Die Schäbigen reden sich und uns ein, die inhumanen Zeiten, zu denen die Bibel entstand, seien Gott sei Dank vorbei und es sei längst Zeit, ihren Inhalt zeitgemäß zu interpretieren. Wer dem zustimmt, gesteht allerdings, in eben dieser Bibel nichts als ein Menschenerzeugnis zu sehen, das man folglich redaktionell überarbeiten dürfe. Denn war sie wahrhaftig Gottes Offenbarung, so ist sie es heute auch noch und wird wohl nur durch Gott abgeändert werden können. Und solange der uns keine aktualisierte Offenbarung zukommen lässt, müssen wir uns an die alte halten. Statt unter der alten Flagge ohne Anweisungen des Kapitäns einen neuen Kurs unter Anweisung der öffentlichen Meinung zu segeln. Die Erwartung, damit mehr Kreuzfahrer an Bord zu locken, weicht zunehmend der Ernüchterung, die letzten treuen Fahrgäste zu verlieren. Der ehebrecherische Pfarrer, der an den christlichen Gott glaubt, ist zwar eine komische Figur, aber Christ. Hingegen der progressive Geistliche, der an den Menschen glaubt und dessen Heil auf Erden verwirklichen will, nur eine komische Figur ist.
Ewige Höllenpein als Strafe für zeitliche Vergehen, wie z.B. Unfolgsamkeit, widerspricht dem Gerechtigkeitssinn der Gerechten wie auch der Ungerechten. Eher entspricht sie dem, was ein Priesterhirn auszubrüten vermag. Und einem Charakter, der sich zwar selbst nicht meistern kann, dafür aber alles daran setzt, wenigstens die anderen zu meistern.
Listig, wie dies Hirn nun einmal ist, hat es sich gesagt, dem ewigen glückseligen Leben im Himmel muss ein ewiges Leiden in der Hölle gegenüber gestellt werden. Ist dies nicht auch ewig, sagt sich nämlich der freche Lümmel, der mir nicht entkommen soll: „Na ja, einmal ist damit auch Schluss. Danach bleibt ja dann nur noch der Himmel übrig. Und gegen den ewigen Aufenthalt dort ist der zeitlich begrenzte in der Hölle nur eine Stippvisite. Voraussichtlich sogar ein interessantes Vorspiel, bei dem ich Kumpanen begegne, mit denen gemeinsam ich tolle Pläne für die kommende himmlische Ewigkeit schmieden kann.“ Stellt sich der Priester das arme Sünderlein tatsächlich so einfältig vor? Ja, und ausnahmsweise wird seine Anschauung wohl einmal die richtige sein.
Hätte das Priesterhirn als Alternative nach der Hölle den endgültigen Tod, die Nicht-Existenz angeboten, wäre dem Lümmel die Ausflucht geblieben: „Na ja, irgendwann ist es sowieso aus.“ Und der Priester hätte damit etwas getan, was wider seine Natur ist: er hätte einen Menschen aus seinen Fängen entlassen. Was ja auch ein Hirte, mit dem sich der Priester so gerne vergleicht, mit seinen Schafen nicht tun darf. Der Hirte steht übrigens gewöhnlich neben seiner Herde, langweilt sich dort und sieht in der Herde nur Produzenten von Nahrungsund Bekleidungsmitteln.
So nennt die Kirche Suizid auch Selbst mord und sieht darin eine Todsünde. Der Selbstmörder fährt ohne Wenn und Aber stracks in die Hölle, auch weil er eine Gelegenheit zur Beichte und Reue von vornherein ausgeschlossen hat. Seine Leiche durfte bis vor kurzem nicht auf dem Kirchhof bestattet werden, auch anderenorts ein Priester nicht der Beerdigung beiwohnen. Die Hinterbliebenen sollten so richtig mit bestraft werden; der tragische Verlust allein genügte nicht. Wäre doch gelacht, wenn sich einer so einfach davon schleichen könnte. Der eine oder andere Priester mag dabei durchaus geglaubt haben, damit Gottes Wille zu erfüllen. Der nämlich, so des Priesters Weisheit, schafft es allein gar nicht, alle Menschen zu piesacken.
Warum lässt der Allgütige und Allwissende seiner den richtigen Weg suchenden Kreatur nicht rechtzeitig die wünschenswerte Erkenntnis zukommen? Er sieht doch, da ja noch nicht einmal ein Sperling ohne sein Zutun vom Baum fällt, wohin der Suchende treibt. Will er ihn prüfen? Aber er kennt doch das Prüfungsergebnis im voraus.
Müssen wir wirklich unseren Verstand ausschalten, um diesen Gott, nein, nicht zu verstehen, sondern um ihn zu akzeptieren und ihm blind folgen zu können? Aber der Verstand ist uns doch gegeben worden, um uns gerade in schwierigen Fragen Hilfe zu leisten. Fragen, die von eben diesem Verstand aufgeworfen werden. Er wirft sie auf und soll gleichzeitig einsehen, sich bei ihrer Beantwortung besser zu verabschieden. Abschaffung des Verstandes durch den Verstand.
Das tat dann auch der erste lateinischer Theologe, Tertullian, indem er bekundete credo quia absurdum est ( ich glaube, weil es widersinnig ist). Wegen dieser Aussage, die auch aus einem Tollhaus stammen könnte, wurde ihm in Kirchenkreisen bis auf den heutigen Tag Ruhm zuteil.
Wie soll man eine solche Torheit eines ansonsten scharfsinnigen Mannes verstehen? Sah er ein, mit dem Verstand in bestimmten Glaubensfragen nicht weiterkommen zu können und ließ ihn deshalb über die Klinge springen? Warum bedient er sich dann aber in anderen Glaubensfragen ausgiebig dieser Geistesgabe, um Spitzfindigkeiten zu beweisen?
Wie wäre es mit folgender Erklärung? Der sich in seiner religiösen Verzückung Gott Nähernde wird gleich dem sich dem Gipfel nähernden Bergsteiger vom Gipfelfieber befallen. Ein Fieber, das Vorsichtsmaßnahmen missachten lässt. Da oben will er hin, zum Sehnsuchtspunkt all seiner bisherigen Anstrengungen und Vorbereitungen. Sich kurz davor wähnend, setzt er alles auf eine Karte, stürzt ab – oder findet nicht mehr zurück und landet im Glauben.
Gestärkt und mit einer Sicherheit, die der Ungläubige nicht aufzuweisen hat, geht er gehörig erfolgreicher durchs Leben. Zeugt frohgemut Kinder und sorgt damit für den Bestand seiner Religion. Da sich nach der Evolutionstheorie Selektionsvorteile in erhöhter Nachkommenschaft manifestieren, dürfte inbrünstige Religiosität in evolutionärer Hinsicht durchaus von Vorteil sein. So haben denn auch die großen Kirchenmänner der Vergangenheit zahlreichen Nachwuchs aufzuweisen, die der Gegenwart, weil ohne Format, nicht.
Eine weitere Erklärung dafür, etwas zu glauben, weil es absurd ist: Die Lebensumstände des Gläubigen ließen ihn mit der christlichen Religion dort in Bekanntschaft treten, wo diese Religion als wohlbegründete Sache galt. Ihr Inhalt war Wahrheit – ohne Zweifel. Und damit musste sich schließlich auch einmal der Verstand auseinandersetzen. Mit dem Ergebnis, mit dieser anerkannten Wahrheit nicht zu Rande zu kommen. Die Wahrheit konnte der Verstand jedoch nicht über Bord werfen, das verbot er sich selbst. Folgerichtig musste der Verstand dran glauben.
Und die Vernunft? Die fand das sehr vernünftig. Sie sagte ihm: „Dass die Wahrheit nicht wahr ist, das kann doch nicht wahr sein.“ Gelegentlich aufkommender Zweifel wurde mit Trotz erstickt. So dass jetzt nicht trotz, sondern sogar wegen der Absurdität geglaubt wurde. Im Falle des Tertullian, das sei eingeräumt, verhielt es sich nicht ganz so. Denn er wuchs in einer Zeit auf, in der das Christentum um seinen Aufstieg zu kämpfen hatte. Sein Vater war noch 'Heide' gewesen.
Gerne wird in der Verteidigung eines religiösen Glaubens auf die stattliche Zahl großer Geister der Gegenwart und Vergangenheit hingewiesen, die diesem Glauben einst huldigten bzw. noch huldigen. Der auf diese Weise Beeindruckte wird dann wohl an den Glauben eines anderen glauben, weniger an die eigentliche Botschaft. Zudem ist es ein Appell an die elementare Autoritätsgläubigkeit des Herdentieres, leicht zu schwächen durch den Hinweis auf kluge zeitgenössische Vertreter der verschiedensten, teils sich widersprechenden, Religionen. Wollte man redlicherweise auch noch die verstorbenen, mit Geistesgaben gesegneten Anhänger längst erloschener Religionen anführen, würde o.g. Appell geradezu lächerlich erscheinen.
Es gehört nun einmal zum Wesen eines Glaubens (welchen Inhaltes auch immer), den Verstand nur da gänzlich auszuschalten, wo es um den Kernpunkt geht. Nämlich darum, die Botschaft grundsätzlich für wahr zu halten. Ist das geschehen, wird der übrige Verstand in den Dienst des Glaubens genommen. Der tief Gläubige ist ein Besessener, und was ihn besetzt, macht von allen Kräften des Besessenen Gebrauch, ohne sie zu vermindern. Sie werden nur in andere Richtungen gelenkt, tragischerweise in die falschen. Gleich dem Krebsgeschwür, das den Körper besetzt und dessen Kräfte zu seinem Wachstum missbraucht, um schließlich dem ganzen Organismus die Lebensfähigkeit zu rauben.
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