Aber es gab dagegen kein Mittel, ich mußte ihnen entweder folgen, oder mich von ihnen gänzlich fern halten, und so mein Amt zu vernachlässigen scheinen. Heute bewiesen sie eine besondere Anhänglichkeit für eine Quelle am untern Ende des Rasenplatzes, wo sie hartnäckig länger als eine halbe Stunde mit Stöcken und Steinchen spielten. Ich schwebte in beständiger Furcht, daß ihre Mutter sie vom Fenster aus sehen, und mich tadeln würde, daß ich ihnen gestatte, so ihre Kleider zu bedengeln, und ihre Füße und Hände naß zu machen, statt sich zu bewegen; aber weder Vorstellungen, noch Befehle, noch Bitten vermochten sie hinwegzuziehen. Wenn sie sie aber nicht sah, so that es eine andere Person — ein Reiter war durch das Thor gekommen, und näherte sich uns auf dem Fahrwege; in einiger Entfernung von uns hielt er an, rief die Kinder in einem ärgerlichen, durchdringenden Tone, und gebot ihnen, aus dem Wasser zu gehen.
»Miß Grey,« sagte er, »(ich denke mir, es ist Miß Grey) — ich bin erstaunt, des Sie den Kindern erlauben, auf diese Weise ihre Kleider zu beschmutzen. — Sehen Sie nicht, wie Miß Bloomfield ihr Kleid verunreinigt hat? — und daß Master Bloomfields Socken ganz durchnäßt sind? — und Beide keine Handschuhe haben? — Ei, ei, ich muß Sie ersuchen, sie in Zukunft wenigstens anständig zu erhalten.« Und hiermit wendete er sich ab, und ritt nach dem Hause zu weiter.
Dies war Mr. Bloomfield. Ich erstaunte, daß er seine Kinder Master und Miß Bloomfield nannte, und noch mehr, daß er so unhöflich gegen mich, ihre Gouvernante, und eine vollkommen Fremde sprach.
Bald darauf rief uns die Glocke zum Essen. Ich speis’te um ein Uhr mit den Kindern zu Mittag, während er und seine Gemahlin ihr Lunch an demselben Tische genossen. Sein Benehmen bei diesem Anlasse erhob ihn nicht sehr in meiner Achtung. Er war ein Mann von gewöhnlicher Statur, — eher unter als über derselben, und eher mager als stark, und dem Anscheine nach zwischen dreißig und vierzig Jahren. Er hatte einen großen Mund, einen blassen, schmutzigen Teint, milchblaue Augen und Haar von der Farbe hänfenen Bindfadens. Vor ihm stand eine gebratene Hammelkeule. Er legte der Mrs. Bloomfield, den Kindern und mir vor, forderte mich auf, den Kindern ihr Fleisch zu schneiden, drehte dann das Hammelfleisch nach verschiedenen Richtungen, betrachtete es von verschiedenen Seiten, erklärte es endlich für nicht essenswerth, und rief nach dem kalten Rindfleisch.
»Was ist mit dem Hammelfleisch vorgegangen, lieber Mann?« fragte Mrs. Bloomfield.
»Es ist viel zu stark gebraten; schmeckst Du nicht, daß alle guten Theile herausgebraten sind? und kannst Du nicht sehen, daß die ganze gute rothe Brühe völlig vertrocknet ist?«
»Nun, ich denke, daß das Rindfleisch Dir zusagen wird.«
Das Rindfleisch wurde vor ihn gestellt, und er begann es zu schneiden, aber mit den kläglichsten Ausbrüchen der Unzufriedenheit.
»Was fehlt dem Rindfleisch, Mr. Bloomfield? ich hielt es wirklich für sehr gut.«
»Es war auch sehr gut, es konnte kein besseres Stück geben, aber es ist ganz verdorben,« antwortete er kläglich.
»Wie so?«
»Wie so! — Nun siehst Du nicht, wie es geschnitten ist? Du lieber Gott, es ist wahrhaft entsetzlich.«
»Dann muß es in der Küche falsch geschnitten worden sein, denn ich weiß, daß ich es gestern hier ganz ordentlich geschnitten habe.«
»Ohne Zweifel, in der Küche wird es falsch geschnitten! Die Satans! Du lieber Gott! hat wohl je ein Mensch ein schönes Stück Rindfleisch so gänzlich ruiniert gesehen? Erinnere Dich aber, daß künftig, wenn ein anständiges Gericht diesen Tisch verläßt, in der Küche nicht angerührt werden darf. Vergiß es nicht, Mrs. Bloomfield.«
Trotz des abscheulichen Zustandes des Rindfleisches gelang es ihm, sich einige delikate Stücken herunter zu schneiden, von denen er einen Theil in tiefer Stille aß.
Seine nächste Frage war, in weniger zänkischem Tone, die, was es zum Mittagsessen gäbe.
»Truthahn und Moorhuhn,« war die kurze Antwort. —
»Und was sonst?«
»Fisch.«
»Welche Art von Fisch?«
»Ich Weiß es Nicht.«
» Du weißt es nicht? « rief er, indem er feierlich von seinem Teller aufblickte, und erstaunt Messer und Gabel empor hielt.
»Nein, ich habe der Köchin gesagt, daß sie etwas Fisch besorgen sollte — die Sorte habe ich nicht besonders angegeben.«
»Nun, das geht mir doch über das Bohnenlied! — eine Frau will eine Haushaltung führen, und weiß nicht einmal, welche Fischsorte zum Essen da ist! — will Fisch bestellen, und sagt nicht, was für welchen!«
»Vielleicht, Mr. Bloomfield, willst Du in Zukunft das Essen selbst bestellen.«
Es wurde weiter nichts gesagt, und ich war sehr froh, mit meinen Zöglingen aus dem Zimmer zu kommen, denn ich war in meinem Leben noch nie wegen etwas nicht durch meine Schuld Geschehenem so unbehaglich und beschämt gewesen.
Den Nachmittag verwendeten wir wieder auf Lektionen , gingen dann nochmals aus, tranken dann Thee im Schulzimmer, und dann kleidete ich Mariannen zum Dessert an, und als sie und ihr Bruder nach dem Speisezimmer hinabgegangen waren, ergriff ich die Gelegenheit, einen Brief an meine lieben Freunde daheim zu beginnen; aber die Kinder kamen herauf, ehe ich ihn noch halb vollendet hatte.
Um Sieben mußte ich Marianne zu Bette bringen, dann spielte ich mit Tom bis um Acht, wo er ebenfalls schlafen ging, und ich meinen Brief beendete, und meine Kleider auspackte, wozu ich bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte und endlich selbst zu Bette ging.
Aber dies ist ein sehr günstiges Muster, von den Vorfällen eines Tages.
Meine Aufgabe des Unterrichts und der Ueberwachung wurde, statt leichter, als meine Zöglinge und ich uns besser an einander gewöhnten, weit schwerer, wie sich ihre Charaktere entfalteten. Ich fand bald, daß der Gouvernantenname bei mir nur ein Spott war, denn meine Schüler hatten von Gehorsam eben so wenig eine Idee, wie ein wildes, ungezähmtes Füllen. Die Furcht vor dem ärgerlichen Charakter ihres Vaters, und den Strafen, die er aufzuerlegen gewohnt war, wenn sie ihn reizten, erhielt sie in seiner unmittelbaren Gegenwart meist in Schranken. Die Mädchen fürchteten auch einigermaaßen den Zorn ihm Mutter, und der Knabe ließ sich zuweilen durch die Hoffnung auf eine Belohnung bestechen, was sie ihm gebot, zu thun; aber ich hatte keine Belohnungen zu bieten, und was Strafen betraf, so gab man mir zu verstehen, daß die Eltern dieses Vorrecht für sich versparten, und doch erwarteten sie, daß ich meine Zöglinge in Ordnung halten sollte. Andere Kinder ließen sich wohl durch die Furcht vor Zorn, und den Wunsch des Beifalls leiten, aber auf diese übte weder das eine noch das andere den mindesten Einfluß aus.
Muster Tom begnügte sich nicht damit, sich nicht lenken zu lassen, sondern setzte es sich auch noch in den Kopf, Selbstherrscher zu werden, und zeigte sich entschlossen, nicht nur seine Schwestern, sondern auch seine Gouvernante durch gewaltthätige Anwendung der Hände und Füße in Ordnung zu halten, und da er für seine Jahre, ein großer, kräftiger Knabe war, verursachte dies eine nicht geringe Unannehmlichkeit. Ein paar gehörige Ohrfeigen hatten bei solchen Anlassen die Sache leicht genug abgemacht; da er aber in diesem Falle seiner Mutter eine Lügengeschichte erzählen konnte, die sie sicher geglaubt haben würde, da sie ein so unerschütterliches Vertrauen in seine Wahrhaftigkeit hatte, welche wie ich bereits entdeckt, aber keineswegs unerschütterlich war, so entschied ich mich, ihn auch zur Selbstvertheidigung nicht zu schlagen, und bei seinen gewaltthätigsten Launen war es mein einziges Auskunftsmittel, ihn auf den Rücken zu werfen, und seine Hände und Füße zu halten, bis sich der Tobanfall einigermaaßen gelegt hatte.
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