Die Unterzeichneten verpflichten sich, unter keinen Umständen und unter keinem Vorwande Geld zu anderen als den vorgesehenen Zwecken und nicht über den Etat hinaus der Kasse zu entnehmen. Berlin, am 30. November.
Lämmchen zögert noch einen Augenblick, sie denkt: Der Junge wird Augen machen, dann nimmt sie die Feder und setzt ihren Namen darunter. Sie packt alles fein säuberlich zusammen und legt es in ein Fach des Sekretärs. Aus seinem Mittelfach nimmt sie eine weitbauchige, blaue Vase und schüttet sie auf den Tisch aus. Ein paar Scheine fallen heraus, ein bißchen Silber, ein paar Messinggroschen. Sie zählt alles nach, es sind und bleiben hundert Mark. Sie seufzt leicht, dann legt sie das Geld in ein anderes Fach und stellt die entleerte Vase an ihren Platz zurück.
Nun geht sie zur Tür, knipst das elektrische Licht aus und setzt sich gemütlich auf den großen Strohstuhl am Fenster, die Hände auf dem Leib, die Beine schön weit auseinander. Durch das Marienglasfenster des Ofens fällt ein rötlicher Schein auf die Decke und tanzt dort leise hin und her, bleibt plötzlich stehen und zittert dann lange, bis er wieder zu tanzen beginnt. Es ist schön, bei sich zu Hause zu sitzen, allein im Dunkeln, man wartet auf den Mann, und vielleicht rührt sich das Kind im Leibe. Man ist so groß und weit, man fließt über und wird immer weiter … An die See muß man auch denken. Die hob sich auch so und senkte sich und ging immer weiter, man wußte eigentlich auch da nicht, wozu, aber gut war es, daß es so war …
Lämmchen schläft längst, schläft mit halbgeöffnetem Mund, den Kopf auf einer Schulter, einen leichten, schnellen, fröhlichen Schlaf, der sie hebt und wiegt in seinem Arm.
Und ist sofort ganz wach und ganz bei der Sache, als der Junge das Licht anmacht und fragt: »Na, wie geht’s? Im Dunkeln, Lämmchen? Hat der Murkel sich gemeldet?«
»Nein. Heute noch nicht. Übrigens Tag, Mann.«
»Übrigens Tag, Frau.«
Und sie geben sich einen Kuß.
Er deckt den Tisch, und sie richtet das Essen an. Etwas zögernd sagt sie: »Es gibt heute Schellfisch mit Senfsoße. Es war so schön billig.«
»Recht«, sagt er. »Mal esse ich ganz gerne Fisch.«
»Du bist guter Laune«, sagt sie. »Ging’s gut? Wie ist es mit dem Weihnachtsgeschäft?«
»Gott, es fängt so ein bißchen an. Die Leute trauen sich noch nicht recht.«
»Hast du gut verkauft?«
»Ja, ich hab heute Dusel gehabt. Ich hab heute für über fünfhundert Mark verkauft.«
»Du bist sicher der beste Verkäufer, den die haben.«
»Nee, Lämmchen, Heilbutt ist besser. Und Wendt ist mindestens ebenso gut. Aber – es kommt wieder was Neues.«
»Was denn? Gutes doch sicher nicht.«
»Bei uns ist jetzt ein Organisator eingestellt. Der soll den ganzen Betrieb durchorganisieren, Sparmaßnahmen und so.«
»An euern Gehältern ist doch nichts mehr zu sparen.«
»Kann man’s wissen, was die denken? Er wird schon was finden. Lasch hat gehört, er kriegt dreitausend Mark Gehalt monatlich.«
»Wie?« fragt Lämmchen. »Dreitausend Mark, und das nennt Mandel sparen?«
»Ja, die muß er eben wieder rausholen, der wird schon was finden.«
»Aber wie denn?«
»Die reden davon, daß nun auch bei uns jeder Verkäufer gesetzt kriegen soll, soundsoviel mußt du verkaufen, und wenn du das nicht schaffst, fliegst du.«
»Gemein finde ich das! Wenn die Kunden nun nicht kommen, und wenn sie kein Geld haben, und wenn ihnen eure Ware nicht gefällt? So was dürfte gar nicht erlaubt sein.«
»So was ist gerade erlaubt«, sagt Pinneberg. »Da sind sie alle verrückt drauf. Das nennen sie vernünftig und sparsam, dadurch finden sie, wer nichts taugt. Ist ja alles Mist. Der Lasch zum Beispiel, der ist ein bißchen ängstlich. Der sagt heute schon, wenn die das so machen, daß sie ihm seinen Verkaufsblock nachrechnen, und daß er immer Angst haben muß, ob er es auch schafft – dann verkauft er vor lauter Angst schon gar nichts.«
»Und das ist ja auch ganz egal«, sagt Lämmchen flammend, »wenn er auch wirklich nicht so viel verkauft und wenn er auch wirklich nicht so tüchtig ist, was sind denn das für welche, daß sie einen Menschen deswegen aus allem Verdienst und aller Arbeit und aller Lebensfreude herausschmeißen?! Sollen die Schwächeren denn gar nichts mehr sein? Einen Menschen danach bewerten, wieviel Hosen er verkaufen kann!«
»Na ja«, sagt Pinneberg, »du gehst ja mächtig los, Lämmchen …«
»Tu ich auch, rasend wütend kann mich so was machen.«
»Aber die sagen natürlich, daß sie einen Menschen nicht dafür bezahlen, daß er nett ist, sondern daß er eben viel Hosen verkauft.«
»Das ist ja gar nicht wahr«, sagt Lämmchen. »Das ist nicht wahr, Junge. Sie wollen ja doch, daß sie anständige Menschen haben. Aber was sie jetzt machen, mit den Arbeitern schon lange und mit uns nun auch, da ziehen sie lauter Raubtiere hoch, und da werden sie was erleben, Junge, sage ich dir!«
»Natürlich werden sie was erleben«, sagt Pinneberg. »Die meisten bei uns sind ja auch schon Nazis.«
»Danke!« sagt Lämmchen. »Ich weiß, was wir wählen.«
»Na – und was? Kommunisten?«
»Natürlich.«
»Das wollen wir uns noch mal überlegen«, sagt Pinneberg. »Ich möchte ja auch immer, aber dann bringe ich es doch nicht fertig. Vorläufig haben wir ja noch eine Stellung, da ist es ja noch nicht nötig.«
Lämmchen betrachtet ihren Mann nachdenklich. »Na schön, Junge«, sagt sie, »bis zur nächsten Wahl sprechen wir uns noch.«
Und damit stehen beide von ihrem Schellfisch auf, und Lämmchen wäscht rasch ab, und der Junge trocknet ab.
»Bist du auch bei Puttbreese gewesen?« fragt Lämmchen plötzlich. »Wegen der Miete?«
»Erledigt«, sagt er. »Ist alles bezahlt.«
»Dann leg das andere Geld nur gleich weg.«
»Schön«, sagt er und öffnet den Sekretär, nimmt die blaue Vase, greift in die Tasche, nimmt das Geld aus dem Portemonnaie, sieht in die blaue Vase und sagt verblüfft: »Da ist ja gar kein Geld mehr drin.«
»Nein«, sagt Lämmchen fest und sieht ihren Mann an.
»Aber wieso?« fragt er erstaunt. »Es muß doch noch Geld da sein! Unser Geld kann doch noch nicht alle sein.«
»Doch«, sagt Lämmchen. »Unser Geld ist alle. Unsere Ersparnisse sind alle, und was wir von der Reichsversicherung bekommen haben, das ist auch alle. Alles zugebuttert. Von jetzt an müssen wir mit deinem Gehalt auskommen!«
Er wird immer verwirrter. Es kann doch nicht sein, daß Lämmchen, sein Lämmchen ihn beschummelt. »Aber ich habe doch gestern oder vorgestern noch Geld im Topf gesehen. Bestimmt war da noch ein Fünfzigmarkschein drin und eine Menge kleiner Scheine.«
»Hundert waren’s noch«, erklärt Lämmchen.
»Und wo sind die hin?« fragt er.
»Weg«, sagt sie.
»Aber …« plötzlich wird er ärgerlich. »Zum Donnerwetter! Was hast du dafür gekauft? Sag es endlich!«
»Nichts«, antwortet sie. Und als er ganz wütend werden will: »Aber kapierst du denn nicht, Junge, ich hab sie weggelegt, verwahrt, die existieren nicht mehr für uns. Wir müssen jetzt mit deinem Gehalt auskommen.«
»Aber warum denn weggelegt? Wenn wir sagen, wir wollen nichts davon verbrauchen, bringen wir’s auch so fertig.«
»Nein, das tun wir eben nicht.«
»Das sagst du.«
»Höre mal, Junge, wir haben doch immer mit unserm Gehalt auskommen wollen, wir haben sogar noch was davon sparen wollen, und wo sind unsere Ersparnisse? Sogar alle Extraeinnahmen sind weg.«
»Aber wieso eigentlich?« fängt er an zu grübeln. »Wir haben doch wirklich nicht üppig gelebt.«
»Ja«, sagt sie. »Erst mal ist unsere Verlobungszeit gewesen, da sind wir immerzu hin und her gefahren, und ausgegangen sind wir auch viel.«
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