Anne Bronte - Agnes Grey
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Inhalt
Titelseite Anne Brontë Agnes Grey Roman
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapital
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Impressum
Anne Brontë
Agnes Grey
Roman
Erstes Kapitel
Das Pfarrhaus.
Alle wahren Geschichten enthalten Belehrung, wenn auch bei manchen der Schatz schwer zu finden sein mag und wenn man ihn findet, von so geringfügiger Quantität ist, daß der trockene, verschrumpfte Kern kaum die Mühe des Knackens der Nuß lohnt. Ob dies bei meiner Geschichte der Fall ist, oder nicht, bin ich kaum befähigt zu beurtheilen. Mitunter denke ich, daß sie für die Einen nützlich und für Andere unterhaltend sein dürfte, die Welt mag es aber selbst ausmachen — durch meine Dunkelheit und die seitdem verstrichenen Jahre und einige falsche Namen geschützt, fürchtete ich nicht, mich herauszuwagen und will dem Publikum dasjenige aufrichtig vorlegen, was ich meinem vertrautesten Freunde nicht enthüllen würde.
Mein Vater war ein Geistlicher im Norden von England, der von Allen, die ihn kannten, mit Recht geachtet wurde und in seinen jüngeren Tagen sehr behaglich von dem Einkommen einer kleinere Pfarrei, in Verbindung mit einem eigenen hübschen Vermögen, lebte. Meine Mutter, die ihn gegen den Wunsch ihrer Freunde geheirathet hatte, war die Tochter eines reichen Gutsbesitzers und eine Frau Von Muth. Umsonst stellte man ihr vor, daß sie, wenn sie den armen Pfarrer nähme, ihre Equipage und Kammerjungfer und alle Ueppigkeiten und Genüsse des Wohlstandes aufgeben müsse, welche für sie fast Lebensbedürfnisse waren. Ein Wagen und eine Kammerjungfer waren sehr bequeme Dinge, aber sie hatte, Gott sei Dank, Füße, die sie tragen und Hände, die ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen konnten. Ein elegantes Haus und geräumige Anlagen waren nicht zu Verachten, aber sie wollte lieber mit Richard Grey in einer Hütte, als mit einem andern Manne auf Erden in einem Palaste leben.
Da ihr Vater fand, daß alle Gründe nutzlos waren, sagte er endlich den Liebenden, daß sie einander heirathen könnten, wenn sie wollten, daß seine Tochter aber dadurch ihr Vermögen gänzlich verwirken werde. Er erwartete, daß dies die Gluth Beider abkühlen würde, hatte sich aber verrechnet.
Mein Vater kannte den hohen Werth meiner Mutter zu gut, um nicht zu wissen, daß sie allein schon ein großes Vermögen aufwog und sagte, daß er, wenn nur einwilligen wolle, seinen bescheidenen Heerd zu verschönern, froh sein würde, sie unter jeder Bedingung zu nehmen, während sie ihrerseits es vorzog, mit eigenen Händen zu arbeiten, als von dem Manne, welchen sie liebte, getrennt zu werden, für dessen Glück zu wirken es ihre Freude sein würde, und der bereits an Herz und Seele Eins mit ihr war. Das ihr bestimmte Vermögen vermehrte also das einer klügeren Schwester, die einen reichen Nabob geheirathet hatte und sie vergrub sich, zur Verwunderung und dem mitleidigen Bedauern Aller, die sie kannten, in der einfachen Dorfpfarre in den Hügeln von — und trotz alledem, und trotz der Hartnäckigkeit meiner Mutter und der Launen meines Vaters,« glaube ich doch, daß man ganz England hätte durchsuchen können, ohne ein glücklicheres Paar zu finden.
Von sechs Kindern waren meine Schwester Mary und ich die einzige, welche die Gefahren der Kindheit überlebten. Ich, die nur fünf bis sechs Jahre jünger war, wie jene, wurde stets als das Kind und das Spielzeug der Familie betrachtet — Vater, Mutter und Schwester, Alle vereinigten sich, mich zu verziehen, — nicht mich durch thörichte Nachsicht ungehorsam und Widerspenstig, sondern durch unermüdliche Güte mich zu hilflos und von Anderen abhängig, zu ungeeignet in dem Kampf mit den Sorgen und Mühen des Lebens zu machen.
Mary und ich wurden in der strengsten Abgeschlossenheit erzogen. Meine Mutter, die an Kenntnissen und Fertigkeiten reich war und die Beschäftigung liebte, nahm die ganze Last unserer Erziehung auf sich, mit Ausnahme des Lateinischen, welches uns mein Vater lehrte, so daß wir nicht einmal eine Schule besuchten und da die Nachbarschaft keine Gesellschaft bot, bestand unser ganzer Umgang mit der Welt in einer dann und wann stattfindenden, steifen Theegesellschaft mit den vornehmsten Gutsbesitzern und Geschäftsleuten der Umgegend, um zu vermeiden, als zu stolz, um mit unsern Nachbarn umzugehen, verschrieen zu werden, und einen jährlichen Besuch bei unserm Großvater, väterlicher Seits, wo er, unsere gute Großmama, eine unverheirathete Tante und zwei bis drei ältliche Damen und Herren, die einzigen Personen waren, die wir je erblickten. Zuweilen erzählte uns unsere Mutter Geschichten und Anekdoten aus ihrer jüngeren Zeit, die während sie uns ungemein belustigten, häufig, in mir wenigstens, einen unbestimmten, geheimen Wunsch, etwas mehr von der Welt zu sehen, erweckten.
Ich dachte, daß sie sehr glücklich gewesen sein müsse; aber sie schien die Vergangenheit nie zu betrauern. Mein Vater, dessen Gemüthsart von Natur nicht ruhig und heiter war, grämte sich jedoch oftmals übermäßig, wenn er an die Opfer dachte, welche seine liebe Frau für ihn gebracht und setzte sich eine Menge von Plänen zur Vermehrung seines kleinen Vermögens, um ihret- und unsertwillen, in den Kopf. Umsonst versicherte ihm meine Mutter, daß sie vollkommen zufrieden sei, und daß wir Alle, wenn er nur etwas für die Kinder bei Seite legen wolle, jetzt und in Zukunft unser reichliches Auskommen haben würden; aber das Sparen war meines Vaters schwache Seite. Er wollte keine Schulden machen — wenigstens sorgte meine Mutter dafür, daß er es nicht that — solange er aber Geld hatte, mußte er es ausgeben; er sah gern sein Haus behaglich und seine Frau und Töchter gut gekleidet und bedient, und überdies war er zur Wohltätigkeit geneigt und gab den Armen nach seinen Mitteln, oder, wie vielleicht Manche dachten, mehr als es diese erlaubten.
Endlich schlug ihm jedoch ein guter Freund ein Mittel vor, um sein Privatvermögen mit einem Schlage zu verdoppeln und es später bis zu einer unermeßlichen Höhe zu vermehren. Dieser Freund war ein Kaufmann, ein Mann von unternehmendem Geiste und unbezweifelten Talenten, der aus Mangel an Kapital in seinen merkantilischen Geschäften etwas gehemmt war, sich aber großmüthig erbot, meinem Vater einen billigen Antheil von seinem Gewinn zu geben, wenn er ihm nur das, was er entbehren könne, anvertrauen wolle und glaubte, daß er ihm sicher versprechen könne, daß jede Summe, die ihm Letzterer anvertraue, hundert Procent einbringen werde. Das kleine Erbtheil wurde schnell verkauft und der ganze Erlös desselben den Händen des freundlichen Kaufmanns anvertraut, welcher eben so schnell daran ging seine Ladung einzuschiffen und sich auf seine Reise vorzubereiten.
Mein Vater und wir Alle waren über unsere glänzenden Aussichten entzückt; für den Augenblick waren wir allerdings auf das geringe Einkommen der Pfarre beschränkt, aber mein Vater schien zu denken, daß es nicht nöthig sei, unsere Ausgaben skrupulös auf dieses zu beschränken, so daß wir eine Rechnung bei Mr. Jackson, eine andere bei Mr. Smith und eine dritte bei Mr. Hobson auslaufen ließen, und selbst noch behaglicher, als vorher, lebten, wiewohl meine Mutter behauptete, daß wir am besten thun würden, uns einzuschränken, da unsere Aussichten auf Reichthum doch nur precär seien und daß mein Vater sich, wenn er nur Alles ihrer Leitung anvertrauen wolle, nie beschränkt fühlen solle. Diesmal aber war er unverbesserlich.
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