Im übrigen ist religiöser Glaube wie die Liebe in erster Linie eine Herzensangelegenheit. Und wie oft haben wir uns schon über einen gescheiten Mann gewundert, in dessen Herzen eine ordinäre Vettel eine flammende Liebe entfachen konnte? Die lächelnde Sehnsucht , die aus ihrem Gesicht strahlte und von der schon Homer ergriffen war, mag da bereits genügt haben.
Sollten dir, lieber Leser, meine Erklärungen des Phänomens 'In religiösen Angelegenheiten glauben auch kluge Leute an Absurditäten' wenig plausibel erscheinen, so bitte ich dich, einmal der Frage nachzugehen, warum diese Leute nicht in anderen Angelegenheiten ebenfalls Absurdes akzeptieren. Sie müssten doch zu allem, was auch immer aufgetischt wird, gläubig mit dem Kopf nicken.
Alle diese Religionen, unterstützt von eminenten Geistern, flattern, so die Auslegung liberaler Denker, um das eine Urgeheimnis, das aufgrund seiner Tiefe verschiedene Zugänge erlaubt. Ein Argument, das allerdings nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Im Buddhismus beispielsweise, einer altehrwürdigen Religion, kommt ein Gott überhaupt nicht vor. Die ersten christlichen Missionare hatten allein schon deswegen große Schwierigkeiten, Buddhisten Gottes Wort zu vermitteln, weil das Wort ‘Gott‘ nicht adäquat übersetzt werden konnte. In der Antike glaubte man an innerweltliche Götter, die dem Schicksal unterworfen seien. Die Zahl der Götter im Hinduismus beträgt mehrere Hunderttausend. Einer seiner Hauptgötter, Schiwa, offenbart sich, so die Lehre, in Formen, die seine Freude annimmt. Im Shintoismus, der heute noch sehr lebendigen Urreligion der Japaner, sind es die Ahnen, nicht Götter, welche die Hauptrolle spielen. Der Islam verbietet die bildliche Darstellung Gottes, weil sie ihn nie erfassen, nur herabsetzen könnte.
Erklären ließe sich die Flatterhaftigkeit der mannigfachen Religionen freilich auch damit, da, wo kein Geheimnis sei, könne auch keine Lösung sein. Was die geschlossene Fensterscheibe ist, hinter der die verschiedensten Insekten auf und ab flattern, um ins Freie zu gelangen, ist unsere fixe Idee – die dem Buddhismus fremd ist – , die Welt müsse entstanden sein, folglich auch einen Schöpfer haben. Eine Wahnvorstellung, mit der wir einfach nicht ins Freie gelangen. Ohne diesen Fehlschluss verflüchtigt sich aber das Geheimnis der Welt; das Fenster öffnet sich. Wir sind im Freien, das zum unerschaffenen und unvergänglichen Ganzen gehört. Ein Ganzes, das aber, wie bereits dargelegt, kein Ganzes ist, weil ein Ganzes durch Grenzen konstituiert wird. Die aber fehlen nun einmal.
Gewiss, den Beweis für die Anfangslosigkeit des Universums kann keiner erbringen. Er kann aber auch von niemandem gefordert werden. In der Beweispflicht stehen hingegen diejenigen, die einen Anfang behaupten. Die argumentieren, weil alles da sei, müsse es einmal nicht da gewesen sein. Eine verblüffende Folgerung, die eben nach einem Beweis verlangt.
Gesetzt übrigens, es habe doch einen Schöpfer gegeben, so möchte ich an dieser Stelle auf das ungeheure Wagnis hinweisen, das er mit der Planung und Durchführung seiner Schöpfung eingegangen ist. Ein größeres Risiko ist wohl kaum vorstellbar als das, was mit der Hervorbringung der Welt verbunden war. Nach dem Verdikt der Pessimisten war das Unternehmen auch ein verhängnisvoller Fehlschlag mit der Folge einer nicht enden wollenden Malaise.
Die ständige Erbostheit Gottes, die allein schon mit einem überlegenen Wesen nicht in Einklang steht, diese dauernde Gereiztheit, die mit Weisheit kaum zu vereinbaren ist, dieser Ingrimm, der uns fast aus jeder Seite des Alten Testamentes entgegenschlägt, lässt vermuten, dieser Murrkopf sei gleicher Ansicht. Woher hätte er auch rechtzeitig die Daten nehmen sollen, die ihn hätten warnen können, von der ganzen Sache besser die Finger zu lassen? Vorläufer, aus denen er hätte Erfahrungen ziehen können, gab es nicht. Auch keine kompetente Instanz neben oder über ihm, die ihm mit Rat hätte zur Seite stehen können. Philosophen, Theologen, Soziologen und Politiker, die sicherlich so manches besser gewusst hätten, waren ebenfalls noch nicht zur Hand.
Woher sollte dieser Gott nur wissen, ob seine Ratschlüsse richtig sind? Erwägungen, in absoluter Einsamkeit angestellt, bezogen auf etwas noch nie Dagewesenes, Geschöpfe betreffend, die zusätzlich die Freiheit erhalten sollten, in eigener Regie bestimmen zu können, was sie tun und was sie lassen wollten. Davor stand er, der Schöpfergott und sagte sich (wem auch sonst): „Es soll geschehen!“
In ihm einen Hasardeur zu sehen, möchte wohl übertrieben erscheinen. Aber einen Abenteurer mag man ihn wohl nennen dürfen. Wozu sich ja auch die Einsicht paart, unser ganzes Leben sei ebenfalls nichts weiter als ein Abenteuer.
Weniger abenteuerlich veranlagt, hätte Gott die dem Menschen gewährte Willensfreiheit doch auch so ausstatten können, dass sie die Möglichkeit der freien Entscheidung zu allem enthält mit der einzigen Ausnahme, sich nicht für das Böse entscheiden zu können. Kaum vorstellbar, wie friedlich es mit dieser kleinen Einschränkung unter den Menschen zuginge. Zwar könnten sie nicht mehr jeden Abend mit einem Fernsehkrimi unterhalten werden – wäre doch der eigentliche Knüller der Willensfreiheit, die Möglichkeit des Bösen (vor allem Mord,Mord,Mord) entfallen – , dafür aber führten sie ein so gottgefälliges Leben, dass es allen zur allgemeinen Freude gereichen müsste. Doch o weh, auf diesen Knüller zu verzichten, gelingt – nach unserer Betrachtungsweise – noch nicht einmal einem Gott. Auch ihn verlangt es nach Sensationen.
Da die Willensfreiheit in der Ethik eine so große wie unverdiente Rolle spielt, ist hierzu weiteres zu bemerken. Der Begriff Willensfreiheit enthält bereits einen Widerspruch, weil, wo ein Wille, keine Freiheit sein kann. Weswegen die Verfechter der Willensfreiheit einen Gegenbegriff erst gar nicht aufkommen ließen: Willenszwang. Hier wäre die Tautologie aufgefallen und dadurch die Widersprüchlichkeit des ersten Begriffs.
Freiheit ist nur da, wo nicht getrieben wird. Indes, wie gelangt ein mit angeblicher Willensfreiheit ausgerüsteter Mensch zu einer Entscheidung? Er wägt das Für und Wider ab, das aus ihm unbekannter Quelle aufsteigt und sich auf Umstände bezieht, die oftmals ohne ihn zustande gekommen sind, oft aber auch von ihm, seinem Charakter gemäß, den er sich nicht gegeben hat, provoziert werden. Um schließlich das zu tun, was ihm günstiger erscheint und zu dieser Entscheidung treibt. Die Erkenntnis, was ihm günstiger erscheint, hängt aber von seinem Willen ab, nicht hängt der Wille von seiner Erkenntnis ab. Der Wille geht der Erkenntnis voraus. Das Argument, das seinem Willen am weitesten entgegen kommt, erscheint dann als das bessere und übt eine zwingende Wirkung aus. Entscheidet er spontan, geht ein plötzlicher Anreiz voraus, der längeres Überlegen verhindert und ihn zu dieser Entscheidung treibt. Getrieben wird er allemal.
Dabei hat er nicht eine Waage vor sich, in die er die verschiedenen Argumente legt, sondern er selbst ist die Waage, die entscheidet, welche der beiden belasteten Waagschalen sich tiefer senkt. Und wie die mechanische Waage gehorcht auch die lebendige Waage den Kausalgesetzen, nach denen jede Wirkung eine Ursache und jede Ursache wieder eine vorausgehende Wirkung aufweist. Unmöglich ist eine Waage, die ihre Reaktion aus dem Nichts rekrutiert.
Was ich will oder was ich nicht will, das entscheide nicht ich, sondern mein Wille. Der ist aber jederzeit zuerst da. Ich bin nicht Herr meines Willens, sein Sklave bin ich. Nicht ich habe einen Willen, der Wille hat mich. „ Die Menschen wollen nicht, wie sie denken, sondern sie denken, wie sie wollen“, sagt Matthias Claudius. Ja, ich kann, wenn die Umstände günstig sind, tun, was ich will. Dem liegt aber keine freie Entscheidung zu Grunde, sondern die treibende Kraft des Willens. Sind die Umstände nicht günstig, kann ich nicht tun, was ich will. Dem liegt ebensowenig meine freie Entscheidung zu Grunde, sondern der Zwang der Umstände, der die Umsetzung meines Willens verhindert – ohne ihn zu besiegen. Sagt einer „Was hätte ich nicht alles tun können, wenn ich nur gewollt hätte!“ oder unter anderen Umständen „ Ich wollte schon, aber ich konnte nicht!“ gibt er eigentlich den wahren Sachverhalt zu, nämlich den der gänzlichen Unfreiheit in seinen Entscheidungen.
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