„Oh Gott. Am besten sagst du das noch dazu. Dann kannst du gleich das Land verlassen. Außerdem geht es darum doch gar nicht.“
„Ich finde schon. Wenn du sagst, ich sei damit nahe an der AfD, dann sag ich dir, dass die AfD nahe an den Islamisten sei. Die treten doch zu weiten Teilen für das Gleiche ein. Abschaffung der Homo-Ehe, Frauen an den Herd, Männer an die Macht, religiös geprägte Bildungssysteme, Beschneidung von Minderheitenrechten, gegen Feminismus und Political Correctness. Das hab ich doch auch alles geschrieben.“
„Soweit hab ich das Zeug nicht einmal lesen können geschweige denn wollen. Es ist vollkommen egal, wie du das verkaufst und welche Parallelen du dabei ziehst. Wenn wir das hier veröffentlichen, dann stehst du als Anti-Islamist und Rassist da und deine Karriere ist vorbei. Dann wirst du höchstens noch zu ein paar Talk-Shows geladen, um dich von einer linken Übermacht verbal zermalmen zu lassen. Das geschieht dann zwei oder drei Mal, danach bist du langweilig und abgeschrieben und egal was du danach machst, du wirst der rechte Spinner bleiben, der früher vielleicht einmal cool gewesen ist, aber dann dem Rechtspopulismus verfiel. Willst du das? Und ich gebe dir gleich einen Tipp, es gibt hier nur eine richtige Antwort.“
„Aber das ist doch genau die Art von Maulkorb, von welcher die AfD und Pegida alle sprechen, oder?“
„Es ist ein Maulkorb um die Karriere zu retten. Das bekommen Hunde, die zu dumm sind, nicht zu wissen, wann sie nicht beißen dürfen. Oder sieh es von der Seite. Das ist nicht ein Maulkorb der Gesellschaft, sondern meiner, ganz persönlich, nur für dich.“
„Also geht es doch eigentlich um dich und deinen Ruf.“
„Oh verdammt, jetzt sei doch nicht so lächerlich naiv. Ich versuche hier deinen Arsch zu retten und natürlich damit auch meinen, aber das eine geht hier leider nicht ohne das andere. Auch wenn ich nicht deine Agentin wäre, würde ich dir von diesem Schwachsinn abraten. Und ich kann nur beten, dass du die Wahrheit gesagt und dieses Ding nicht bereits an irgendwen geschickt hast.“
„Habe ich nicht“, oder zumindest glaubte er es, was in Anbetracht seines Zustands nach den letzten Nächten nicht gerade sicher war.
„Und dabei belassen wir es. Manches in dem Buch ist ja ganz in Ordnung, aber da muss ich erst mit ein paar Leuten sprechen. Im Zweifelsfall nehmen wir das, lassen es von ein paar Leuten – natürlich inoffiziell – ausarbeiten und sehen danach, was wir damit machen können. Ich melde mich, wenn sich was ergeben sollte und bis dahin machst du genau mit den Interviews weiter, im selben Stil wie bisher. Keine Überraschungen. Die Leute lieben es, auch deine Stellungnahme zu Bernardino. Mach weiter so und bald wird sich alles nur noch um dich drehen.“ Und sie hatte die Bar verlassen.
Gedankenverloren blieb Nico sitzen. Vor den Fenstern spielte sich die Nacht ab und er wunderte sich, wann sie einmal nicht dagewesen war. Hinter der Bartheke lief ein Fernseher, auf stumm geschaltet, Bilder aus San Bernardino oder vielleicht auch einer anderen Stadt in Amerika, in der wieder geschossen wurde. Er wusste so gut wie jeder andere, wie irrelevant dieser Anschlag gewesen war, über den niemand berichtet hätte, wären die Attentäter nicht muslimisch gewesen. Davon gab es so viele, niemand würde über sie alle berichten können. Niemand würde von allen hören wollen. So wurde es den Nachrichten leicht gemacht, wie es auch ihm leicht gemacht wurde, denn natürlich hatte er sich dazu geäußert, mit derselben moralischen Entrüstung und denselben Forderungen des Immer Gleichen. Nach wenigen Schlücken seines Cocktails konnte er sich nicht einmal mehr erinnern, wieso er mit ihr über diese lächerliche Seiten in seinem Buch gestritten hatte. Schließlich wollte er vor allem das Geld und keine besondere Message verbreiten, beziehungsweise höchstens eine, die ohnehin bereits verbreitet war, und zwar beim richtigen Publikum: dem attraktiven, dem jungen Publikum, den schönen Mädchen und den intellektuellen Debatten, die ihm mehr Geld und Mädchen bringen würden. Bis heute konnte er noch nicht nicht begreifen, was für ein unglaubliches Glück Houellebecq mit seinem letzten Veröffentlichungstermin gehabt hatte, so kurz vor den Anschlägen auf Charlie Hebdo und nah genug an den letzten Pariser Anschlägen und der Flüchtlingskrise, um immer noch relevant zu sein. Zum Glück war er Franzose und besetzte vor allem das konservative Feld, was in Frankreich, nach Geschichten, die er aus dessen Umkreis gehört hatte – um ihm persönlich begegnet zu sein hatte es wohl doch an Berühmtheit gefehlt – ausreichend mit grazilen Blondinen und hübschen Studentinnen besetzt war. Dort schien der Markt generell konservativer geprägt zu sein. Man war nicht mehr automatisch links, nur weil man attraktiv und gebildet war. Oder vielleicht kam es ihm und seiner Agentin und seinen Bekannten nur so vor.
Vielleicht waren die härteren Thesen seines Buches doch keine so dumme Idee, wenn sie ihm ein neues Marktsegment öffneten, hinein zwischen die Beine gut aussehender CDU-Wählerinnen. Doch erschien ihm der Gedanke bizarr, ein Widerspruch in sich selbst.
Er bestellte einen weiteren Cocktail, ohne den Namen zu kennen, angezogen von seiner neongrünen Farbe, umsehend, wer sonst noch in der Bar war, was sich vor allem in einer Vielzahl von Paaren oder größeren Gruppen erschöpfte. Ob er schon einmal hier gewesen war? Die Wahrscheinlichkeit war hoch, da die Bar nicht weit von seinem Apartment entfernt war, und doch schien sie ihm unbekannt. Die Augenlider schmerzten, Kopfschmerzen begannen einzusetzen, vielleicht aufgrund des Alkohols, vielleicht auch nur durch die grellen Neonlichter überall um ihn herum, die gelegentlich Farbe und Einfallswinkel änderten. Lebendige Insektenflügel, die über seinem Gesicht kreisten.
„Sie sehen furchtbar aus.“ Der Barkeeper schien ihn nicht einmal anzusehen, als er ihn ansprach.
„Danke“, murmelte Nico, „kommt die Freundlichkeit mit dem Beruf, oder ist das Voraussetzung?“
„Menschenkenntnis. Manche wollen auf solche Dinge hingewiesen werden“, einen Cocktail mischend, für irgendwen.
„Ich will mich also von Ihnen beleidigen lassen?“
„Wie Sie es aufnehmen ist Ihre Sache. Ob Sie empfindlich sein wollen, auch.“
„Ihre Gäste müssen Sie lieben.“
„Kann sein. Ist aber nicht mein Job.“ Der Cocktail ging an eine braunhaarige Frau, schlanker Körper, älter als Nico, definitiv und somit nicht sein Typ, auch wenn er kurz glaubte ihren Blick in seinem Nacken gespürt zu haben.
„Sie sollten nach Hause gehen.“
„Mach ich“, sagte Nico, zeigte auf sein leeres Cocktailglas, „später. Nochmal das gleiche.“
„Wie Sie meinen.“
Hatte das Arschloch tatsächlich geseufzt?
Es folgte eine Unterhaltung mit einem halbwegs gut aussehenden Mädchen, welches ihn auch noch abblitzen ließ, selbst nachdem er sie auf seinen Namen und Promi-Status hingewiesen hatte und sie ihn angeblich sogar erkannt hatte. Wütend und betrunken machte er sich auf den Weg zurück in sein Apartment, das abschätzige Grinsen des Barkeepers verfolgte ihn bis zu seiner Aufzugtür. Er konnte den Griff des Klappmessers in seiner Jackentasche fühlen. Er würde nur bis zum Schichtende warten müssen, irgendwo in einer Gasse hinter der Bar.
Zurück in seinem Apartment lief sein Laptop – ein Lesbenporno den er schon einmal gesehen hatte, offensichtlich in Endlosschleife gefangen – sowie der Fernseher mit weiteren Bildern von San Bernardino oder wo auch immer gerade geschossen wurde. Auch diese Bilder kamen ihm bekannt vor. Auch sie waren gefangen in der endlosen Wiederholung elektronischer Bilder, die ihn jeden Tag verfolgten, ein weiterer Monitor einer in Monotonie erstarrten Welt. In müden Momenten wie diesen spürte er die Erleichterung, die sich aus der steten Wiederholung ergab, ihn von jeder Bedeutung und Verantwortung freisprechend. Wen interessierte die Welt, wenn sie morgen immer noch genauso aussehen würde? Wer musste sich darum kümmern, wenn sich ohnehin nichts ändern ließ?
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