„Das lässt sich so einfach sagen. Natürlich mache ich mir Gedanken. Und um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, dass du mir keine Vorwürfe machst. Ich könnte es verstehen.“
„Ma ist alt genug und wie gesagt sturer als jeder andere Mensch, den ich kenne.“
„Sturer als die alte Ms. Cavanagh?“ Sie war eine alleinlebende Künstlerin, die in ihrem kleinen Cottage am Stadtrand von Scarborough lebte und als Holly ein junges Mädchen gewesen war, galt es als beliebte Mutprobe der armen, verrückten Ms. Cavanagh ein paar Blume aus der hübschen Wildnis von Garten zu klauen. Seit Jahren hatte der Pfarrer der Gemeinde versucht sie dazu zu bewegen, sich mehr einzugliedern, sich ab und an helfen zu lassen und in die Kirche zu kommen. Aber Ms. Cavanagh wollte davon nichts wissen.
„Ma ist sturer als zwei von ihrer Sorte, glaub mir, Holly. Ich will nicht behaupten, dass es die Dinge vereinfacht hätte, wenn du Weihnachten mit mir gekommen wärst. Aber sie glauben, es geht dir gut. Ich habe ihnen erzählt, dass du deine Erlebnisse wie eine echte Reiterin trägst. Da sagt man doch, wenn man vom Pferd fällt, sei es wichtig, schnell wieder zurück in den Sattel zu steigen.“
„Hast du das von Carol?“ Hollys Schwägerin war jahrelang Springreiterin gewesen, mittlerweile ritt sie nur noch aus Spaß und Freude und hatte die Wettkämpfe gegen ihre neue Rolle als Hausfrau und Mutter eingetauscht. Parallel machte sie einen Reitlehrerschein. Sie träumte von einem eigenen kleinen Stall, aber dagegen hatte Michael sich bisher erfolgreich gewehrt. Wer wusste, was in einem oder zwei Jahren sein würde. Holly kannte Carol als eine Frau, der es nur all zu leicht fiel, ihren Mann herumzubekommen. Allerdings auf eine liebenswerte Art.
„Carol sagt das ständig. Vor allem, wenn sie versucht mich zum Reiten zu überreden.“
„Aber den Gefallen hast du ihr bisher nicht getan, oder?“
„Nein. Aber ich vermute diesen Sommer wird sie es so lang versuchen, bis ich doch nach nachgebe.“ Er lachte und sie wartete ein paar Sekunden; genoss das Lachen, was sie wie eine warme Decke einhüllte und ein Schauer schöner Erinnerungen flutete sie.
Nachdem die Steine von ihrer Brust gepurzelt waren, fiel es ihr leichter mit Michael zu reden. Es war so vertraut und er war so gut darin, sie alles andere vergessen zu lassen. Er hatte ihr vergeben und das rührte und wärmte sie so sehr, dass Holly sogar für den Moment vergaß, warum sie wirklich hier war und was für Probleme sie noch immer verfolgten. Von denen sie ihm auf keinen Fall erzählen durfte und was für Geheimnisse und Lügen somit schon wieder zwischen ihnen stehen würden, sobald das Thema sich heiklem Terrain näherte.
„Es tut so gut mit dir zu reden. Ich bereue es, das nicht viel eher getan zu haben, Michael.“
„Hauptsache ist doch, dass du es jetzt getan hast. Und das es dir besser geht.“
„Also, was hast du ihnen erzählt?“, lenkte Holly ab, damit das Gespräch nicht allzu schnell wieder auf das Thema kam, was sie so lang wie möglich vermeiden wollte.
„Das du dich zurück in die Arbeit gestürzt hast. Das du wieder auf Ausgrabungen bist und dich meldest, sobald du Zeit hast. Sie wüssten doch wie du seiest und das Wichtigste sei, dass du okay bist.“
„Das hast du ihnen gesagt?“
„Ja“, er seufzte. „Ich habe mich wirklich mies gefühlt, weil ich genau wusste, dass du alles andere als okay warst, als ich zurückflog.“
„Warum hast du es dann trotzdem getan?“
„Weil ich dich kenne und weil ich dir vertraue. Ich wusste, du würdest dich da rausziehen und dann von selbst zu uns kommen. Wenn du bereit dazu bist. Zugegeben, die letzte Zeit habe ich mich oft gefragt, ob es richtig so war, aber jetzt zeigt sich, dass ich mich nicht getäuscht habe. Du warst immer schon stärker, als du aussiehst.“
„Ich habe mich ja auch als einziges Mädchen aus der Nachbarschaft getraut, Wildblumen bei Ms. Cavanagh zu klauen.“
„Du warst ja so mutig“, scherzte Michael und brachte sie zum Lachen. „Und eine kleine Diebin. Unglaublich wie verdorben du bereits mit neun warst.“
„Zehn“, korrigierte Holly.
„Noch schlimmer“, konterte Michael und eine Weile setzten sie dieses Spiel fort. Dann wurde Holly bewusst, dass sie ihn die ganze Zeit von James Handy aus anrief. Ein schlechtes Gewissen brachte sie dazu, das Gespräch abzubrechen. Michael spürte es sofort.
„Wirst du dich bei Ma und Dad melden?“
„Eventuell komme ich die Tage zu Besuch“, wich sie aus.
„Wirklich?“ Michael klang so begeistert, dass sie es bereute, das so voreilig und ohne nachzudenken, von sich gegeben zu haben.
„Ich versuche es“, versprach sie schließlich. Sie hatten es verdient und wenn Holly ehrlich war, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sie in die Arme nehmen zu können. Solange James ihr versprach, dass es sicher war, würde sie ihm glauben.
„Ich rufe dich noch mal an, aber jetzt muss ich erst mal Schluss machen.“
„Okay, gut. Pass auf dich auf, Schwesterchen und ändere deine Meinung nicht wieder. Andrew möchte seine Tante gern kennenlernen.“
„Und ich ihn“, erwiderte sie ehrlich. Sie hatte schon so viel verpasst.
„Okay. Dann bis bald.“
„Ja, bis bald.“
Holly legte auf und hoffte von Herzen, dass sie ihr Versprechen würde halten können.
Lucas
“ Fate can be a total bitch sometimes.”
Miami, 13.03.2017
Was für eine fürchterliche Nacht. Entweder lag es an der schlimmen Lektüre, die er seit Tagen studierte – und das auch noch ohne Erfolg – oder an Sateks Fluch. Es lag ganz sicher an Sateks Fluch, denn ohne den hätte Lucas gar nicht all die fetten Schinken nach Antworten durchforsten müssen. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Er wusste, dass die Suche nach Wundern immer so war. Wenn es leicht wäre, das Unmögliche zu schaffen, würde es ja jeder können. Dann wäre es nichts Besonderes mehr. Er wollte sich also gar nicht über die Suche und die damit verbundene Arbeit beschweren. Es waren seine Träume.
Normalerweise hätte er bestimmt nicht von ihr geträumt. Auf keinen Fall! Klar, sie hatte ganz gut ausgesehen. Aber es gab hübschere Frauen und vor allem hatten die meistens einen Frauennamen und hießen nicht Chris . Zudem träumte er nicht davon, eine Frau in seinem Bett zu haben, die ihn lieber ohrfeigte, als mit ihm auszugehen. Dass sein Traum trotzdem hoch erotisch und verdammt gut gewesen war, ließ er jetzt mal unbeachtet. Es war eine scheiß Nacht gewesen. Punkt. Und daran war allein Satek schuld.
Sateks Macht war groß. Leider nicht nur in Sachen Liebe. Er sorgte doch tatsächlich für so schlechtes Wetter, das sich Ms. Banks Ankunft immer weiter nach hinten verschob. Wer sonst sollte dafür verantwortlich sein?
„Setekh? Ich bitte dich Lucas. Er ist der Gott der Zerstörung und …“
„Des Chaos‘. Ich habe deinen Bericht verfolgt. Ich finde er stiftet sehr viel Chaos“, unterbrach Lucas Jeremy unhöflich.
Während Lucy seinen Ausspruch mit einem Lächeln quittierte, bewegten sich Jeremys Lippen kein bisschen. Dem war Lächeln noch fremder als Wescott. Allerdings war der Name tabu. Lucas arbeitete immerhin intensiv daran, dass der Obere nicht zum Gesprächsthema wurde. Dabei rechnete er jeden Moment damit, dass Jeremy das Schweigen brach. Er war seit der Sache mit Rhylee auffällig zahm gewesen und das passte nicht zu ihm.
Was heckst du wieder aus Jerry?
„Dennoch gehört die Beeinflussung des Wetters im Nirgendwo von Eurasien nicht zu seinen Fähigkeiten.“
„Das wissen wir nicht, Jeremy. Genauso wenig ist bewiesen, dass er ein Gott ist, dennoch redest du von ihm, wie von einem.“ Das konnte er jawohl nicht abstreiten?
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