Mir geht es aber vor allem um meinen Schutz. Damit es allen klar ist: Ich muss einen solchen Auftrag nicht haben. Im Gegenteil, ich reiße mich unter solchen Umständen absolut nicht darum. Ich möchte Frau L. nicht in die Quere kommen. Ich möchte keinen Ärger mit meiner Chefin. Ich habe manchmal den Eindruck, sie sähe es gerne, wenn wir Frau L. und ich uns gegenseitig in einem Konflikt zerfleischen würden. Aber daran habe ich nicht das geringste Interesse. In unserer Arbeitsgruppe ging es also darum, wie man solche im Hintergrund angezettelten und damit unnötigen Konflikte vermeiden kann. Was man tun kann, wenn man zwischen die Fronten gerät."
Die Gruppe hatte herausgefunden: Kathrin müsse sich schleunigst von ihrer Naivität verabschieden und neue Sätze gegenüber der Vorgesetzten finden: Könnten Sie bitte auch Frau L. informieren. Ist das mit Frau L. abgesprochen? Ist Frau L. damit einverstanden? Bitte geben Sie mir den genauen Auftrag schriftlich und informieren Sie auch Frau L. Möchte Frau L. das nicht lieber alleine machen? Im Sinne der Konfliktvermeidung bitte ich um klare Anweisungen auch an Frau L.
Es war gar nicht so einfach, die richtige Reaktionsweise zu finden, weil die Vorgesetzte jahrelange Übung im Abfedern und indirekten Manipulieren hatte und Konflikte unter ihren Mitarbeitern gar nicht übel fand und gut instrumentalisieren konnte. Wenn die Mitarbeiter sich gegenseitig die Köpfe einschlugen, wusste die Rektorin sich ihrer Macht sicher. Die Kollegin, die die Rolle der Rektorin übernommen hatte, spielte diese exzellent. Kathrin war ein eher ängstlicher Typ und solche Winkelzüge der Macht waren ihr fremd. Aber wenn sie nicht lernte, solche Situationen zu durchschauen und die Vorgesetzte um Klarheit zu bitten, würde sie immer wieder in solchen Zwickmühlen verheizt werden.
Denn natürlich hatte sich Frau L. bei der Rektorin über sie beschwert und diese hatte Kathrin mit Vorwürfen überhäuft, warum sie sich nicht an Absprachen halten würde. Hierzu hatte Kathrin gar nichts gesagt, es herrschte nur die große Sprachlosigkeit. „Besser nichts sagen als etwas Falsches. Reden lassen. Es geht unserer Rektorin nicht um faire Auseinandersetzung. Sie möchte Ruhe in ihrem Laden und keine Wellen. Sobald etwas entsteht, das sie als Unruhe definiert, wird sie ausfallend gegenüber dem schwächsten Glied in der Kette, in diesem Fall mir gegenüber. Dabei hat sie selbst zu diesen Wellen beigetragen.“
„Warum gehst du nicht von dieser Schule weg?“, fragte ein Kollege nach dem Rollenspiel. „Das ist ja eine ganz miese Arbeitsatmosphäre bei euch. Dieser Umgangston geht ja völlig unter die Gürtellinie.“ „Och, den anderen Kollegen scheint das nicht viel auszumachen. Sie haben sich daran gewöhnt und sind vielleicht geschmeidiger. Aber für mich ist das nichts. Ich bin schon am Überlegen, klar“, antwortete Kathrin.
Nina war aufgeregt. Ob sie David noch einmal treffen würde beim Mittagessen? Und was diese Kathrin erzählte, deprimierte sie etwas. Sie kannte ähnliche Situationen aus ihrer eigenen Schule. Genau diese Vergiftungen der Arbeitsatmosphäre machten ihr auch zu schaffen und brachten sie ständig ins Grübeln. Dabei war die Arbeit in den Klassen doch eigentlich schwer und anstrengend genug. Im pädagogischen Bereich erwartete man einfach nicht ein solch egoistisches Machtgehabe, sondern offene, faire Auseinandersetzung in freundlichem Ton. Transparenz und Wertschätzung waren die Zauberworte der Zeit. Nina hielt nicht viel von Modevokabular, aber das, was diese beiden Worte anpeilten, war das Richtige.
Herr Bucher setzte nun zu einer Zusammenfassung an und teilte die Evaluationsbögen aus. Mittlerweile gehörten solche Bögen zum guten Ton. Ob sie wirklich etwas zum Positiven veränderten und einen Fortschritt darstellten? Hier an der Tagungsstätte war das gesamte Personal sehr freundlich. Erzeugten diese Bögen Druck? Wer erhielt eigentlich diese Bögen? Nina entschloss sich, den Bogen nicht auszufüllen. Sie lächelte in sich hinein: Heute fühle ich mich frei und heute nehme ich es mir heraus, den Evaluationsbogen nicht auszufüllen! Zum Glück wurde man noch nicht gezwungen, Kreuzchen zu setzen. Aber sicher gab es schon findige Köpfe, die überlegten, wie man es anstellen konnte, Kreuzchen zu erzwingen und es dennoch demokratisch aussehen zu lassen. Vielleicht mit kleinen Prämien zur Belohnung?
Mittlerweile war die bundesdeutsche Bevölkerung gut auf Evaluation eingespielt. Hätten die Deutschen nicht so gut auf dieses System angebissen, gäbe es weniger Papierkram, weniger Bürokratie, weniger pseudowissenschaftliche Statistiken - hätte sich das Qualitätsmanagement, das für die Zertifizierer wie eine Lizenz zum Gelddrucken war, nicht so ungehindert ausbreiten können. Ohne die so unschuldig aussehenden Kreuzchen würde es nicht funktionieren! Das sollte sich jeder, der einen solchen Bogen ausfüllt, einmal durch den Kopf gehen lassen, dachte Nina.
Aber sie bedankte sich noch persönlich bei Herrn Bucher. Er hatte den Kurs sensibel und umsichtig geleitet. Die Teilnehmer hatten genügend Freiraum gehabt und Bucher war nicht direktiv vorgegangen. Eine echte Wohltat. Aber jetzt schnell zum Essen, mal sehen, ob sie David noch erwischte.
Auf der Bank vor dem Hauptportal, auf der sich die Raucher häufig ein Stelldichein gaben, saß David und winkte ihr schon zu: „Na endlich! Ich habe hier ewig auf dich gewartet. Lass uns essen gehen." Er war einfach ein sehr direkter Typ, dachte Nina. Sie hatten Glück am Zweiertischchen war noch Platz und der vegetarische Auflauf mit schwäbischem Kartoffelsalat schmeckte vorzüglich. Annette kam vorbei um sich zu verabschieden. Nina stand auf und umarmte sie spontan: „Es war toll, dass wir uns kennengelernt haben. Sollen wir in Kontakt bleiben? Ich fände das schön." Annette war der gleichen Meinung. Sie flüsterte Nina zu: „Pass auf, der Typ sieht zu gut aus. Mit solchen Männern hat Frau nur Scherereien." „Alles klar, Frau Schulrätin, habe verstanden. Ich maile dich an." „Ja, wir können auch mal telefonieren und uns austauschen", schlug Annette vor und rauschte mit Peter, dem Senior-Schulrat, der Nina kurz mit einem „Tschüßle, machet’s gut!“ die Hand gab, von dannen.
„Hast du deinen Koffer schon im Auto?" fragte David. „Klar. Ich muss nach dem Essen schnell los. Die Konferenz. Ich habe es dir bereits gesagt." David begleitete Nina zu ihrem Auto auf dem Parkplatz des Tagungshauses. Er umarmte sie zärtlich und küsste sie auf beide Wangen und dann auf den Mund. Nina wurde es ein ganz bisschen schwindelig. Sie vergaß die Welt um sich herum und schloss die Augen. Seine Hände fuhren durch ihr Haar und dann hielt er ihren Kopf in beiden Händen und küsste sie weiter sehnsüchtig und fordernd. Etwas atemlos löste sich Nina von ihm, denn ihr wurde der Bodytalk zu heiß. „Ich muss jetzt los. Ich würde mich freuen, von dir zu hören. Du hast ja meine Kontaktdaten." „Okay, verstehe. Ich melde mich. Fahr vorsichtig. Ich denk an dich." David winkte ihr noch hinterher, als sie in die Hauptstraße abbog.
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