»Kristina, du liest zu viele Krimis. – Ich wette mit dir: Da sucht ein Projekt Investoren. Vermutlich so eine neue Ferienanlage. Oder eines von diesen Timesharing-Modellen.«
Davon hatte auch Katharina schon gehört: Man investierte in eine Immobilie und konnte sie dafür einen Teil des Jahres nutzen.
Die junge Frau lachte eine Nuance zu laut: »Bist du denn so wohlhabend? Hast du im Lotto gewonnen?«
»Nicht direkt, aber ich habe einige gute Aufträge in der Pipeline. Seitdem ist auch meine Bank ständig mit Investment-Plänen hinter mir her. – Aber ich habe bisher nur etwas Gold gekauft.«
Die junge Frau sah unwillkürlich auf den leeren Ringfinger an ihrer rechten Hand.
»Ach, können wir noch an einem Buchladen vorbei, wenn wir das Gepäck losgeworden sind?«, fragte sie viel zu fröhlich.
»Lass mich raten, Krimis kaufen?« Jetzt war es der Mann, der der Frau über die Haare strich. Es sah ein wenig grob aus, doch die Frau schloss die Augen und schmiegte sich in die Hand.
Dann ließ der Mann los. Gleichzeitig öffnete die Frau die Augen wieder: »Klar. Was denn sonst?«
***
Auf dem Skyline-Bahnsteig im Terminal 2 trennten sich ihre Wege. Der Mann hob Katharina noch die Tasche aus der Kabine, was die Frau mit einem verschwörerischen »Mein Ritter!« in Katharinas Richtung quittierte.
Katharina sah den beiden nach. Früher hatte sie Frauen immer belächelt, die unwillige Männer umschwärmten. Doch jetzt? Schließlich hatte sie sich ebenfalls in den falschen Mann verliebt. So was von falsch. Mörderisch falsch. Seufzend machte sie sich auf den Weg ins Terminal.
***
Am Fuß der Rolltreppe passierte sie eine Toilette: Genau, was sie jetzt brauchte. Rasch ging sie hinein. Der Raum war leer, keine Kabine besetzt. Sie sah sich um. Keine Videoüberwachung. Sehr gut.
Katharina schloss sich mit dem Kosmetikkoffer in einer Kabine ein und zog ihre Pistole aus der Manteltasche: Eine handgefertigte Stockert&Rohrbacher Modell 1, die ihr Antonio Kurtz zum Geburtstag geschenkt hatte. Auf dem Schlitten war das Wort »Killer Queen« eingraviert. Und auf dem Griff prangten zwei goldene Kerben für die beiden Drogendealer, die sie in Notwehr erschossen hatte. Und um ihren Partner Thomas zu rächen, der in der gleichen Schießerei ums Leben gekommen war. Dummerweise war einer der beiden Drogendealer Miguel de Vega gewesen. Sohn von Felipe de Vega. Und deshalb war sie jetzt auf der Flucht.
Rasch zerlegte Katharina die Waffe. Dann verstaute sie die Einzelteile sorgfältig in den dafür vorgesehenen Geheimfächern. Sie drapierte den Gurken-Vibrator so, dass er gut sichtbar obenauf lag. Das sollte lästige Nachfragen beim Zoll ganz schnell unterbinden. Dann schloss sie den Kosmetikkoffer sorgfältig ab und verließ die Kabine wieder.
Sie wusch sich vorsichtig die Hände, um den Verband nicht zu beschädigen und sah in den Spiegel. Im Neonlicht trat ihr Veilchen wirklich deutlich hervor. Komisch, das war ihr zu Hause gar nicht aufgefallen. Kein Wunder, dass die Blondmaus im Reisebüro seltsame Schlüsse zog. Rasch nahm sie ihre Puderdose aus der Handtasche und versuchte, die Schäden abzudecken. Besser als gar nichts.
Die Tür zur Toilette wurde aufgerissen. Katharina griff in ihre Manteltasche. Wo war …? Verdammt, ihre Waffe hatte sie eben zerlegt. Katharina stellte einen Fuß vor. Kampfposition. Ministro würde auch so sein blaues Wunder erleben.
Doch es kam nur eine Frau in die Toilette gestürmt. Sie rannte schnurstracks in eine Kabine, schlug die Tür zu, ließ den Riegel einschnappen.
»Nie wieder Fisch im Flugzeug!« Würgen. Erbrochenes, das in eine Kloschüssel platschte. Oh Gott, so fangen Katastrophenfilme an.
Katharina konnte nicht anders. Sie klopfte an die Kabinentür. »Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie Hilfe?«
Einmal freundlich helfende Staatsmacht, immer freundlich helfende Staatsmacht. Polanski, der ihr immer vorwarf, sie sei zwar eine ausgezeichnete Ermittlerin, aber keine gute Polizeibeamtin, wäre stolz auf sie.
»Nein«, kam es zurück. »Jetzt ist alles draußen.«
»Wirklich nicht? Ich kann den ärztlichen Dienst rufen.«
»Wirklich nicht. Ist nur … morgendliche Übelkeit. Sie wissen schon. Verdammte Zeitverschiebung.«
Aha, die Frau war schwanger. »Ganz sicher?«
»Ganz sicher. Geht gleich wieder. Ich mache das schon eine Weile.« Wieder Würgen und Platschen. »Und das war das Abendessen. Das müsste es jetzt aber wirklich gewesen sein. Gehen Sie ruhig.«
»Okay.« Wenn die Frau es so wollte. Katharina nahm ihr Gepäck und verließ die Toilette. Erst jetzt merkte sie, dass ihre Beine zitterten. Es ist keine Paranoia, wenn wirklich jemand hinter dir her ist …
***
Am Emirates-Schalter stand eine endlose Schlange. Verdammt. Hoffentlich schaffte sie das rechtzeitig. Aber …
Einer der Schalter war leer. Über dem Schalter stand »First Class«.
Doch! Damit war sie gemeint. Vergnügt spazierte sie an den neidischen Blicken der Wartenden vorbei, während sie den Umschlag mit den Reiseunterlagen hervorzog. Die Schönheit aus Tausendundeinernacht, die hinter dem Schalter stand, nahm Ticket und Reisepass entgegen, tippte auf ihrem Computer, sah Katharina wieder an und sagte etwas. Das Einzige, was Katharina verstand, war das Wort Yamamoto.
»Ich … äh … könnten Sie noch einmal …«
Der Blick der Schönheit kühlte ab. »Ich habe Sie gefragt, wo Sie sitzen möchten. Am Fenster oder am Gang?«
»Verzeihung, aber ich spreche kein Arabisch.«
»Ich hatte Sie auf Japanisch gefragt«, sagte die Schönheit hochnäsig.
»Oh!« Was jetzt? Okay, die ungefähr hundertste Notlüge an diesem Tag. »Ich spreche auch kein Japanisch. Ich … ich bin in Deutschland aufgewachsen.«
»Aha!«, sagte die Schönheit herablassend. »Also? Wo möchten Sie sitzen? Gang oder Fenster?«
»Fenster bitte.«
»Aber gerne«, kam es frostig zurück. »Stellen Sie bitte Ihr Gepäck auf das Band.«
Katharina gehorchte. Endlich gab die Schönheit ihr den Boarding-Pass, während ihre Reisetasche und der Kosmetikkoffer auf dem Laufband davonfuhren. Hoffentlich war beides jetzt nicht auf dem Weg nach Wladiwostok.
***
Passkontrolle, Sicherheitsschleuse, Gate, Boarding, Abflug – noch fünf Stationen bis zur Sicherheit!
Katharinas Herz schlug bis zum Hals, ihr Mund war trocken und ihre Hände feucht. Sie ging zielstrebig und schnell, ohne nach rechts und links zu schauen und –
Sie prallte gegen etwas, stolperte, fiel hin. Der Inhalt ihrer Handtasche ergoss sich über den Fußboden. Ein starker Arm packte sie.
Verdammt! Sie hatte nicht aufgepasst. Jetzt würde sie die Quittung bekommen: die Schärfe eines Messerstichs, den harten Schlag eines schallgedämpften Schusses, den Stich einer Spritze.
Doch eine sanfte Stimme neben ihr sagte nur: »Um Himmels willen, das tut mir leid.«
Der Mann, mit dem sie zusammengeprallt war, kniete neben ihr und fasste sie an der Schulter.
»Haben Sie sich wehgetan?« Er blickte sie besorgt an. Fein geschnittenes Gesicht. Graue Haare, gepflegter Vollbart. Freundliche graue Augen. Einen kurzen Augenblick stutzte Katharina, von einem Déjà-vu gepackt. Sie meinte, die Augen zu kennen. Doch woher? Sie musste sich täuschen.
Der Mann reichte ihr die Hand und half ihr aufzustehen: »Es tut mir wirklich entsetzlich leid. Wo habe ich heute nur meine Augen?«
»Kein Problem. Ich war ja auch abgelenkt.« Katharina bückte sich nach ihrer Handtasche. Die Prospekte und der Umschlag mit ihren Reiseunterlagen waren herausgerutscht. Und sonst noch ein paar Kleinigkeiten. Sie wollte alles wieder in die Tasche stopfen.
»Erlauben Sie?« Der Mann sammelte die Reiseprospekte auf, während Katharina hektisch die Kosmetikartikel und das Reserveset Unterwäsche verschwinden ließ. Beim Aufrichten stießen sie beinahe wieder gegeneinander. Katharina stolperte zurück, doch der Mann packte sie noch einmal am Arm und fing sie auf. Dafür, dass er nicht besonders groß war, war er ziemlich kräftig.
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