Dr. Altmayer macht eine Pause. Schibulsky lässt ihm einige Sekunden. „Und wurde die Kapelle und der Platz, an dem der Kaplan saß, gründlich untersucht?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe gehört, dass Endras die Kriminalpolizei in Kempten angerufen hat. Er sagte mir, dass er das machen müsste, auch wenn die Todesursache so klar wie Kloßbrühe sei wie in diesem Falle. Ich bin jedenfalls dann sofort zurück zum Pfarrhof gefahren.“
„Danke, Herr Pfarrer, für Ihre detaillierte Schilderung. Zwei Dinge noch: Haben Sie die Kopie des Briefes bekommen?“
Dr. Altmayer nickt. „Können Sie mir eine Kopie davon machen?“
„Natürlich, Herr Kommissar, aber sie muss bei Ihnen bleiben. Ich möchte keine unnötige Unruhe in der Gemeinde.“
„Das ist hoch und heilig versprochen.“
Dr. Altmayer nimmt ein Blatt aus seinem Sekretär und kopiert es auf dem Fotokopierer, der neben seinem Schreibtisch steht. Dann gibt er dem Kommissar die Kopie. Der verbeugt sich höflich, fast ehrerbietig.
„Danke, Herr Pfarrer, und zweitens möchte ich einen Blick in das Zimmer des Kaplans werfen.“
Der Pfarrer steht auf, Schibulsky folgt ihm, durch den Flur, zur Haustür und nach draußen. Sie gehen zum Nachbargebäude, dem Johannisheim im Haus Nr. 2a. Altmayer schließt die Haustür auf, deutet auf die nächste Tür, geht aber nicht mit hinein, sondern bleibt auf der Türschwelle stehen.
Robert Schibulsky betritt den kleinen Raum, der neben einem Bett und einem alten verzierten Holzschrank als Möbel nur noch einen großen Schreibtisch mit einem aufgeklappten Laptop aufweist, samt modernem Bürostuhl. Er registriert, dass der Kaplan computertechnisch auf dem neuesten Stand gewesen zu sein scheint. Internetanschluss, Drucker, Scanner, Kamera, alles da. Spartanisch wirkt dagegen das schmale Bücherregal, auf dem gerade mal zwanzig Bücher Platz finden.
Im Papierkorb findet Schibulsky ein zusammengeknülltes, handgeschriebenes Notizblatt. Marc Teuffel hat wohl zuletzt an seiner nächsten Predigt gearbeitet. Seine erste Fassung hat ihm anscheinend nicht so gut gefallen. Schibulsky steckt sich die Notiz ein.
Kapitel 6 - Bielefeld/München 20. 12., nachmittags
„Hallo, Schwesterherz, wann kommst du in Oberstdorf an?“ Sebastian hat sich soeben mit seiner älteren Schwester Britta per Internet verbunden. Britta studiert zurzeit Informatik in München. Die beiden skypen mehrmals in der Woche.
„Ich fahre mit dem „alex“ am Sonntag um ca. 15:00 Uhr ab München HBF.“
„Ätzend, ich dachte, du kommst alleine!“, winselt Sebastian enttäuscht.
„Na, komm´ ich doch auch.“
„Und wer ist dann Alex?“
„Blödmann, das weißt du doch. Das ist natürlich der „Alpen-Express“, der alle zwei Stunden die Strecke München – Oberstdorf fährt.“
„Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Klaro. Das ist der Zug mit den grünen Wagons, nicht. - Und wann bist dann da?“
„Ich glaube kurz nach fünf. Kannst du mich abholen?“
„Natürlich. Schreib´ mir aber kurz vorher noch ´ne SMS.
„Weißt du schon, welches Hotel die Alten diesmal ausgesucht haben?“
„Muttern hat diesmal so ein Wellness-Resort ausgesucht. „Parkhotel Frei“, fünf Sterne, liegt, glaub´ ich, ein bisschen außerhalb.“
„Das ist bestimmt wieder so´n Schickimicki-Laden wie das Sarotti am Marktplatz. Am liebsten würde ich ja bei Oma und Opa wohnen; aber das ist leider zu klein. – Wann fahrt ihr denn?“
„Das Autohaus ist morgen noch bis 12:00 Uhr auf. Danach fahren wir sofort los. Hoffentlich ist die Autobahn dann nicht mehr so voll. – Du Britta, hast du mal auf die Internetseite von Oberstdorf geschaut?“
„Nee, Basti, ist mir ziemlich egal, welche Veranstaltungen die dort anbieten. Ich will in erster Linie meine Ruhe haben und entspannt Snowboard fahren am Fellhorn.“
„Der Geocaching-Club vom Allgäu macht nächste Woche ´ne große Promi-Charity. Es gibt drei Barren Gold zu gewinnen. Ich hab´ Muttern schon überredet, dass wir uns dort anmelden dürfen. Kostet 250 Euro pro Teilnehmer.“
„Ich kenne den Club. Den hat damals der Dorfpfarrer mit seinem Kaplan aufgebaut. Aber da machen doch nur so´n paar Nerds mit, die haben doch gar kein Geld.“
„Für die gibt´s ´ne Extrarallye in der Woche nach Neujahr, glaub´ ich. Für lau! Diese Jubiläumsrallye ist vor allem auch für die Feriengäste gedacht.“
„Ach, jetzt verstehe ich. Was meinst du, wie viele aus unseren Seminaren hier aus München dahin kommen?
„Keinen Schimmer.“
„Die Charity ist von der Bundesvereinigung „Geocaching Germany Community“ in ganz Deutschland publik gemacht worden.“
„Ätzend. Also machst du doch auch mit, Britta, oder? Das wird bestimmt ´ne coole Sache. Lies dir mal den Artikel der Oberstdorf Zeitung durch.“
„Ok, Basti, lass uns jetzt Schluss machen, ich muss noch was waschen und dann packen. Also tschüss!“
„Tschüss, Britta, und halt die Ohren steif.“
„Basti, Basti, du quatscht schon wie Vattern.“
Kapitel 7 - MONTANA Haus 20. 12., nachmittags
Schibulsky hat sich nach dem Besuch beim Pfarramt in seiner Wohnung im MONTANA Haus drei Pellkartoffeln gekocht und dazu Sahneheringe aus dem Plastikbecher von Lidl gemacht. Für das Spülen hat er jetzt keine Zeit. Er ist zu aufgeregt und möchte endlich die zwei Zettel untersuchen, die er vom Pfarrer mitgebracht hat.
Er bügelt zuerst das zerknüllte Blatt, dann nimmt er sich eine Lupe zur Hand, legt die Schriftstücke untereinander und betrachtet sie durch die Lupe, die er eigentlich immer wegen seiner Briefmarkensammelwut bei sich trägt.
„Ja, Kruzitürken! Das sieht doch ein Blinder mit ´nem Krückstock. Das hat doch niemals ein und dieselbe Person geschrieben. Der sogenannte Abschiedsbrief ist ja eher von einem Kind geschrieben. Und diese Kringel auf dem i. Außerdem steht da Oberstdorf ohne t, also so wie die meisten es sprechen. Außerdem hat der Kaplan seinen Pfarrer doch geduzt, wenn ich mich an das Gespräch mit Dr. Altmayer richtig erinnere.“
Robert betrachtet den Brief noch einmal genau und führt die Lupe in die rechte obere Ecke. „Ist das tatsächlich ein Fingerabdruck mit blutigem Daumen. Soll das etwa eine Unterschrift sein? Aber dann wäre der Kaplan ja schon tot gewesen.“
Kapitel 8 - Dummelsmoos 20.12., abends
Dominik Steingasser sitzt vor dem Fernseher. Krimi im ZDF: Die „Garmisch-Cops“, einer von unzähligen Serien im deutschen Fernsehen.
„Wo bleibt die Doro bloß?“ Der Jungbauer hat seine fünfundvierzig Milchkühe längst gemolken. Den Stall sauber gemacht. Jetzt sitzt er geschniegelt und gestriegelt wie auf heißen Kohlen.
Sein Vater Xaver kommt ins Wohnzimmer. Er hatte heute zwei Kutschfahrten: morgens nach Spielmannsau und nachmittags nach Karatsbichl. Die Einnahmen waren gut, verrät zumindest sein Gesicht.
„Du bist ja noch hier, Bub,“ knurrt der Alte. „Ich denk´, du hattest keine Zeit, mir beim Ausspannen der Gäule zu helfen. – Dabei sitzt du hier vor der Glotze.“ Xaver zeigt sein Unverständnis und schüttelt bedauernd den Kopf. Der 55 Jahre alte Bauer hat seinen Hof vor einigen Jahren ganz auf Milchwirtschaft und Tourismus umgestellt.
In der alten Scheune haben die Steingassers vier Ferienwohnungen eingerichtet, die jetzt für die Festtage bis Mitte Januar ausgebucht sind. Er kümmert sich um den Kutschbetrieb und seine neun Ponys, eine Attraktion für die Kinder der Feriengäste, aber auch für die Kinder aus der Marktgemeinde.
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