»Und Herr Blohm?« schaute sie den Agenten aufmuntern an.
»Ja, ich auch.« Auf seinem Gesicht breitete sich ein jungenhaftes Grinsen aus. »Ich meine, ich entschuldige mich auch. Ich hätte besser aufpassen sollen. Und ich bin gar kein Mitglied in der Gewerkschaft.«
»Na, dann ist damit ja alles geklärt«, sagte Silya erleichtert. Schwierigkeiten mit der Gewerkschaft waren das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, und Kim reagierte mit roten Flecken im Gesicht, wenn man dieses Wort nur aussprach. »Sie wollen die Firma also verlassen, Herr Blohm?«
»Ja, ich will endlich mein Studium beenden. Es wird Zeit.«
Allerdings, dachte Silya. »Das ist eine ziemlich kurzfristige Entscheidung. In Ihrer Mail schreiben Sie, dass Sie den Arbeitsvertrag vorzeitig und so schnell wie möglich auflösen möchten.«
»Das hat eher ...nun, eher private Gründe«, sagte Blohm stockend, wobei er Silyas Blick auswich und zu Patrick sah, der inzwischen auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch saß und an seinem Kaffee nippte.
»«Möchtest du Kaffee, Silya? Schwarz, ohne Zucker. Ich hoffe, du magst ihn so.«
»Danke«, sagte sie, ließ den Becher aber stehen. Eigentlich hatten sie beide abgesprochen, einander im Beisein Dritter nicht mit dem Vornamen anzusprechen, zumindest für eine Weile. Und wie sie ihren Kaffee trank, sollte Patrick inzwischen eigentlich wissen.
»Wenn Sie möchten, hole ich Ihnen schnell Milch und Zucker aus der Küche. Zwei Stückchen, richtig?«
Silya sah Blohm überrascht an. Aber sie wollte jetzt überhaupt keinen Kaffee trinken. »Nein, danke.«
»Oder lieber einen Pfefferminztee?«
Zu dieser Stunde am frühen Nachmittag trank sie tatsächlich gerne eine Tasse Pfefferminztee. Aber wieso wusste Blohm das?
»Dauert nur eine Minute«, sagte er, als Silya zögerte.
Naja, das Büro hatte schließlich eine Wand aus Glas. Wahrscheinlich kannten die meisten Agenten die eine oder andere ihrer Gewohnheiten.
»Was ist das eigentlich für ein komisches Ding, Silya?«
Patrick hielt ihr den Würfel aus Acryl entgegen, den sie als Briefbeschwerer nutzte. Blohms Anwesenheit dermaßen demonstrativ zu ignorieren war einfach kindisch, wie sie fand.
»Ich möchte keinen Tee. Vielen Dank, Herr Blohm.«
Er nickte. Und er lächelte sie unentwegt an, ohne dass sie dafür einen Grund erkennen konnte. Vielleicht, dachte sie, ist er einfach nur froh, diesem stumpfsinnigen Job endlich zu entkommen. Sie selbst würde es als Agent bestimmt keine drei Tage aushalten.
»Ist das eine versteinerte Pflanze oder so was?«
»Nein, eine Koralle«, sagte Silya knapp, ohne Patrick dabei anzusehen. Verdammt, sie wollte keinen Kaffee trinken. Sie wollte auch keinen Pfefferminztee. Und ganz bestimmt hatte sie keine Lust auf eine gemütliche Plauderei in ihrem Büro. Sie wollte einfach diese Angelegenheit mit Blohm abwickeln und dann so schnell wie möglich verschwinden, bevor der Nachmittag ganz vorbei war. Die Sonne würde nicht ewig auf ihren Balkon scheinen, so ein Mist, und außerdem war sie hungrig.
»Das ist eine Pennatularia «, sagte Blohm »Eine Federkoralle.«
Obwohl der Agent in Rutters Richtung sprach, hatte Silya den Eindruck, dass die Erläuterung ihr selbst galt. Fragend sah sie ihn an. Eine Pennatularia war nicht so leicht zu identifizieren wie ein Blauwal oder ein Goldfisch, und dass Blohm das konnte, war fast schon ein bisschen verrückt, zumindest aber gänzlich unerwartet.
»Die Bildersuche bei Google«, erklärte er. »Ich komme sooft an Ihrem Büro vorbei, drei- oder viermal jeden Tag, da war ich einfach neugierig. Ich finde sie sehr schön. Sehr interessant.«
»Sie sind ein Mann mit sehr vielen Interessen, was?«
Blohm ging nicht auf die mit einem sarkastischen Unterton vorgetragene Bemerkung von Patrick ein. Er schaute sie einfach nur an, was irritierend war, da seine Augen die exakt gleiche Farbe hatten wie ihre eigenen. Als blickte sie in einen Spiegel, so kam es ihr vor, und das war sicher auch der Grund, warum er ihr in diesem Moment so merkwürdig vertraut erschien. Doch das war ein genauso dummes Gefühl wie das, welches Blohm offensichtlich für sie hegte. Die Pennatularia war sicher interessant, wie der Agent gesagt hatte, aber sie war definitiv nicht schön. Natürlich meinte er Silya, das war ihr nun klar, genauso wie Patrick, der es ja bereits am Tag zuvor geahnt hatte. Dennoch war dies eine lächerliche Situation. Natürlich, sie wusste selbst, dass sie eine umwerfend schöne Frau war, aber sie würde niemals begreifen, warum das für Männer wie diesen Blohm so wichtig war. Und etwas anderes konnte sein Interesse kaum geweckt haben. Er wusste doch rein gar nichts von ihr.
»Wir wollten kurz über Ihre Kündigung sprechen, Herr Blohm«, erinnerte sie ihn. Um diesen verwirrenden Augenkontakt zu unterbrechen, bog sie ihren Rücken durch, so wie sie es bereits als Vierjährige im Ballettunterricht gelernt hatte. Sie war einige Zentimeter größer als er und schaute nun auf ihn herab. »Grundsätzlich sieht Ihr Vertrag eine Frist von drei Monaten vor. Es ist jedoch Politik des Hauses, niemanden zu halten, der eine Veränderung anstrebt. Haben Sie noch Resturlaub zu beanspruchen?«
»Nein.«
»Gut. Wir können einen Auflösungsvertrag zum Monatsende vereinbaren, wenn Sie möchten.«
»Ja.«
»Ich werde die Personalabteilung darüber in Kenntnis setzen. Man wird in den nächsten Tagen auf Sie zukommen.«
»Okay.«
Ein Geräusch hinter ihrem Rücken ließ sie nervös zusammenfahren. Ärgerlich sah sie Patrick an, dem der Briefbeschwerer aus der Hand gefallen war.
»Ist sonst noch was?« wandte sie sich wieder Blohm zu.
»Nein.« Er machte einen Schritt rückwärts. »Wenn ich weitere Fragen habe, können wir ja später darüber sprechen. Sie kommen doch zur Sommerfeier?«
»Selbstverständlich.« Silya verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber ehrlich gesagt, ich habe wenig Lust, ausgerechnet heute Abend weiter über dieses Thema zu sprechen. Es dürfte alles hinreichend geklärt sein, denke ich.«
Blohm verließ das Büro. Silya schloss die Tür hinter ihm. Als sie Patrick ansah, grinste der sie unverschämt an.
»Ich habe dir ...«
»Schon gut«, unterbrach sie ihn. »Du hast mir das bereits gestern gesagt. Ja, ich erinnere mich. Willst du dich jetzt wirklich über Herrn Blohm unterhalten?«
»Nein. Er ist unwichtig. Oder?«
»Zu unwichtig, um auch nur ein einziges Wort mehr über ihn zu verlieren.«
Patrick deutete auf den Briefbeschwerer, den er vom Boden aufgehoben und zurück auf seinen Platz gestellt hatte. »Was ist das?«
»Hast du doch gehört. Eine Federkoralle.«
»Aber warum steht das Ding hier? Ist Tauchen ein Hobby von dir? Und du hast die Koralle selbst vom Grund irgendeines Meeres gefischt, umzingelt von zwanzig menschenfressenden Haien?«
»Ja, genau. Und in deiner Fantasie hatte ich dabei überhaupt nichts an.«
Patrick lachte. »Das mit dem Kaffee tut mir leid«, sagte er dann mit zerknirschter Miene ziemlich unvermittelt. »Du magst ihn lieber mit Milch und Zucker, was?«
»Wie in allen Kaffeepausen, die wir zusammen verbracht haben.«
Patrick reagierte mit erhobenen Händen auf ihren gereizten Tonfall.
Silya holte ihre Jacke und die Tasche mit dem Laptop aus dem Einbauschrank, der die hintere Wand des Büros einnahm. »Das mit den Blumen war total süß von dir«, sagte sie und klimperte mit dem Türschlüssel.
»Ich war sowieso in der Gegend und dachte, ich schau mal kurz vorbei.«
»Haha«, sagte Silya trocken, die ihm kein Wort glaubte. »Ich wette, du hast da schon eine ganze Woche drüber nachgedacht. Aber meine Adresse, woher wusstest du die?«
»Für jeden durchschnittlich begabten Psychopathen ist so was kein Problem.«
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