»Ich bin auch froh«, sagt sie. »Komm.«
»Junger Mann«, sagt Meister Puttbreese und sieht Pinneberg zwinkernd mit seinen geröteten kleinen Augen an. »Junger Mann. Geld nehme ich natürlich nicht für die Baracke. Sie wissen Bescheid.«
»Ja«, sagt Pinneberg.
»Sie wissen Bescheid!« sagt Meister Puttbreese mit erhobener Stimme.
»Ja?« fragt Pinneberg ermunternd.
»Gott«, sagt Lämmchen. »Leg da mal zwanzig Mark auf den Tisch.«
»Richtig«, sagt der Meister anerkennend. »Die junge Frau, die hat’s. Halber November. Und da lassen Sie sich man keine grauen Haare drüber wachsen, junge Frau, mit dem Bauch. Wenn der zu dick wird und es will nicht mehr mit der Hühnerleiter, dann machen wir einen Flaschenzug an und hängen einen Stuhl darunter, und dann ziehen wir Sie langsam hoch, das soll ein Genuß für mich sein.«
»Na also«, lacht Lämmchen, »die Sorge auch los.«
»Und wann ziehen wir ein?« fragt der Meister.
Das Ehepaar sieht sich an.
»Heute«, sagt Pinneberg.
»Heute«, sagt Lämmchen.
»Aber wie?«
»Sagen Sie«, wendet sich Lämmchen an den Meister. »Können Sie uns wohl einen Handwagen pumpen? Und würden Sie vielleicht auch ein bißchen mit anfassen? Es sind nur zwei Koffer, und dann haben wir noch eine Frisiertoilette.«
»Frisiertoilette ist gut«, sagt der Meister. »Ich hätte auf Kinderwagen getippt. Na, man weiß nicht, wie man manchmal zu was kommt. Stimmt?«
»Stimmt wirklich«, sagt Lämmchen.
»Na also, mach ich, tu ich«, sagt der Meister. »Kost ’ne Molle und einen Korn. Woll’n wir man abtrümmern.«
Sie trümmern ab, mit einem Handwagen.
Nachher, in der Destille, ist es gar nicht so einfach, dem Meister Puttbreese begreiflich zu machen, daß der Umzug in größter Stille vor sich zu gehen hat.
»Ach so«, sagt der Meister schließlich, »Sie wollen Viole schieben? Sie wollen zappenduster machen? Von mir aus. Aber das sage ich Ihnen, bei mir wird Marie vorneweg abgelegt, jeden Ersten wird angetanzt, junger Mann. Und kommen Sie nicht, schadet’s auch nicht, ich mach Ihnen dann selber den Umzug, ganz gratis, bis auf die Straße raus.«
Und Meister Puttbreese funkelt mit seinen kleinen roten Augen und lacht dröhnend.
Aber dann geht alles glänzend. Lämmchen packt mit einer geradezu gnomenhaften Fixigkeit, Pinneberg steht an der Tür und hält sicherheitshalber die Klinke fest, denn im Eßzimmer ist mal wieder eine Festivität im Gange, und Meister Puttbreese sitzt auf dem Fürstenbett und sagt immer wieder bewundernd: »Goldenes Bette, das muß ich meiner Ollen erzählen, das muß ja geradezu wie Jungfernschaft anregen, da drinnen …«
Und dann fassen die Männer schon die Frisiertoilette an, Puttbreese nur mit einer Hand, in der anderen hat er den Spiegel, und wie sie wieder oben sind, sind die Koffer schon geschlossen, der Schrank gähnt leer, die Schiebladen stehen offen.
»Also los«, sagt Pinneberg.
Puttbreese faßt jeden der beiden Koffer an einem Ende an, Lämmchen und der Junge je einen am anderen. Oben auf den Körben liegt ein Handkoffer, Lämmchens Stadtkoffer, und die Eierkiste mit dem Porzellan.
»Abmarsch!« sagt Puttbreese.
Lämmchen sieht noch einmal zurück, das ist das Zimmer, ihr erstes Berliner Zimmer, es ist doch schwer, fortzugehen. O Gott, sie muß noch das Licht ausmachen.
»Einen Augenblick!« ruft Lämmchen. »Das Licht!« Und sie läßt ihren Kofferhenkel los.
Zuerst kommt der Stadtkoffer ins Rutschen, er schlägt mit einem leichten kurzen Knall auf den Boden. Der Handkoffer macht schon mehr Getöse, die Eierkiste aber …
»Junge Frau«, sagt Puttbreese mit seinem tiefen Baß, »wenn die das nicht gehört haben, dann verdienen sie es, daß sie ihr Geld los sind …«
Die beiden Pinnebergs stehen wie die ertappten Sünder, die Augen starr auf die Tür vom Berliner Zimmer gerichtet. Und es ist richtig: Die Tür öffnet sich, in ihr steht mit gerötetem, lachendem Gesicht Holger Jachmann. Pinnebergs starren ihn an. Jachmanns Gesicht verändert sich, er zieht die Tür hinter sich heran und macht einen Schritt auf die Gruppe zu … »Nanu«, sagt er.
»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen leise und flehend. »Herr Jachmann, wir ziehen! Ich bitte Sie … Sie wissen doch!«
Auch Jachmanns Gesicht hat sich verändert, er sieht die junge Frau nachdenklich an, auf seiner Stirn steht eine senkrechte Falte, sein Mund ist halb offen.
Jachmann macht noch einen Schritt. Er sagt, und er spricht ganz leise: »Das ist nichts für Sie, daß Sie in Ihrem Zustand Koffer tragen.«
Er faßt mit der einen Hand den Korb, mit der anderen den Handkoffer.
»Ab dafür.«
»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen noch einmal.
Aber Jachmann spricht kein Wort mehr, er trägt die Koffer schweigend die Treppe hinunter, er legt sie schweigend auf die Karre, schweigend läßt er sich von Pinnebergs die Hand drücken. Dann sieht er ihnen nach, wie sie in der grauen, nebligen Straße verschwinden: eine Karre mit ein bißchen Krams, eine etwas schäbig gekleidete schwangere Frau, ein talmi-eleganter Garnichts und ein versoffenes dickes Tier in blauer Bluse …
Herr Jachmann schiebt die Unterlippe vor und denkt angestrengt nach. Da steht er, im Smoking, sehr elegant, sehr gepflegt, sicher hat er heute nachmittag ausgiebig gebadet. Er seufzt schwer und steigt dann langsam, Stufe für Stufe, die Treppe empor. Er schließt die Etagentür, die noch immer offen steht, sieht kurz in das wüste Zimmer, nickt, knipst das Licht aus und geht in das Berliner Zimmer.
»Wo warst du denn wieder?« empfängt ihn Frau Pinneberg im Kranz ihrer Gäste. »Wieder bei den jungen Leuten? Wenn ich Talent dazu hätte, würde ich noch eifersüchtig werden.«
»Gib mir einen Kognak«, sagt Jachmann. Er trinkt ihn aus. »Übrigens lassen dich die jungen Leute grüßen. Sie sind eben ausgezogen.«
»Ausgezogen …?« fragt Frau Pinneberg.
Und dann sagt sie schnell und empört sehr viele Dinge.
Ein Etat ist aufgestellt, und das Fleisch wird knapp. Pinneberg findet sein Lämmchen komisch
Lämmchen sitzt an einem späten, dunklen Nachmittag in ihrer Wohnung, hat ein Heft vor sich und lose Blätter, Federhalter, Bleistift, ein Lineal. Sie schreibt und addiert, dann streicht sie etwas weg, und dann setzt sie wieder etwas dazu. Dabei seufzt sie, schüttelt den Kopf, seufzt wieder, denkt: Es ist ja wohl nicht möglich, und rechnet weiter.
Das Zimmer ist wirklich gemütlich mit der tiefen Balkendecke und den rotbraunen warmen Mahagonimöbeln. Es ist ganz und gar kein modernes Zimmer, es tut dem Zimmer gar nichts, daß ein mit schwarzen und weißen Perlen gestickter Spruch an der Wand hängt, »Sei getreu bis in den Tod«. Das gehört alles dazu. Und auch Lämmchen gehört dazu im weiten, blauen Kleid mit der kleinen Maschinenspitze um den Hals, mit dem sanften Gesicht und der geraden Nase. Es ist angenehm warm im Zimmer, der nasse Novemberwind faucht manchmal gegen die Scheiben an, das macht alles noch heimeliger.
Lämmchen ist mit ihrer Schreiberei fertig. Sie liest noch einmal durch, was sie schrieb, mit vielen Unterstreichungen, kleinen und großen Buchstaben:
Normal-Etat von Johannes und Lämmchen Pinneberg pro Monat. Anmerkung: Darf unter keinen Umständen überschritten werden!!!
A. Einnahmen Gehalt pro Monat brutto: 200,– RM B. Ausgabena. Lebensmittel Butter und Margarine: 10,– Eier: 4,– Gemüse: 8,– Fleisch: 12,– Wurst und Käse: 5,– Brot: 10,– Kolonialwaren: 5,– Fische: 3,– Obst: 5,– b. Sonstiges Versicherungen und Steuern: 31,75,– DAG-Beitrag: 5,10 Miete: 40,– Fahrgeld: 9,– Elektrisches Licht: 3,– Feuerung: 5,– Kleidung und Wäsche: 10,– Schuhwerk: 4,– Waschen, Rollen und Plätten: 3,– Reinigungsmittel: 5,– Zigaretten: 3,– Ausgänge: 3,– Blumen: 1,15 Neuanschaffungen: 8,– Unvorhergesehenes: 3,– GESAMTAUSGABEN: 196,– RM BLEIBT BESTAND: 4,– RM
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