„Die Dinge, die dort stehen, brauche ich. Alle und zwar sofort.“
„Das sind die Zutaten für einen Teleportationszauber, Lucas. Was willst du damit?“
Er wusste in dem Moment nicht, wer von ihnen beiden schockierter aussah. Sie, weil er sich damit beschäftigte, oder er weil …
„Woher kennst du den Zauber?“
„Was soll das heißen, woher ich den kenne?“ Sie lachte und er fand, dass es unecht klang. Sie war nicht glücklich, ihm verraten zu haben, dass sie wusste, wovon sie sprach. „Ich arbeite in einem Magieladen. Hast du wirklich angenommen, dass ich das tue, ohne Ahnung davon zu haben? Oder hältst du den Laden bloß für einen großen Schwindel?“
„Nein, aber es hätte möglich sein können. Verkauf von Räucherstäbchen, ein paar Duftkerzen, Badeöle, getrocknete Kräuter und Teenies, die sich einbilden mit einem Kugelschreiber ihres Auserwählten, sein Herz für sich zu gewinnen. So was in der Art. Abgesehen davon musst du keine Ahnung von Ritualen und Zaubern haben, wenn du ein paar Wunder und Bücher verkaufst.“ Er musterte sie aufmerksam. „Aber du kennst dich damit aus, oder?“
Sie wich seinem Blick aus und reichte ihm stattdessen sein Handy.
„Chris?“ Er bohrte nach. Ihn interessierte das. Portalzauber waren keine Magie für Anfänger, wenn sie sich damit auskannte, dann hatte sie mehr mit Magie zu tun, als er geglaubt hatte. Vielleicht besaß sie sogar selber Fähigkeiten.
„Karten auf den Tisch, was ist das hier für eine Nummer mit dem Laden? Und wieso kennt sich die ehemalige Angestellte einer Bar in Liberty City mit Magie für Fortgeschrittene aus? Erzähl mir nicht, dass hast du in der Schule gelernt?“
„Hör auf mich auszufragen, okay? Ich wüsste sowieso nicht, was dich das angeht und außerdem war ich diejenige, die wissen wollte, warum du diese Zutaten brauchst. Was hast du mit Magie zu schaffen? Ich denke du bist …“
Sie brach den Satz ab und er hob fragend die Augenbrauen. Für was hielt Chris Harold ihn?
„Investment-Manager? Oder was weiß ich.“
Offensichtlich nicht für einen Feuermagier, Teamleiter der Talamadre und Helden, der die Welt rettete. Gut, augenblicklich ging es darum, Rhylee zu retten. Er verlor kostbare Zeit.
„Es spielt keine Rolle, was ich bin. Wer ich bin, ist viel interessanter. Gerade nämlich ein Kunde, der in deinem Laden diese Sachen kaufen will. Hast du sie da und kannst mir helfen oder nicht?“
„Schon gut. Komm mit.“
Sie deutete zu einer Tür, die hinter dem Verkaufstresen lag. Er wartete bis sie aufgeschlossen hatte, dann folgte er ihr. Er konnte nicht viel erkennen, das Licht im Raum war gedämpft. Chris durchquerte ihn und öffnete die Dachluke. Eine Leiter führte hinauf.
„Müssen wir da hoch?“
Sie nickte und ging vor, er folgte ihr. Der Dachboden war ausgebaut und Lucas hatte keine Mühe aufrecht zu stehen. Regale bis unter das Dach standen an jeder Wand, darunter sammelte sich eine Vielzahl von Truhen und anderen abenteuerlichen Behältern.
Er sah zu Chris, die suchend von einer Stelle zur nächsten ging und dabei verschiedene Tütchen in ihren Händen sammelte.
„Ich habe alles da“, verkündete sie, als sie wieder zu ihm kam. Dafür hatte sie ihn hergeschickt?
„Toll, gehen wir wieder runter?“
Sie schüttelte den Kopf und er runzelte die Stirn.
„Gehen wir nicht?“
„Nein.“ Sie legte die Dinge zur Seite auf eine der nicht ausgepackten Kisten und stellte sich zwischen sie und ihn. Ihr Blick war weiterhin ernst und er ahnte schon, worum es ihr ging.
„Das sind die Zutaten für einen mächtigen Zauber, Lucas. Ich kann dir das nicht verkaufen, ohne dass du mir sagst, was du damit vorhast.“
„Wonach sieht es aus? Du hast schon richtig festgestellt, wofür man die Sachen braucht. Was sollte ich damit anderes anfangen wollen?“
„Wieso machst du so einen Portalzauber? Ich verstehe nicht, was du damit bezwecken willst.“
„Du meinst, du kannst dir nicht vorstellen, dass ich etwas mit Magie zu tun habe, richtig?“
Sie lächelte ertappt und ihm fiel auf, dass ihre grünen Augen im fahlen Licht des Sonnenscheins, der durch die Giebelfenster fiel, warm funkelten.
„Geheimnis gegen Geheimnis“, schlug er vor.
„Ich habe keine …“
„Feuermagie.“
„Was?“
„Meine Gabe. Feuermagie.“ Er grinste.
„Du machst dich über mich lustig.“
„Glaubst du nun an Magie oder nicht?“
„Was hat das damit zu tun. Es geht hier nicht um mich. Es geht um dich und darum …“
„Glaubst du daran?“, unterbrach er sie.
Sie verschränkte abwehrend die Arme. „Jeder Mensch hat etwas verdient, dass ihm Hoffnung gibt. Etwas woran er glauben kann.“
Er wertete das mal als ja.
„Das stimmt“, gab er ehrlich zu und lächelte sie an. Dann drehte er sich um und griff nach einem Stück Pappe. Davon gab es genug und sobald auch sie das Ziel seiner Suche im Blick hatte, ließ er es schön gleichmäßig in Flammen aufgehen. Bald schon war das Interesse an der Pappe nebensächlich, stattdessen sah Chris mit großen Augen zu ihm.
„Hast du das gemacht?“
„Siehst du hier noch jemanden, der dazu in der Lage wäre?“
Er löschte das Feuer, indem er es verglimmen ließ. Er wollte nicht, dass hier was außer Kontrolle geriet. „Jetzt bist du dran. Welche Magie besitzt Chris Harold?“
Er hörte wie unten im Laden eine Stimme laut wurde. Irgendwer rief irgendwas. Das wer konnte er nicht sehen, das was nicht hören, aber sie waren nicht länger allein.
„Ich muss zurück in den Laden.“
Sie nutze den Moment, ihm auszuweichen und nahm die Sachen, die sie weggelegt hatte, wieder in die Hände.
„Chris, wir hatten eine Abmachung. Welche Gabe?“
„Sagen wir, ich kenne mich ein bisschen aus. Gut genug um in so einem Laden ein bisschen von der Wahrheit und ein bisschen von dem zu erzählen, was die Kunden hören wollen, in Ordnung?“
„Nein. Ich meine, dass ist toll. Aber ich wollte was anderes wissen. Sag mir nicht, sie besteht im Gedanken lesen?“
Sie schmunzelte nun und schubste ihn in Richtung Dachluke. Er gab sich zwar nicht geschlagen, doch er kletterte die Holzleiter hinunter, dabei fluchte er, als er an einem Nagel hängen blieb.
„Alles okay?“
„Es ist nichts. Hast du ein Taschentuch?“
Die kleine Schramme blutete, als habe jemand versucht ihm den Finger abzutrennen. Toll, da jagte er den gefährlichsten Bösewicht der Talamadregeschichte, war Oberer einer Geheimorganisation, besaß übernatürliche, spektakuläre Fähigkeiten und was kam dabei raus? Er verblutete in der Gegenwart seiner Traumfrau, weil er sich an einem rostigen Nagel geschnitten hatte.
- Traumfrau - ???
Das musste er schnell aus seinen Gedanken streichen.
„Lass mich das ansehen.“
„Es ist nichts weiter. Ich brauche nur was zum Verbinden.“
Er wollte bereits in den Laden gehen, denn jetzt ordnete er die Stimme einem Teenie zu, der verunsichert ein zweites Mal ‚Hallo?’ rief.
„Ich sagte, lass mich das ansehen. Mein Gott, hör auf so stur zu sein, Lucas.“
Er sah zu ihr und lächelte. Wenn sie fluchte, war sie verdammt hübsch.
„Zeig mir den Finger.“
Bei der Aufforderung konnte er nicht nein sagen.
„Sieht schlimmer aus, als es ist“, meinte er und verfluchte, dass das Blut seinen Anzug ruinierte. „Hast du nun was zum Verbinden? Ein Pflaster? Ich muss nämlich wirklich los und wenn wir hier noch lange so dastehen, verblute …“
Er brach den angefangenen Satz ab, denn seine Gedanken gingen gerade andere Wege. „Hast du das gemacht?“
Er starrte auf seinen Finger, der aussah wie sein Finger. Sein Finger, ohne die hässliche Begegnung mit einem rostigen Nagel. Da war kein Blut, keine Schramme, gar nichts mehr.
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