Es war für Marianne zu kalt um sich herauszuwagen, weshalb sie bei ihrer Mama blieb, zum großen Vergnügen ihres Bruders, dem es lieb war, mich ganz allein für sich zu haben.
Der Garten war groß und geschmackvoll angelegt; außer mehreren prächtigen Georginensorten blühten auch noch eine Anzahl von anderen schönen Blumen, aber mein Begleiter ließ mir keine Zeit, sie zu betrachten, ich mußte mit ihm über das feuchte Gras in einen abgelegenen Winkel gehen, der die wichtigste Stelle der Anlagen war — weil er seinen Garten enthielt. Zwei runde Beete waren mir verschiedenen Pflanzen besetzt. In einem davon stand ein hübscher, kleiner Rosenbusch. Ich blieb stehen, um seine schönen Blüthen zu bewundern.
»O, darum kümmern Sie sieh nicht,« sagte er verächtlich, das ist nur Mariannens Garten; sehen Sie, dieser ist mein.«
Nachdem ich jede Blume betrachtet und Abhandlungen über jede Pflanze angehört hatte, durfte ich Mich entfernen, vorher aber pflückte er mit großem Pomp eine Kreuzblume ab, und gab sie mir, als ob er mir eine ungeheure Gunst zu Theil werden lasse. Ich bemerkte im Grase um seinen Garten her gewisse Apparate von Stöcken und Bindfaden und fragte , was sie seien.
»Fallen, um Vögel zu fangen.«
»Warum fängst Du sie?«
»Der Papa sagt, daß sie Schaden anrichten.«
»Und was thust Du mit ihnen, wenn Du sie gefangen hast?«
»Mancherlei Dinge. Mitunter gebe ich sie der Katze, zuweilen schneide ich sie mit meinem Federmesser in Stücken, aber den nächsten gedenke ich lebendig zu braten.«
»Und warum willst Du etwas so Abscheuliches thun?«
»Aus zwei Gründen. Erstens um zu sehen, wie es schmecken wird.«
»Weißt Du aber nicht, das es äußerst gottlos ist, dergleichen Dinge zu thun? Bedenke, daß die Vögel eben so gut fühlen, wie Du , und wie es Dir gefallen würde.«
»O, das ist nichts, ich bin kein Vogel und kann Nicht fühlen, was ich ihnen thue.«
»Aber Du wirst es noch einmal fühlen müssen Tom — Du hast gehört, wohin die gottlosen Menschen kommen, wenn sie sterben, und wenn Du nicht aufhörst, unschuldige Vögel zu quälen, so bedenke, daß Du dorthin kommen und oben das leiden wirst, was Du sie hast leiden lassen!«
»O Pah, das werde ich nicht. Der Papa weiß eich sie behandle, und er tadelt mich nie dafür; er sagt, daß er es als Junge eben so gemacht habe. Vergangenen Sommer gab er mir ein Nest mit jungen Sperlingen und er sah, wie ich ihnen die Beine und Flügel und Köpfe abriß, und sagte nichts, als daß sie garstige Dinger wären, und daß ich mir von ihnen die Hosen nicht beschmutzen lassen dürfe, und Onkel Robson war auch da, und lachte, und sagte, ich wäre ein guter Junge.«
»Aber was würde Deine Mama sagen?«
»O, die kümmert sich nicht darum — sie sagt, es sei schade, die hübschen Singvögel todt zu machen; aber mit den häßlichen Sperlingen und Mäusen und Ratten kann ich anfangen, was ich will. Sie sehen also , Miß Grey, daß das nicht böse ist.«
»Ich denke immer noch, daß es das ist, Tom, und vielleicht würden Deine Eltern es ebenfalls dafür halten, wenn sie viel davon dächten. — Sie mögen aber,« fügte ich innerlich hinzu, »sagen, was sie wollen, ich bin fest entschlossen, Dich nichts derartiges thun zu lassen, so lange ich die Macht habe, es zu verhindern.«
Hierauf führte er mich über den Rasenplatz, um seine Maulwurfsfallen anzusehen, und dann in den Getreidehof , um seine Wieselfallen zu betrachten, von denen die eine, zu seiner großen Freude, ein todtes Wiesel enthielt , und dann in den Stall, um nicht die schönen Wagenpferde, sondern ein kleines, rauhes Füllen zu beschauen, welches, wie er mir mittheilte, absichtlich für ihn erzogen worden war, und das er reiten sollte, sobald es gehörig abgerichtet sein würde.
Ich versuchte, den kleinen Burschen zu unterhalten und hörte seinem Geplauder so freundlich, als ich konnte, zu, denn ich dachte, daß ich, wenn er überhaupt ein freundliches Gefühl besaß, mich bemühen würde, es mir zuzueignen und dann konnte ich vielleicht mit der Zeit im Stande sein, ihm die Irrthümer seines Benehmens zu zeigen; aber ich suchte umsonst nach dem edlen hochherzigen Geiste, von welchem seine Mutter gesprochen hatte, wiewohl ich sehen konnte, daß es ihm nicht an einem gewissen Grade von Scharfsinn und Scharfblick mangelte, wenn er Lust hatte, diese Eigenschaften in Anspruch zu nehmen.
Als wir wieder in das Haus traten, war die Zeit zum Theetrinken bereits erschienen. Master Tom sagte mir, daß, da der Papa nicht zu Hause sei, er und ich und Marianne einmal ausnahmsweise Thee mit der Meine trinken würden, da sie bei dergleichen Anlässen stets mit ihnen zur Lunchzeit speiste, statt um sechs Uhr, wie gewöhnlich. Bald nach dem Thee ging Marianne zu Bett, aber Tom beglückte uns bis nach acht Uhr mit seiner Gesellschaft und Unterhaltung. Nachdem er sich entfernt hatte, klärte mich Mrs. Bloomfield noch weiter über den Charakter und die Kenntnisse ihrer Kinder, und das, was sie lernen und wie sie behandelt werden sollten, auf, und warnte mich, ihre Mängel, außer ihr, Jemandem mitzutheilen. Meine Mutter hatte mich schon vorher ermahnt, sie ihr so selten als möglich herzustellen, und ich schloß daher, daß ich sie gänzlich verschweigen solle.
Etwa halb zehn Uhr lud mich Mrs. Bloomfield ein, ein ein frugales Abendbrot von kaltem Fleisch und Brot mit ihr zu genießen. Ich freute mich, als dies vorüber war, und sie ihren Schlafzimmerleuchter nahm und sich zur Ruhe begab; denn wiewohl ich mich mit ihr gut zu vertragen wünschte, war mir doch ihre Gesellschaft äußerst unangenehm und ich konnte mich des Gefühls nicht enthalten, daß sie kalt, gravitätisch und abstoßend — gerade das Gegentheil von der freundlichen, warmherzigen Matrone, als welche sie meine Hoffnungen ausgemalt hatten.
Einige weitere Lektionen.
Den folgenden Morgen erhob ich mich mit einem Gefühle hoffnungsvoller Erheiterung, trotz der bereits erfahrenen Enttäuschungen, aber ich fand, daß das Ankleiden Mariannens keine leichte Sache war, da ihr üppiges Haar mit Pomade eingerieben, in drei lange Zöpfe geflochten, und mit Bandschleifen zusammengeknüpft werden mußte — eine Aufgabe, welche meine ungewohnten Finger nur mit großer Schwierigkeit auszuführen vermochten. Sie sagte mir, daß ihre Wärterinn, es in der Hälfte der Zeit thun könne, und wußte mich durch eine beständige Unruhe und Ungeduld noch länger dabei aufzuhalten. Als Alles geschehen war, begeben wir uns in das Schulzimmer« wo ich meine andere Schülerin traf, und mit den Beiden plauderte, bis es Zeit zum Hinabgehen war. Nach Beendigung dieser Mahlzeit, und einigen mit Mrs. Bloomfield ausgetauschten höflichen Worten, begaben wir uns wieder in das Schulzimmer und begannen das Geschäft des Tages. Ich fand meine Schülerinnen noch sehr zurück, aber Tom, wenn auch jeder Art von geistiger Anstrengung abgeneigt, doch ohne Fähigkeit. Marianne konnte kaum ein Wort lesen, und war so gleichgültig und unaufmerksam, daß ich kaum mit ihr weiter gehen konnte. Mit großer Mühe und Geduld gelang es mir am Ende doch, im Laufe des Morgens etwas vor mich zu bringen, und begleitete dann meine jungen Zöglinge hinaus in den Garten und die daran stoßenden Anlagen, um ihnen vor Tische einige Erholung zu gewähren. Dort kamen wir leidlich mit einander aus, außer daß ich fand, daß sie keine Lust hatten, mit mir zu gehen, und ich mit ihnen gehen mußte, wohin es ihnen beliebte, mich zu führen. Ich mußte laufen, gehen oder stehen, gerade wie es ihrer Phantasie zusagte. Dies, dachte ich, hieß die Ordnung der Dinge umkehren, und ich fand es sowohl bei diesem, wie bei allen späteren Anlässen doppelt unangenehm, daß sie die schmutzigsten Stellen und die häßlichsten Beschäftigungen auswählten.
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