horde Zombies oder anderer Irrer. Es war nur eine Frau mit einem alten Revolver, die höflich um ihre Bürste bat. »Natürlich«, lächelte Kamherra unsicher. Sorgfältig zupfte sie ihre Haare aus der Büste, ehe sie diese der Unbekannten reichte.
Achtlos steckte die Frau, mit den kurz geschnittenen Haaren, ihre Waffe weg. Vorsichtig nahm sie Kamherra die Bürste aus der Hand. »Danke«, sagte sie leise und ein wenig schüchtern.
»Setzt dich doch.« Kamherras Hand deutete auf den heißen Wüstensand, als ob sie einer unerwarteten Besucherin einen Platz in einem Salon anbot.
Mit gekreuzten Beinen ließ die Frau sich neben Kamherra nieder. Fast andächtig hob sie die Büste und zog sie durch ihr volles rotbraunes Haar.
»Ich heiße Siw«, sagte sie dabei beiläufig.
Mit einer Mischung aus Unglauben und Hoffnung beobachtete Kamherra Siw. Sie war definitiv kein Trugbild. Sie saß dort im Sand vor ihr und sie wirkte nicht krank. Ihre Haut war hell und bis auf ein paar Narben und Kratzer sah sie gesund aus. Nicht wie jemand, der in den nächsten Stunden sterben, und sie erneut allein in dieser Einöde zurücklassen würde.
*
Halluzinierte er schon? Rixel rieb sich die Augen. An dem kleinen Wasserloch saßen zwei Frauen auf einer Decke und picknickten. Dabei lachten und scherzten sie, als ob sie in einem Park saßen und nicht hier in dieser trostlosen Einöde.
Ein Park! Rixel seufzte. Wie gern würde er noch einmal einen Park sehen oder besser noch, einen Wald. Er versuchte sich an üppiges Grün zu erinnern. Es gelang ihm nicht. War es wirklich schon so lange her, dass alles den Bach runter gegangen war? Er schüttelte den Gedanken ab und beobachtete die beiden Frauen eine Weile. Zu gern würde er dort hinunter gehen, mit ihnen reden und natürlich einen Schluck Wasser trinken. Aber das musste ein Wunsch bleiben. Er wollte sie nicht erschrecken, mit seinem Fenster im Kopf.
Wo die Beiden wohl her kamen? Ob es hier eine weitere Stadt gab? Oder zogen sie einfach allein durch die Wüste? Aber das konnte er sich nicht vorstellen. Dafür sahen sie zu normal und zu fröhlich aus.
Rückwärts kroch er die Düne wieder hinunter. Am besten fand er sich damit ab, dass er nicht länger Teil einer menschlichen Gemeinschaft sein konnte. Kein Wasser für ihn und auch kein nettes Gespräch. Er würde einfach in die Wüste zurück schleichen und allein seiner Wege gehen. Besser gesagt, seinen letzten Weg. Wenige einsame Tage bis seine Energiezelle ihren Dienst ganz aufgab. Vielleicht fand er vorher ja noch ein anderes Wasserloch, dann musste er wenigstens nicht durstig sterben.
*
Mit einem Piep erwachte der Handheld hinter ihm zum Leben. Aus den Augenwinkeln sah er Heinz ungeschickt damit herum hantieren. Seine groben Finger verschmierten das Display. Er hämmerte darauf herum, als sei es eine uralte Schreibmaschine, so eine wie Christian sie bei seinem letzten Museumsbesuch gesehen hatte.
Er erinnerte sich lebhaft an den alten Kasten, mit den Farbbändern und dem beweglichen Wagen. Es war ihm schwer gefallen, sich vorzustellen, wie man mit so etwas schreiben konnte. Versonnen schaute er vor sich auf die verwitterten Mauersteine. Sie erinnerten ihn an irgendetwas. Außerdem taten ihm seine Arme weh. Wie lange wollten die ihn hier noch so stehen lassen?
»Das ist Programmiercode.« Heinz ließ den Handheld sinken und musterte Christian mit neuem Interesse. »Du bist Programmierer?«
»Was?« Heinz' Frage platzte in seine Gedanken. Den Faden ihrer kurzen Unterhaltung hatte er längst verloren. »Nein.«, Christian schüttelte den Kopf. »Ich bin Elektrotechniker.«
»Dann sind die nicht von dir?«, unterbrach Heinz ihn.
»Doch. Aber das sind Skripte«, korrigierte er gewissenhaft.
»Dann bist du Programmierer«, stellte Heinz bestimmt fest. »Glück für dich, sonst müssten wir dich an die Mauer stellen.«
Aber da stand er doch schon. Verwirrt starrte Christian auf die braunen Flecken, die sich um die Einschusslöcher gruppierten. Das war Blut, erkannte er mit seltener Klarheit. Es sah ganz anders aus, als im Film.
»He?« Heinz' Finger pikste in seinen Rücken.
»Äh, ja?« Der Heinz Honk wartete offensichtlich darauf, dass er etwas sagte. Aber was? »Ja, ich bin Programmierer«, bestätigte er schließlich. Fast hätte er Skripter gesagt, aber an derart feinen Unterschieden war der Mann offensichtlich nicht interessiert.
»Dann kannst du dich entspannen.«
Erleichtert sanken Christians Arme herunter. Prickelnd kehrte das Blut in seine Hände zurück. Sie fühlten sich kalt an, trotz der Sonne.
»Durst?«
»Was…?« Wenn sie doch aufhören würden, ihn mit ihren Fragen anzufallen.
Grinsend hielt Gabriel ihm eine Flasche entgegen. Vorsichtig nahm Christian das bauchige, mit Fell bezogene Gefäß in die Hand. In dessen Inneren gluckerte es.
Er hatte tatsächlich Durst, aber die Vorstellung aus dieser Flasche zu trinken, die von den Honks mit Sicherheit schon benutzt worden war, behagte ihm nicht.
»Trink!«, ermunterte Heinz ihn.
»Äh…ich…«, abwehrend hob er die Hand.
»Trink was!«, befahl Heinz drohend.
Sein Gebaren ließ kein Zweifel daran, dass Christian keine Wahl hatte. Widerwillig schraubte er die Flasche auf. Der Geruch trug nicht dazu bei seinen Appetit zu steigern, aber was blieb ihm übrig? Sorgfältig wischte Christian den Flaschenhals ab und trank einen Schluck.
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