„Nicht schon wieder. Seit der Sache in Amsterdam haben wir jeden Tag fast 5 Ankündigungen von Attentaten.“ Der Schichtleiter in der Zentrale des Sicherheitsdienstes im Louvre beschwichtigte.
„Das ist keine normale Drohung! Die Nummer unseres Faxgerätes ist nicht öffentlich! Sie sollten es ernst nehmen!“ Der Kommissar schrie fast durch die Leitung.
„Okay!“, war am anderen Ende der Leitung zu hören, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
Der Schichtleiter drückte auf einen der blauen Taste vor sich und sprach in ein Mikrofon: „Achtung! Wir haben wieder eine Bombendrohung. Seht Euch vorsichtig um und meldet alles Ungewöhnliche. Vorsichtshalber räumen wir den Mona-Lisa-Raum.“ Natürlich wurde diese Durchsage nicht von den Besuchern gehört. Nur das Wachpersonal empfing die Mitteilung per Funk direkt über einen winzigen Lautsprecher im Ohr.
Die beiden Wachmänner, die nur auf das Bild der lächelnden Mona Lisa aufpassten, bewegten sich zum Eingang ihres Raumes, vorbei an der eingeschlafenen Nonne im Rollstuhl. Sie forderten Besucher auf, die eintreten wollten, zurückzubleiben und verschlossen per Knopfdruck den Zugang mit einer automatischen massiven Schiebetür. Dann baten sie die Anwesenden wegen einer Übung den Raum zu verlassen. „Sie können gleich wieder das Lächeln genießen. Wir müssen diese Sicherheitsübungen jeden Tag durchführen. Bitte haben Sie Verständnis!“
Einem der Wachmänner fiel Madelaine auf, die friedlich in ihrem Rollstuhl schlief. Sie hatte die Augen geschlossen und das Kinn auf die Brust gesenkt. „Würden Sie bitte die Nonne im Rollstuhl mit nach draußen schieben?“, wies er einen jungen Amerikaner an. Dieser ging zum Rollstuhl, scheute sich davor die alte Frau zu berühren, sprach sie aber an. Als er keine Antwort erhielt, dachte er sich: `Einen guten Schlaf hat sie´, und legte seine Hände an die Griffe des Rollstuhls, um ihn nach draußen zu schieben.
Als es zischte, fiel der junge Amerikaner wie ein Stein zu Boden. Er hatte einen elektrischen Schlag erhalten. Sofort lösten die Wachmänner Alarm aus. Das Gemälde der Mona Lisa verschwand hinter der beschußsicheren Spezialstahlwand. Panik entstand und die noch ungefähr 15 anwesenden Menschen versuchten zum Ausgang zu gelangen, durch den das Licht des dahinter liegenden Korridors schimmerte.
Um 10.09 Uhr ereignete sich eine kleine Explosion im Rollstuhl. Kurz darauf steuerte etwas Raketenähnliches auf die Stahlwand zu. Mit einer ersten Explosion durchbohrte das Geschoss den Spezialstahl, mit einer zweiten Explosion zerbarst das Panzerglas und erzeugte eine Stichflamme. Vom Knall der Explosionen geschockt und von den umherfliegenden Splittern getroffen, sanken die Zeugen der Tat zu Boden und blieben wimmernd liegen.
Eine weitere Explosion ereignete sich im Foyer des Louvre, nahe dem Ausgang. Der laute Knall lähmte und schockte zusammen mit dem grellen Blitz der Explosion. Wenige Sekunden danach füllte orangefarbener Rauch das Foyer. Nichts war mehr zu erkennen. Menschen schrien und heulten in Panik, liefen orientierungslos durch die Halle, stießen gegen Säulen oder andere Personen. Andere wiederum flüchteten vorbei an einem hilflos und unvorbereitet wirkendem Wachpersonal durch den Ausgang nach draußen.
Drei Minuten später unterbrach der weltweit größte Nachrichtensender seine laufende Sendung: „Meine Damen und Herren! Wie ich soeben von der Regie höre, gab es eine Explosion im Pariser Louvre. Nein, es waren sogar mindestens zwei Explosionen. Bislang ist unklar, ob es Tote oder Verletzte gab. Über mögliche Schäden gibt es ebenfalls noch keine Berichte!“
Wieder unterbrachen Radio- und Fernsehsender ihre Programme, brachten Eilberichte und Sondersendungen über die neueste Freveltat. Mindestens 500 Millionen Mobilfunkgeräte in aller Welt signalisierten durch akustische oder optische Signale sowie Vibration den Abonnenten der weltweit führenden „Absolutely Important News“ an, dass es einen Anschlag auf den Louvre gab.
„Natürlich hoffen wir, dass niemanden etwas passiert ist und dass die Gemälde unbeschädigt geblieben sind. Im Louvre befindet sich eine der weltweit größten und wichtigsten Gemäldesammlungen.“
Der Amsterdamer Direktor der Abteilung Sonderaufgaben betrat ohne Anzuklopfen das Büro des Leiters der SK Van Gogh. Aufgeregt klatschte er das Fax auf dessen Schreibtisch.
Dieser las es. Ungläubig öffnete er seine oberste rechte Schreibtischschublade, entnahm ihr eine Kopie des Briefes, den man in Gustav Hasselbachs Wohnung fand. Er stellte fest, dass es der gleiche Code war.
„Wir müssen sofort nach Paris!“, sagte er im Befehlston zu dem Direktor und stürmte aus dem Büro.
Bereits um 12 Uhr Ortszeit war es sicher. Das Schreckliche, das Undenkbare war geschehen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Welt. Am treffendsten fasste eine Pariser Tageszeitung mit einer noch am gleichen Abend erschienen Sonderausgabe die Nachricht von dem grausamen Geschehen, diesem furchtbaren, unfassbaren Anschlag auf die Menschheit in eine Schlagzeile: „Mona Lisa wurde ermordet!“
Am nächsten Morgen erschienen Zeitungen in aller Welt mit ähnlichen Schlagzeilen: „Wer hat Mona Lisa getötet? Welche Unmenschen sind zu so etwas fähig? Das schönste Gesicht aller Zeiten wurde zerstört!“
Eine Pressekonferenz der Pariser Polizei wurde für 14 Uhr angesetzt. Ihr wurde mit Spannung entgegengesehen. Gerüchte von Festnahmen machten die Runde. Hatte man den Täter gefunden? Waren es die gleichen Täter wie in Amsterdam? Und die andere Frage: War es das Original-Bild?
Um 8 Uhr morgens fand zuerst die übliche Besprechung im Gebäude des für den Louvre zuständigen Pariser Überwachungsdienstes statt. Neben dem Pariser Polizeichef, dem Chef des Überwachungsdienstes, dem Leiter der wenige Stunden nach der Tat eingerichteten Sonderkommission Mona Lisa und verschiedenen Leitenden Beamten von Spezialabteilungen waren auch Vertreter der Französischen und Europäischen Regierung, sowie die beiden Polizisten aus Amsterdam gegenwärtig.
„Meine Damen und Herren!“ Damit begrüßte der Pariser Polizeichef die Anwesenden und fuhr erst fort, als die Gespräche verstummten und er sich der uneingeschränkten Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher sein konnte. „Ich möchte Sie zuerst auf den neuesten Stand unserer Untersuchungen bringen. Es versteht sich von selbst, dass diese Informationen als vertraulich zu behandeln sind. Bitte schön, Monsieur Gaultier!"
Der Angesprochene erhob sich und stellte sich als Chef des Pariser Überwachungsdienstes vor. Es war die zweitgrößte Einzelbehörde dieser Art in Europa, nach London und vor Rom und Berlin. Der Raum verdunkelte sich, nachdem er einem Assistenten ein Zeichen gab. Ein Monitor fuhr aus der Decke des Raumes und warf seine Projektion auf eine gleichzeitig aus der Decke ausgeworfene silberne Leinwand.
„Sie sehen hier Bilder der Überwachungskameras, die wir für sie zusammengeschnitten haben. Die Zeit ist jeweils am linken oberen Bild eingeblendet. Es ist 9.28 Uhr, als die mutmaßliche Attentäterin das Zelt mit der Sicherheitsschleuse betritt. Beachten Sie bitte die Kommunikation zwischen ihr und der Nonne im Rollstuhl. Wie unsere Befragungen ergeben haben, sind die Beiden keine Unbekannten im Louvre. Isabelle Daou ist oder besser war als Pflegerin in einem Altenheim für wohlhabende Pflegefälle beschäftigt. Sie besuchte den Louvre ein bis drei Mal wöchentlich mit verschiedenen alten Damen.“
Die Anwesenden konnten an diesen Bildern nichts Ungewöhnliches feststellen. Einer fragte: „Dieser junge Wachmann, mit dem sie flirtet, ist das ein Komplize?“
„Wir haben ihn bereits verhört und sind uns ziemlich sicher, dass er nichts mit der Durchführung der Tat zu tun hat. Er hatte lediglich das übliche Interesse eines jungen Mannes an einer hübschen jungen Frau!“
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