»Aber wieso denn komisch?« fragt sie. »Das ist doch selbstverständlich. Ich hab noch nie so was mitgemacht in meinem Leben. Du kennst natürlich alles aus deiner Junggesellenzeit.«
»Natürlich hast du recht«, sagt er langsam und schweigt. Plötzlich aber schlägt er wütend auf den Tisch: »O Gott verdammich!« schreit er.
»Aber was ist denn?« fragt sie. »Was ist denn los, Junge?«
»Ach nichts«, sagt er, schon wieder bloß mürrisch. »Manchmal möchte man nur platzen vor Wut, wie das alles eingerichtet ist in der Welt.«
»Die andern meinst du? Die laß man. Die haben ja doch nichts davon. Und nun unterschreib, Jungchen, daß du dich dran halten willst.«
Er nimmt die Feder und unterschreibt.
Der parfümierte Tannenbaum und die Mutter zweier Kinder. Heilbutt meint: Ihr habt Mut. Haben wir Mut?
Weihnachten war gekommen und war vorübergegangen. Es war ein stilles, kleines Weihnachten gewesen, mit einer Tanne im Topf, einem Selbstbinder, einem Oberhemd und ein Paar Gamaschen für den Jungen, mit einem Umstandsgürtel und einer Flasche Eau de Cologne für Lämmchen.
»Ich will nicht, daß du einen Hängebauch bekommst«, hatte der Junge erklärt. »Ich will meine hübsche Frau behalten.«
»Im nächsten Jahr sieht der Murkel schon den Baum«, hatte Lämmchen gesagt.
Im übrigen hatte es stark gerochen, und die Flasche Eau de Cologne war schon am Weihnachtsabend alle geworden.
Wenn man arm ist, kompliziert sich alles. Lämmchen hatte sich das ausgedacht mit der Tanne im Topf, sie wollte sie weiterziehen, im Frühjahr umtopfen. Im nächsten Jahr sollte sie der Murkel sehen, und so sollte sie immer größer, immer strahlender, im Wettwachsen gleichsam mit dem Murkel, von Weihnachtsfest zu Weihnachtsfest wandern, ihre erste und einzige Tanne. Sollte.
Vor dem Fest hatte Lämmchen die Tanne auf das Kinodach gestellt. Weiß der Himmel, wie die Katze dahinfand, Lämmchen hatte nie gewußt, daß es hier überhaupt Katzen gab. Aber es gab welche, Lämmchen fand ihre Spur auf der Erde des Topfes, als sie den Baum schmücken wollte, und die Spur roch stark. Lämmchen beseitigte, was zu beseitigen war, sie scheuerte und wusch, und konnte doch nicht hindern, daß der Junge, kaum daß der offizielle Teil der Feier mit küssen und in die Augen schauen und Geschenke besehen vorüber war, sagte: »Du, das riecht hier aber sehr merkwürdig!«
Lämmchen berichtete, der Junge lachte und sagte: »Nichts einfacher!« Er öffnete die Eau-de-Cologne-Flasche und spritzte etwas auf den Topf.
Ach, er spritzte noch oft diesen Abend, die Katze ließ sich betäuben, aber dann erwachte sie immer wieder siegreich zu neuem Leben, die Flasche wurde leer, die Katze stank. Schließlich setzten sie noch am Heiligen Abend den Baum vor die Tür. Es war nicht dagegen aufzukommen.
Und am ersten Feiertag, ganz früh, ging Pinneberg los und stahl im Kleinen Tiergarten ein Häuflein Gartenerde. Sie topften die Tanne um. Aber erstens stank sie auch dann noch, und zweitens mußten sie feststellen, daß es keine in einem Topf gezogene Tanne war, sondern ein Dings, dem der Gärtner alle Wurzeln abgehauen hatte, um sie in den Topf zu kriegen. Ein Blender auf vierzehn Tage.
»Solche wie wir«, sagte Pinneberg, und war in der Stimmung, das ganz richtig zu finden, »fallen eben immer rein.«
»Na, nicht immer«, hatte Lämmchen gesagt.
»Bitte?«
»Zum Beispiel, als ich dich gekriegt habe.«
Im übrigen war der Dezember ein guter Monat, trotz des Weihnachtsfestes wurde der Etat des Hauses Pinneberg nicht überschritten. Sie waren selig wie die Schneekönige. »Wir können es also auch! Siehst du! Trotz Weihnachten!«
Und sie machten Pläne, was sie in den nächsten Monaten mit all ihren Ersparnissen machen wollten.
Der Januar aber wurde ein trüber, dunkler, bedrückender Monat. Im Dezember hatte Herr Spannfuß, der neue Organisator der Firma Mandel, erst einmal in den Betrieb hineingerochen, im Januar nahm er seine Tätigkeit richtig auf. Die Verkaufsquote für den einzelnen Verkäufer, seine Losung, wurde in der Herrenkonfektion auf das Zwanzigfache seines Monatsgehalts festgesetzt. Und Herr Spannfuß hatte eine hübsche kleine Rede gehalten. Daß das nur im Interesse der Angestellten geschehe, denn nun habe doch jeder Angestellte die mathematische Gewißheit, daß er vollkommen nach Verdienst eingeschätzt werde. »Jede Schmuserei und jede Schmeichelei, das für das Ethos so verderbliche Kriechen vor den Vorgesetzten gibt es nicht mehr!« hatte Herr Spannfuß gerufen. »Geben Sie mir Ihren Kassenblock, und ich werde wissen, was für ein Mann Sie sind!«
Die Angestellten hatten dazu ernste Gesichter gemacht, vielleicht hatten sehr gute Freunde auch ein Wort über diesen Speech zueinander riskiert, aber laut wurde nichts.
Immerhin erregte es doch einiges Gemurmel, daß Keßler von Wendt am Ende des Januars zwei Verkäufe erworben hatte. Wendt hatte nämlich schon am Fünfundzwanzigsten seine Quote erfüllt. Keßler aber fehlten noch am Neunundzwanzigsten dreihundert Mark.
Als nun Wendt am Dreißigsten kurz hintereinander zwei Anzüge verkaufte, bot ihm Keßler für jeden Verkauf fünf Mark, wenn er ihn auf seinem Block anschreiben durfte. Wendt ging auf den Vorschlag ein.
Das alles erfuhr man erst später, zuerst erfuhr jedenfalls Herr Spannfuß von dieser Transaktion, es blieb immer dunkel, auf welchem Wege. Und Herrn Wendt bedeutete man, daß er besser ginge, da er die Notlage eines Kollegen ausgebeutet habe, während Herr Keßler mit einer Warnung davonkam. Er erzählte überall, man habe ihn streng verwarnt.
Was Pinneberg anging, so schaffte er im Januar seine Losung gut und gerne. »Die sollen mir nur gehen mit ihrem Quatsch«, sagte er zuversichtlich.
Für den Februar erwartete man allgemein eine Herabsetzung der Quote, denn der Februar brachte immerhin nur vierundzwanzig Verkaufstage statt siebenundzwanzig im Januar. Und im Januar war außerdem der Inventur-Ausverkauf gewesen. Einige Mutige sprachen sogar Herrn Spannfuß darauf an, aber Herr Spannfuß lehnte ab: »Meine Herren, Sie mögen es wahrhaben wollen oder nicht, Ihr ganzes Wesen, Ihr Organismus, Ihre Spannkraft, Ihre Energie – all das ist bereits auf das Zwanzigfache eingestellt. Jede Herabsetzung der Quote ist auch eine Herabsetzung Ihrer Leistungsfähigkeit, die Sie selbst beklagen würden. Ich habe das feste Vertrauen zu Ihnen, daß jeder von Ihnen diese Quote erreicht, ja, sie überschreiten wird.«
Und er sah sie alle scharf und bedeutend an und ging weiter. Ganz so moralisch wie Spannfuß, der Idealist, annahm, waren die Folgen seiner Maßnahmen nun allerdings nicht. Unter der Devise »Rette sich, wer kann!« setzte ein allgemeiner Ansturm auf die Käufer ein, und mancher Kunde des Warenhauses Mandel war etwas verwundert, wenn er, durch die Herrenkonfektion wandelnd, überall blasse, freundlich verzerrte Gesichter auftauchen sah. »Bitte, mein Herr, wollen Sie nicht …?«
Es ähnelte stark einem Bordellgäßchen, und jeder Verkäufer frohlockte, wenn er dem Kollegen einen Kunden weggeschnappt hatte.
Pinneberg konnte sich nicht ausschließen, Pinneberg mußte mitmachen.
Lämmchen lernte es in diesem Februar, ihren Mann mit einem Lächeln zu begrüßen, das nicht gar zu lächelnd war, denn das hätte ihn bei schlechter Laune reizen können. Sie lernte es, still zu warten, bis er sprach, denn irgendein Wort konnte ihn plötzlich in Wut versetzen, und dann fing er an zu schimpfen über diese Schinder, die aus Menschen Tiere machten, denen man eine Bombe in den Hintern stecken sollte!
Um den Zwanzigsten herum war er ganz finster, er war angesteckt von den anderen, sein Selbstvertrauen war fort, er hatte zwei Pleiten geschoben, er konnte nicht mehr verkaufen.
Es war im Bett, sie nahm ihn in ihre Arme, sie hielt ihn ganz fest, seine Nerven waren am Ende, er weinte. Sie hielt ihn, sie sagte immer wieder: »Jungchen, und wenn du arbeitslos wirst, verlier den Mut nicht, laß dich nicht unterkriegen. Ich werde nie, nie, nie klagen, das schwöre ich dir!«
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