Er schrieb Bob eine SMS, um abzusprechen, wie sie das mit den Autos regeln wollten. Dann brachte er Travolta in eine Hundepension, wo sein bester Kumpel Sparky bereits sabbernd am Gartentor wartete. Zu Hause legte er sich ins Bett, konnte aber nicht einschlafen, weil er in Erwartung des Abends zu aufgeregt war. Außerdem hatte er Hunger. Also stand er wieder auf, kochte Kaffee und bereitete ein Omelette mit Kräutern zu. Er frühstückte im Bett, wobei er penibel darauf achtete, die frischen Laken nicht zu beschmutzen. Er hörte Musik, duschte und zog sich an, Jeans und ein weißes T-Shirt wie immer. Mit einem versonnenen Gesichtsausdruck ging er durch das kleine Appartement, wischte Staub, räumte hie und da etwas auf, dachte unentwegt an Silya und spülte das Geschirr.
Gegen Mittag holte er Bob ab, der einen freien Tag hatte. Gemeinsam fuhren sie mit dem BMW zum »Palermo«, wo David in sein Cabrio umsteigen wollte, um anschließend zur Arbeit zu fahren. Dafür war er zwar etwas früh dran, aber er würde die Zeit einfach für ein ausgiebiges Mittagessen in der Kantine nutzen. Manchmal ging Silya auch dorthin. Vielleicht hatte er ja Glück.
Bob trug einen weißen Anzug mit Schlaghosen, dazu ein schwarzes Hemd, das mit roten Rosen bedruckt war. Eine Pilotenbrille mit grünen Gläsern und Schuhe mit Plateausohlen komplettierten das Outfit. An jedem anderen, dachte David, sähe das einfach nur bescheuert aus. Aber Bob trug es mit einer Lässigkeit, als käme er direkt aus den 70ern.
»Ist das ein neues Eau de Cologne?« David schnupperte an Bob, als der sich auf den Beifahrersitz setzte. »Oder ist das der Geruch von Mottenkugeln?«
»Die Frauen werden wie Motten an mir hängen, wenn ich so auf der Sommerparty erscheine.«
David nickte. »Du kannst sie alle haben«, sagte er. »Mir reicht die eine.«
»Ja, ich weiß. Die Stradivari unter den Frauen.«
»Schön formuliert. Was stimmt dich so poetisch?«
»Der Restalkohol.«
Als sie bei Marcos Restaurant ankamen, stieg Bob als erster aus. Da er mit den Plateausohlen nicht fahren wollte, öffnete er den Kofferraum des BMW und zog die blutbefleckten Schuhe vom Vortag an. Dabei entdeckte er die Orchideen.
Er wedelte mit Rutters Visitenkarte in Davids Richtung, der auf der anderen Straßenseite damit beschäftigt war, das Verdeck des Cabrios zu öffnen. »Was hat denn das zu bedeuten?«
»Die Blumen soll ich dir von Rutter geben. Wenn der dich heute Abend in diesem schicken Anzug sieht, verliebt er sich garantiert.«
»Jetzt mal ohne Scheiß, Mozart!«
David startete den Motor, fuhr ein paar Meter, um dann genau neben dem BMW zum Stehen zu kommen. »Herrje, Bob«, sagte er, »lass bloß die Blumen verschwinden. Das ist ein Beweisstück, das dich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen kann. Wenn die Bullen danach fragen, dann sag um Himmels Willen, dass du Rutter in der letzten Nacht nicht gesehen hast. Und überleg dir mal, wie du denen das Blut auf deinen Schuhen erklären willst.«
Bob schaute dem davonfahrenden Renault hinterher. Im Rückspiegel sah David, wie die Blumen in den Kofferraum flogen.
Die Kantine stand sämtlichen Mitarbeitern der in dem Bürokomplex untergebrachten Firmen offen, wurde wegen der gesalzenen Preise aber überwiegend von Führungskräften besucht. David war anfangs wegen seiner legeren Kleidung aufgefallen, doch da er inzwischen jede Woche ein oder zweimal hier aß, starrte ihn zumindest niemand mehr unverhohlen an. Wie immer bestellte er das vegetarische Tagesmenü. Seine Wahl wurde allerdings nicht durch gesundheitliche oder weltanschauliche Aspekte bestimmt, sondern resultierte einzig aus der Beobachtung, dass Silya diese Form der Nahrungszusammenstellung zu bevorzugen schien. Und er wollte die Chance, von ihr mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen zu werden, keinesfalls durch ein blutiges Steak auf seinem Teller schmälern. Um die Selbstgeißelung nicht auf ein unerträgliches Maß zu steigern, nahm er zum Nachtisch eine Schokoladencreme sowie ein Stück Erdbeertorte mit Sahne.
Nach dem Essen trank er einen Kräutertee und blätterte in einer liegen gelassenen Zeitung, deren Sprache er nicht verstand. Während er wartete und eine weitere Tasse Tee trank, kam ihm zum ersten Mal ernsthaft in den Sinn, dass er seinen Job kündigen könnte, um Silya so einen möglichen Interessenskonflikt zu ersparen. Es war ihrer Karriere sicherlich nicht zuträglich, wenn sie eine Beziehung mit einem Telefonisten einging. Und es war auch nicht unbedingt ein erotisierender Gedanke, dass sie jeden Monat mehr Geld für Schuhe ausgab, als er mit seinen diversen Jobs überhaupt verdienen konnte. In ihren Augen musste er wie ein absoluter Verlierer aussehen. Und wenn er endlich das Studium beendete? Musiklehrer, na ja, das war weiterhin eine Vorstellung von alptraumhafter Qualität, aber allemal besser, als eine Zukunft ohne Silya in Erwägung zu ziehen. Vielleicht war er einfach an dem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er erwachsen werden musste.
Er bat den Kellner um einen Kugelschreiber und notierte ein paar Zahlen auf dem weißen Rand der Zeitung. Er besaß zwei Saxophone – ein neuwertiges Yamaha YTS 875 und eine siebzig Jahre alte Ladyface von Conn -, deren Verkauf ihm genug einbrächte, um mindestens vier Monate ohne den Job im Call Center über die Runden zu kommen. Für den Renault bekäme er bei eBay wahrscheinlich nur einen Euro, allerdings würde der Wegfall der laufenden Kosten sein Budget enorm entlasten, zumal er mit dem Studententicket viel billiger U-Bahn fahren konnte. Eine Handvoll der 2000 CDs, die er im Laufe der Jahre angesammelt hatte, würden einen respektablen Preis erzielen, aber den großen Rest würde er billig auf dem Flohmarkt verscherbeln müssen.
Offenbar hatte Silya heute nicht vor, in der Kantine zu essen. David wartete und hoffte bis zur letzen Minute, aber dann musste er los, um nicht schon wieder zu spät zu kommen. Im Aufzug schaute er in der verspiegelten Rückwand sein Gesicht an, zunächst ernsthaft, dann grinsend, und als er in der siebten Etage ausstieg, war der Entschluss gefasst. Um das Examen im nächsten halben Jahr über die Bühne zu kriegen, musste er mit zwei, drei Professoren sprechen, war aber zuversichtlich, dass sie seinem Vorhaben wohlwollend begegnen würden. Wahrscheinlich waren sie froh, ihn endlich loszuwerden. Wenn er all seine Sachen verkaufte, war diese Zeit auch ohne festes Einkommen zu überbrücken. Der Job bei Marco war zwar unregelmäßig, brachte aber gutes Geld, und außerdem konnte er im Notfall privaten Musikunterricht geben.
Im Call Center ging sein erster Blick zu dem Büro aus Glas. Silya telefonierte, die Tür war geschlossen, und wie immer, wenn sie sich stark zu konzentrieren schien, war auf ihrer Stirn ein kleines Fältchen zu sehen. Ihre Mimik war David inzwischen dermaßen vertraut, dass er meinte, ihr Gesicht aus dem Gedächtnis zeichnen zu können. Als er es später an seinem PC-Platz versuchte, kommentierte Franzi das Ergebnis mit der Behauptung, das Bild sei von einem Schimpansen gemalt worden.
»Nein, wirklich«, beharrte sie, »ich kann nicht erkennen, wer das sein soll. Vielleicht die Frau, die dem Schimpansen die Bananen bringt«
Ein eingehender Anruf hinderte David an einer Antwort. Der Werbespot für eine Illustrierte ließ sämtliche Agents nach ihren Headsets greifen. Kaum war ein Anruf erledigt, ging es sofort mit dem nächsten weiter, attacca subito , und David verkaufte innerhalb kürzester Zeit vier Abonnements. Er hielt entsprechend viele Finger hoch, als es plötzlich wieder ruhig wurde. Franzi reckte ihm triumphierend eine Faust entgegen, was bedeutete, dass sie fünf Verträge abgeschlossen hatte.
»Streber«, sagte David. Dann erzählte er von der vergangenen Nacht.
»So ein Aufwand für nix«, meinte Franzi kopfschüttelnd zwischen zwei Calls. »Warum hast du nicht einfach vor ihrer Tür gewartet? Warum gehst du nicht jetzt zu ihr ins Büro? Jetzt sofort!«
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