Als der Wissenschaftler jetzt aber in das Cockpit kam, hatte er alle anderen wieder mit im Schlepptau und der Raum war sofort wieder ziemlich überfüllt.
Rimbo und Kendig warfen sich einen mürrischen Blick zu, weil sich so lange Zeit niemand hatte blicken lassen und sie jetzt alle, wie die Geier, wieder auf der Stange hockten, weil endlich etwas passierte.
Dann sagte Rimbo. „Wir sind etwa acht Meilen vor Ajuminaja! Sie müssen uns sagen, wo wir anlegen sollen! Wir kennen uns hier nicht aus und wissen nicht, wo die Bibliothek zu finden ist!“
Shamos lächelte und nickte, doch bevor er antworten konnte, meinte Pater Matu. „Die Bibliothek liegt im äußersten westlichen Bezirk. Wir können nicht direkt dorthin. Aber wir können am Hafen vorbei den Imlo-Fluss stromaufwärts fahren bis wir zu den Hubschleusen...kommen!“ Er stoppte ab, weil ihn die anderen anschauten und Shamos ihn sogar anstarrte. „Was?“ fragte er daher.
„Woher weißt du das?“ Shamos war sichtlich überrascht.
„Warum nicht?“ erwiderte der Pater aber mit einem lockeren Schulterzucken. „Ich habe hier mal eine Zeitlang gelebt, da prägen sich die Örtlichkeiten eben ein!“
Allen anderen war das Erklärung genug, nur Shamos schien noch ein wenig unzufrieden, blieb jedoch stumm.
Rimbo hingegen nickte. „Also den Fluss stromaufwärts bis zu...?“
„…den Hubschleusen!“ vervollständigte Matu. „Es gibt da eine Schleusenanlage mit Hebewerk. Der Fluss kommt aus dem nördlichen Hochland und besitzt eine beachtliche Geschwindigkeit, wenn er sich der Küste nähert. Früher gab es dort einen Wasserfall. Er war wohl der eigentliche Grund, warum man hier dann eine Siedlung gebaut hat, die sich später zu dieser Millionenmetropole entwickelte. Um den Fluss besser als Transportweg nutzen zu können und die Rohstoffe im Norden effektiver zu fördern, hat man ihn gestaut und dieses Hebewerk mit den Schleusen gebaut!“ Alle Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu und nickten teils beeindruckt. „Ich nehme jedoch nicht an, dass das Werk noch intakt ist, sonst könnten wir bis auf Wurfweite an die Bibliothek heranfahren. Doch auch wenn es noch funktionstüchtig wäre, sollten wir es wohl nicht ausprobieren!“
„Warum?“ fragte Esha.
„Weil es sicher zu viel Aufsehen erregen würde!“ erwiderte der Pater ungerührt. „Die Stadt wird wie alle anderen Städte auch, randvoll mit Monstern sein!“
Für einen Moment trat eine bedrückende Stille ein, weil alle wussten, dass Matu Recht hatte und sie sich plötzlich wieder bewusst zu werden schienen, dass ihr Vorhaben absolut lebensgefährlich war.
„Okay!“ meinte Rimbo dann jedoch voller Tatendrang. „Also im Schleichgang zu den Schleusen!“
Ein paar Minuten später hatten sie die nördliche Hafeneinfahrt passiert und hielten auf die Stadt zu. Obwohl das Flussbett schnell enger wurde, hielt sich die Tiefe lange Zeit bei fast dreißig Metern, sodass Kendig keine Mühe hatte, ihr Schiff schnell und unbemerkt nach Westen zu manövrieren.
Über Sonar konnten sie unzählige, feindliche Signale innerhalb der Stadtgrenzen erkennen, die ihnen das Gefühl vermittelten, als würde sich dort alles bewegen, doch zu ihrer Überraschung nahm die Feindpräsenz nach Osten hin rapide ab.
Als sie die Schleusenanlage schließlich erreicht hatten, waren kaum noch Signale zu orten.
Matu wies Kendig an, das Schiff in eine geflutete, überdachte Nebenkammer zu lenken, die für Reparaturzwecke gebaut worden war, wo sie aufgrund der vorherrschenden Dunkelheit ungesehen auftauchen konnten.
„Wer geht?“ fragte Rimbo, als Kendig die Maschinen stoppte.
„Ihr beide bleibt hier auf Abruf!“ erwiderte Idis sofort. „Wir anderen machen das!“
„Was...?“ rief Kendig entsetzt. „...aber...?“
„Was hast du für ein Problem?“ fragte Malawi und schaute ihn verständnislos an.
„Ich...!“ Er schaute Rimbo an, der ihm kaum merklich zunickte. „Wir möchten, dass ihr beide...!“ Er sah seine Frau und dann Idis direkt an. „...hier bleibt!“
„Wozu?“ fragte Idis sofort mürrisch.
„Wir wissen absolut nicht, was uns hier erwartet. Es könnte gefährlich werden!“
Jetzt sah ihn Malawi mit finsterer Miene an. „Wir wissen nie, was uns irgendwo erwartet!“ Sie schüttelte leicht verärgert den Kopf. „Und Gefahr schockt uns nicht!“ Sie schaute zu ihrer Freundin. „Stimmt’s?“
Idis nickte. „Sonst seid ihr auch nicht so zimperlich. Und ich bin hier nicht nur mitgekommen, um irre Geschichten zu hören!“ Sie warf Rimbo einen äußerst vorwurfsvollen Blick zu.
Bevor der jedoch etwas erwidern konnte, meinte Shamos. „Wenn wir Glück haben, ist das nur die erste Etappe auf einer weiten Reise. Da gibt es sicherlich noch mehr als genug Gelegenheiten, sich in Gefahr zu begeben. Für jeden von uns!“ Er lächelte etwas verlegen, da ihn die beiden jungen Frauen mit sehr ernster Miene musterten.
Nach einem tiefen Atemzug aber sagte Idis „Also gut! Da mindestens einer von euch...!“ Sie schaute Rimbo und Kendig an. „...hierbleiben muss, um unseren Rückzug zu sichern, schlage ich vor, dass dieses Mal Kendig und Malawi gehen und ich und Rimbo uns um das Boot kümmern! Okay?“ Sie warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu.
Malawi nickte nach einem kurzen Zögern. „Okay!“
Rimbo und Kendig warfen sich einen Blick zu, dann nickten beide, wenn auch widerwillig. „Ihr habt gewonnen!“ gab Rimbo nach.
Malawi schien zufrieden. „Sonst noch Jemand, der lieber hierbleiben möchte?“
„Esh...!“ begann Shamos und sah seine Frau besorgt an.
Doch Esha hob sofort mit finsterer Miene ihren rechten Zeigefinger. „Na!“ rief sie. „Wag es ja nicht!“
Shamos, der stets versuchte, seine Frau aus Gefahren heraus zu halten - obwohl sie ihnen viel besser gewachsen war, als er und nicht er auf sie, sondern im Gegenteil sie stets auf ihn achten musste - und ihm dies grundsätzlich nie gelang, gab sofort klein bei und nickte nur kraftlos, woraufhin Esha breit grinsen musste und ihm einen wilden, leidenschaftlichen Zungenkuss gab.
„Oh, du bist so knuddelig, wenn du so bist!“ rief sie, dann küsste sie ihn nochmals.
„Hey!“ rief Malawi beim Anblick der beiden. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Sie drängte sie und den Pater aus dem Cockpit. Kendig verabschiedete sich kurz von Rimbo und Idis, dann folgte er ihnen.
Am Eingang in den Laderaum hatte er Malawi eingeholt. „Hey!“ hauchte er ihr mit einem sanften Lächeln ins Ohr.
Malawi drehte sich herum und schaute ihn in einer Mischung aus Überraschung und Freude an. „Was ist...?“
Doch weiter kam sie nicht, denn da hatte Kendig auch schon seine Hände an ihre Wangen gelegt und gab ihr einen sanften, leidenschaftlichen Zungenkuss. Für den Bruchteil einer Sekunde schien sich die junge Frau dagegen wehren zu wollen, dann aber genoss sie es mit einem tiefen Stöhnen. Als sie sich wieder trennten, leuchteten ihre Augen. „Wofür war das?“
„Ein kleiner Quickie vor dem Essen regt den Appetit an!“ erwiderte Kendig mit einem breiten Grinsen.
„Na, dann wollen wir doch hoffen, dass uns der Hauptgang nicht zu schwer im Magen liegen wird, damit der Nachtisch entsprechend...üppig...!“ Sie beugte sich vor und küsste ihn kurz und leidenschaftlich. „...ausfällt!“ Dann zwinkerte sie ihm zu, drehte sich um und zog ihn mit einem leisen Kichern in den Laderaum.
Ein paar Minuten später war der Trupp um Malawi und Kendig abmarschbereit.
Kendig gab Rimbo ein Zeichen und die Amarula tauchte langsam auf.
Da zum Öffnen der seitlichen Laderampe kein Platz vorhanden war, kletterten alle aus einer kleinen Luke etwas oberhalb davon und dann an ein paar Stiegen hinab auf den stählernen Kai.
Kendig schloss die Luke wieder, bevor er den anderen folgte.
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