Maria, seine Frau, ist eine der Schwestern des Bürgermeisters Einödhofer. Sie versorgt den Haushalt und betreut die Ferienwohnungen. Besonders beliebt sind ihre Brote und Semmeln aus dem Holzofen, die sie an die Feriengäste und einige Haushalte aus der Nachbarschaft verkauft.
Xaver wirkt trotz seiner 59 Jahre eher jugendlich. Seine langen blonden Haare und seine sportliche Kleidung tragen maßgeblich zu dieser Täuschung bei. Und schon ist er wieder unterwegs: Heute Abend ist Stammtisch des Vereins der RECHTLER in der Alten Sennhütte. Mit Riesenschritten nimmt er den Fußweg entlang der Trettach.
Dorothea Schneider fährt endlich auf den Hof. Dominik springt sofort auf, als er die Scheinwerfer ihres Toyotas aufblitzen sieht. Er schnappt sich seinen olivfarbenen alten Bundeswehrparka, schaltet noch den Fernseher aus und sprintet zur Haustür.
„Bin dann mal weg“, ruft er in Richtung Küche.
Dorothea ist im Toyota sitzen geblieben, Dominik reißt die Beifahrertür auf und springt seiner Freundin ohne Rücksicht auf Verluste entgegen. Der Begrüßungskuss fällt heute mal heiß und innig aus.
Er ergreift zuerst das Wort: „Hey, wo warst du denn solange. Ich hab´ schon gedacht, es ist dir was passiert?“
„Du weißt doch, meine Mama hat mir immer gesagt, die Mannsleut´ muss man immer etwas zappeln lassen, dann freuen sie sich noch mehr, einen zu sehen.“
Dominik stößt sich ruckartig von ihr ab und empört sich:“ Geh´, Doro, so einen Scheiß brauchst mit mir aber nicht machen.“
Aber Dorothea glättet den plötzlichen Anfall, indem sie seinen Kopf sacht wieder zu sich heranzieht. Und der lange Kuss versöhnt den Bauernsohn ganz schnell wieder.
„Spaß kann der aber wirklich nicht ertragen“, denkt Dorothea in die Stille hinein, während sich seine Gedanken hörbar abschalten.
„So, nun aber los“, sagt sie laut und startet gleichzeitig den Wagen.
„Wo sollen wir denn heute hin?“
„Ich denk´, wir fahren zur „Schnatossibar“ beim Hotel „Dolde“, da müssten eigentlich schon ´ne Menge Touris sein.“
„Ach geh´, Doro, da is´ dann wieder Highlife.“
„Genau das, was ich jetzt brauche.“
Dominik löst sich von ihr und schaut teilnahmslos zu seinem Seitenfenster hinaus. Nach kurzem Überlegen fällt Dorothea etwas ein, dass Dominik vielleicht wieder aufheitern lässt:
„Heute Mittag habe ich übrigens deinen Onkel gesehen.“
Dominik dreht sich gelangweilt zu ihr: „Welchen denn, ich hab´ davon ja vier Stück?“
„Na, unseren Bürgermeister. Der hat sich oben an der Schanze mit zwei Typen getroffen, die einen richtigen Angeberschlitten gefahren haben.“
Das Wort „Angeberschlitten“ regt sofort Dominiks Interesse.
„Ich glaub´, die haben sich tatsächlich das Gebiet südlich der Schanzen an der Oytalstraße angeguckt, als wenn sie dort was bauen wollten.“
„Wieso tatsächlich?“
„Ich hab´ von den Jungs vom Computerclub gehört, dass dieses Meeting da heute stattfinden soll?“
„Und dann warst du wirklich oben am Kühberg?“
„Ich wollte bei dem Wetter sowieso mit dem Bike zum Training. Da habe ich dann auch gleich schöne Fotos von der Landschaft gemacht.“ Dabei zeigt Dorothea aufs Handschuhfach. Dominik öffnet es und nimmt ihre Kompaktkamera heraus. Interessiert bestaunt er die letzten Bilder auf dem Display.
„Aber das is´ doch absoluter Quatsch, da oben kann doch keiner was bauen. Das gehört doch den RECHTLERN. Und denen ist es verboten, was von ihrem Eigentum zu verkaufen!“, wendet Dominik jetzt mit Zeitverzögerung ein.
Aber Dorothea hat ihm nicht richtig zugehört. „Und? Kannst du deinen Onkel erkennen?“
„Bingo, Doro, das ist eindeutig Onkel Korbinian“, aber sein intensiver Blick gilt mehr dem Auto im Hintergrund. „Das ist ja ´n nagelneuer BMW X6!“
Kapitel 9 - Eissportzentrum 20.12., abends
Schibulsky sitzt in der „Strafbank“, dem Restaurant über dem Eissportzentrum und kann durch eine dicke Glasscheibe auf die Eisfläche der Eishockeyhalle schauen. In einer Stunde wird das Spiel der EISBÄREN Oberstdorf gegen die AIBDOGS aus Bad Aibling angepfiffen. Daher liegt die Halle jetzt noch im Dunkel. Nur zwei Strahler beleuchten die Kletterwand an der gegenüberliegenden Seite.
Robert hat sich per Handy mit seinem Ex-Kollegen und dessen Sohn hier verabredet. Stolz betrachtet er sein Nokia 3310, das er sich vor dreizehn Jahren notgedrungen zulegen musste, damit er im Dienst immer möglichst sofort erreichbar war.
„Ob ich den Toni noch mal anrufen soll? Sein Sohn ist seit zwei Jahren Trainer der EISBÄREN, vielleicht ist ihm unser Termin doch zu kurzfristig.“
Aber da betreten Toni und Peter Endras mit einer Riesensporttasche, Marke „Adidas“, das Restaurant. Der Ex- und der jetzige Dorfpolizist gehen zu Schibulskys Tisch und begrüßen ihn. Sie setzen sich. Toni stellt seinen Sohn vor:
„Das ist also der Peter. Wie du weißt, ist er in meine Fußstapfen getreten und ist jetzt POM- Polizeiobermeister.“
Robert erhebt sich kurz und reicht dem aktiven Ordnungshüter die Hand.
„Grüß Gott, Herr Schibulsky, ja ich leite die Polizeiinspektion am Bahnhofsplatz und bin eigentlich nur als „Dorfsheriff“ bekannt. Sie wollten mich in der Selbstmordsache „Teuffel“ sprechen?“
„Ja, genau“, bestätigt Robert. „Wie Ihnen Ihr Vater sicher berichtet hat, war ich vierzig Jahre lang bei der Kripo in Bielefeld. Jetzt als Pensionär kann ich es manchmal nicht lassen; wenn mir etwas schleierhaft vorkommt, stelle ich dann auch auf eigene Faust Nachforschungen an.“
Eine kleine, blondhaarige Bedienung erscheint wie aus dem Nichts. Die drei bestellen drei Halbe. Und schwups ist die Kleine wieder hinter ihrem Tresen verschwunden.
Der Dorfsheriff taxiert den Freund seines Vaters. „Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie doch mal unseren „Auferstehungschristus“ wieder besorgt, der aus der Appachkapelle gestohlen worden war.“
„Nun gut, dass war ja eine Kleinigkeit. Der Dieb hatte das Kreuz ja einfach im Internet zu Geld machen wollen.“
„Ja, aber Sie haben sich dann als Kunsthändler ausgegeben und ihn in seiner Wohnung überrascht.“
„Nun, auf die Idee hätten auch andere kommen können.“ Robert macht eine kleine Kunstpause, denn die Bedienung bringt das Bier.
„Aber heute ist der Fall schwerwiegender. Ihr Vater, der Toni, erzählt mir, die Polizei glaubt, der tote Kaplan aus St. Johann habe Selbstmord begangen. Aber da hat er, wie übrigens auch ich, große Zweifel.“
Peter schaut seinen Vater vorwurfsvoll an, wendet sich dann wieder Schibulsky zu: „Also ich habe da eigentlich keine Zweifel. Der Priester hat sogar einen Abschiedsbrief geschrieben. Man wollte ihn erpressen. Das Foto im Briefumschlag war ja auch eindeutig: Teuffel nackt mit zwei, sagen wir mal Damen, ebenfalls im „Adamskostüm“, er muss verlegen lachen, „wohl besser im „Evakostüm“ in seinem Bett. Ich kann den Kaplan da sogar ein bisschen verstehen. Wenn das herausgekommen wäre, hätte er in dieser erzkatholischen Gemeinde mit 5000 Gläubigen kein Bein mehr an die Erde bekommen.“
„Von einem kompromittierenden Foto habe ich gelesen. Aber gesehen habe ich keins.“
„Das Foto müsste jetzt noch bei der Kripo Kempten sein. Ich hatte gleich, nachdem ich den Toten am Mittwochmorgen gefunden habe, die KPI in Kempten verständigt. Die sind für alle Ereignisse mit Todesfolge zuständig. Zwei Beamte waren 45 Minuten später nach Loretto gekommen. Die haben Fotos vom Ort des Geschehens gemacht; sie waren dergleichen Meinung wie ich, daher wurde die Spurensicherung nicht angefordert. Die Pistole, den Abschiedsbrief und das Briefkuvert mit dem Foto haben sie mitgenommen, nachdem der Tote mit dem Leichenwagen abtransportiert worden war.“
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