Ein Lehrerroman
Christine Born
Wirtschaft ist nicht Leben. Leben ist nicht managen und gemanagt werden.
(Hans A. Pestalozzi, geb. 1929 - gest. 2004)
Pädagogisierung ist nachgerade ein Indikator für Unlösbarkeit.
(Klaus Prange, geb. 1939)
Bildung ist die Fähigkeit, fast alles anhören zu können, ohne die Ruhe zu verlieren oder das Selbstvertrauen.
(Robert Lee Frost, geb. 1874 – gest. 1963)
Diplomaten ärgern sich nie. Sie machen sich Notizen.
(Charles Maurice de Talleyrans, geb. 1754 – gest. 1838)
Über das Buch:
Christine Born, Dipl. Journalistin und Dipl. Pädagogin, beschreibt in ihrem Roman die ganze Desolatheit des deutschen Bildungssystems, das in einem verwirrenden Umbau steckt. Weder Lehrer, Schüler noch Eltern haben klare Anhaltspunkte. Der Staat tritt seinen Bildungsauftrag mehr und mehr an die Wirtschaft ab, was im Windschatten sogenannter Reformen eine Zersetzung des staatlichen Bildungssektors nach sich zieht. Mit versteckten, meist pädagogisch oder ideologisch getarnten, Eingriffen möchte man die Ausgaben für das staatliche Schulsystem reduzieren und die Privatisierung der Bildung vorantreiben. Es ist von einer „Amerikanisierung“ des Bildungssystems die Rede. Romanheldin Nina, Realschullehrerin, versucht ihren Beruf und ihr Privatleben in Zeiten des postmodernen Ausfransens von Bindung und Bildung auf die Reihe zu bekommen und sehnt sich nach Liebe und Zärtlichkeit. Trifft sie ihren Mr. Right?
Von der Autorin sind bereits zwei Ratgeber für Lehrer/innen: Kleines Kraftpaket für Lehrer/innen und Neues Kraftpaket für Lehrer/innen im AOL-Verlag erschienen. Unter folgender E-Mail-Adresse können Sie Kontakt mit der Autorin aufnehmen: Christine.Born@gmx.net
Obwohl dieser Roman sich manchmal der Atmosphäre und der Örtlichkeiten von Lebenserinnerungen bedient, ist er ein fiktives Werk. Alle Situationen und die dazugehörigen Personen sind frei erfunden. Und obwohl es Institutionen gibt, wie sie im Buch beschrieben werden, sind die Einrichtungen in diesem Roman Phantasieprodukte.
Das Cover wurde gestaltet von Susi Schaaf unter Verwendung eines Photos von iStockphoto©Wavebreakmedia
Kapitel I – Konflikte als Chance
Die Räder ihres Trolleys holperten über das Kopfsteinpflaster der Tagungsstätte. „Was war das denn eigentlich hier?", fragte sich Nina, ein Krankenhaus, ein Schloss oder ein alter Hotelkasten? Auf jeden Fall gab es neben einem Betongebäude aus den 1970er Jahren einige bemooste Statuen und altes Gemäuer. Einen Park, ein großes Tor und einen Brunnen, der beruhigend vor sich hinplätscherte. Die Luft war frisch und der Tag schien wohl eher heiter zu werden. Eine sanfte Aprilsonne ließ auf einen schönen Mai hoffen. Aber wo war denn der Empfang? Schließlich sollte sie sich hier ihren Zimmerschlüssel abholen. Da sah sie das Schild. Gleich links ging es durch eine Glastür zur Rezeption, wo bereits ein ziemlicher Betrieb herrschte. Es war Montagmorgen kurz nach 9 und um 10 Uhr sollte Ninas Kurs losgehen. Sie war zum ersten Mal zu einer Fortbildung hier.
Hinter der Theke standen zwei Damen, die die Zimmerschlüssel ausgaben und anhand kleiner Lagepläne erklärten, wo man sein Zimmer finden konnte. Nina schaute sich um. Etwa sieben Gäste warteten - eher mittelalterlich – eben passend zu den bemoosten Statuen. Die Männer hatten Brillen und graue Bärte, waren ein bisschen moppelig und bestätigten somit die vorherrschenden Lehrerklischees. Es wurde geschwäbelt und eine Dame im hellroten Gewand, etwas zu stark geschminkt, verlangte aufgeregt ein ruhiges Zimmer im Erdgeschoss. „Ich hab Aschthma, da kann ich net die Treppen raufrennen", pflaumte sie die zarte Rezeptionistin an. Diese bekam einen roten Kopf und sprach sich leise mit ihrer Kollegin ab. Die Gewitterziege erhielt ihr ersehntes Zimmer.
Warum mussten schwäbische Lehrer manchmal so unerträglich sein? Kleinkariert, humorlos und naiv rechtschaffen. Nina sinnierte vor sich hin. Vor ihr stand ein Typ, der gar nicht schlecht aussah für einen Lehrer. So nebenbei bekam sie mit, dass es sich um einen Trainer handelte, der hier einen Kurs leitete. Der Name Bucher fiel des Öfteren. Netter Kerl, dachte sie. Vielleicht war er ja ihr Kursleiter, dann hätte sie Glück gehabt. Der sah aus, als würde er regelmäßig joggen.
Endlich erhielt auch sie ihren Schlüssel und machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Neben ihr klackerte eine Kollegin samt Rollkoffer in die gleiche Richtung. Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen. Das war echt nicht gemütlich. Sie blieb unterwegs manchmal im Pflaster stecken und grinste herüber zu Nina: „Habe wohl die falschen Schuhe an!" Nina meinte trocken: „Hier sollte man eher mit Turnschuhen einlaufen, scheint mir!" Beide Frauen lächelten sich an. Das Eis war gebrochen. „Ist Ihr Zimmer auch im zweiten Stock?", fragte Nina. „Ja, und welchen Kurs besuchen Sie? Vielleicht sind wir ja im gleichen Kurs?", meinte die Stöckelschuhfrau.
„Bei mir geht es um Kommunikation in Konfliktsituationen", erklärte Nina. „Schade", meinte die Kollegin, „ich bin neu ernannte Schulrätin und werde hier in einem Einführungskurs gebrieft." „Ach, deshalb haben sie sich so schick gemacht", lachte Nina. „Na klar!", konterte ihr Gegenüber. Beide lachten wieder und betraten das Gebäude, um ihre Zimmer aufzusuchen und das Gepäck abzustellen. Zweieinhalb Tage sollte Nina jetzt hier an der Fortbildungsakademie für Lehrer sein und sich beruflich auf den neuesten Stand bringen lassen.
Und Nina hatte sich darauf gefreut. Mal rauszukommen aus dem Alltag, etwas anderes zu sehen, andere Menschen zu treffen und hoffentlich ein paar gute Ideen für die Schule mitzunehmen. In der Schule wurde es immer anstrengender. Der Rektor war mehr als schwierig, praktizierte „Teile und herrsche“ und spaltete das Lehrerkollegium in Untergruppen auf, war also ein ziemlicher Autokrat.
Unter einer solchen Führung war es schwierig, kollegiales Vertrauen aufzubauen und echte Zusammenarbeit zu praktizieren. Offene, freundliche Kommunikation gab es viel zu selten, meistens wurde hintenrum entschieden, getratscht und intrigiert. Die Konrektorin, noch machthungriger, entschärfte die Lage nicht. Die Situation an Ninas Schule war alles andere als erfreulich. Außerdem nahmen die Schulreformen kein Ende. Die Bürokratie in der Schule ging unter anderem dank des Qualitätsmanagements auf wie ein Hefeteig. Und dann diese ständigen Konflikte mit den Schülern in der Pubertät in den immer schwierigeren und unüberschaubareren Klassen. Dazu Eltern, die ihre Kinder in ihrem originellen Verhalten noch unterstützten und nur auf gute Noten aus waren. Wie sollte das bloß weitergehen? Nina seufzte.
Vielleicht sollte sie den Lehrerberuf ganz an den Nagel hängen und sich eine andere Arbeit suchen? Und das obwohl der Käfig Beamtentum eine gewisse Sicherheit in Krisenzeiten versprach? Wie viele Pubertäten sollte sie im Laufe ihres Lehrerlebens noch miterleben - oder besser gesagt miterleiden? Vielleicht wäre der Job als Hausfrau und Mutter doch weniger stressig gewesen. Bei eigenen Kindern machte man die Pubertät nur einmal durch.
Aber die Trennung von Paul war definitiv und mit Anfang 40 einen neuen Partner finden? Das war nicht einfach. Besonders als Lehrerin an einer Realschule. Im Kollegenkreis brauchte man da schon gar nicht mehr zu gucken. Entweder waren alle verheiratet oder sie waren zu jung. Männer gab es sowieso nicht viele im „niederen“ Schulwesen. Bereits im Studium war deutlich geworden, es gibt nur etwa zehn Prozent Männer an den Pädagogischen Hochschulen. Diese PH’en sind ein Relikt aus der pädagogischen Steinzeit und in Baden-Württemberg immer noch Usus. Die männlichen Studierenden dort waren oft nicht männlich genug. So viel stand jedenfalls damals für Nina und ihre Freundin Stephanie fest. Die beiden Frauen hatten schon in ihrer Studienzeit über die Bauch-Bart-Brille-Kommilitonen abgelästert.
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