Hinter dem Tresen wartete jedoch nur eine zierliche Schwarze mit kurzem, zu winzigen Zöpfen geflochtenem Haar. Ihr Kopf ragte gerade eben über den Tresenrand.
»Welcome to Golden Rock, Misses Yamamoto!«, verkündete sie in fröhlichem Singsang. »Your passport and your voucher, please!«
Katharina kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Pass sowie den Reiseunterlagen und reichte beides über den Tresen.
»Have a seat, please. Gustavo will bring hot towels and a welcome drink.«
Katharina gehorchte und setzte sich auf das nächste Sofa. Aus dem Nichts erschien ein Kellner. Von einem Tablett nahm er ein großes Cocktail-Glas und stellte es vor Katharina auf den Tisch. Die Flüssigkeit darin war am Boden rot und wurde nach oben hin Orange.
Katharina zögerte: »Alkohol?«
»Kein Alkohol, Ma’am, frisch pressed Juice«, erklärte der Kellner. Dann reichte er ihr auf einem Teller ein sauber gefaltetes, dampfendes Handtuch. Katharina rieb sich Gesicht und Hände ab. Sie wollte sich bedanken, doch der Kellner war schon wieder verschwunden.
Also nippte sie an dem Saft. Sie merkte, wie durstig sie war, und trank den Rest in einem Zug. Als sie das Glas absetzte, stand die zierliche Schwarze neben ihr.
»Terribly sorry, Misses Yamamoto«, sagte sie in besorgtem Singsang-Moll. »Please follow me.«
Was war denn? Das Mädchen führte Katharina zu einer Tür mit der Aufschrift »Head of Security«.
Katharinas Kehle schnürte sich zu, ihr Herz begann zu rasen. War sie erwischt worden? Waren ihre Papiere …? Im Geiste überprüfte sie schon ihre Optionen zur Flucht.
Erst mal runter von Golden Rock. Sie hatte genug Geld in der Handtasche, jemand würde sie sicher zum Festland bringen können. Und dann?
Das Mädchen öffnete ihr die Tür. Katharina atmete tief ein und ging hindurch. Die Tür schloss sich mit einem leisen Knacken.
»Kaja? Bist du das?«
Katharina wirbelte herum und fand sich gleich darauf an eine sehr breite und sehr geblümte Brust gedrückt. Dann schoben zwei große Hände sie auf Armeslänge weg.
»Du bist es tatsächlich.«
»Harry?«, war das Einzige, was Katharina herausbekam.
Vor ihr stand tatsächlich Harry Markert, ihr alter Kollege aus Kassel. Sein Haar und sein Bart waren grau geworden, er hatte zugenommen und er trug keine Uniform, sondern ein weites, türkis geblümtes Hawaiihemd. Doch seine lieben braunen Augen waren noch die gleichen.
»Was machst du hier?«, fragte Katharina endlich.
»Das könnte ich dich auch fragen. – Komm, nimm Platz.« Er räumte ein paar Unterlagen von der Sitzfläche eines Stuhls. »Also, was machst du hier? – Undercover-Arbeit?«
»Was? Wieso das denn? Nein, ich bin im Urlaub –«
»Kaja, du warst noch nie eine gute Lügnerin. Und echte Papiere mit falschem Namen …«
»Echt?«, rutschte es Katharina heraus.
»Natürlich! So echt, wie es nur geht. Sogar das Einwohnermeldeamt und das Telefonbuch kennen eine Zoë Yamamoto, wohnhaft in Offenbach. Musste das sein, Kaja? Offenbach?« Er lehnte sich vor: »Komm schon. Du bist doch in offiziellem Auftrag hier, oder? Du kennst mich doch.«
»Nein, ich bin wirklich nur im Urlaub –«
»Lüg mich nicht an. Wenn hier irgendwas nicht stimmt, will ich das wissen. Ich bin schließlich Sicherheitschef«, sagte Harry streng. Doch dann musste er Katharinas Hilflosigkeit bemerkt haben. Sehr viel freundlicher fragte er: »Oder steckst du in Schwierigkeiten?«
»Wie kommst du da drauf?«
»Na ja, falscher Name im Pass. Lädiertes Auge. Verbundene Hand. – Komm, sag mir, was passiert ist.«
Katharinas Gefühl, endlich in Sicherheit zu sein, löste sich ansatzlos in Luft auf; ihre Flucht schien ihr auf einmal vergeblich.
»Ja, ich stecke in verdammten Schwierigkeiten.«
Und dann riss sie der Strom der Tränen mit sich mit.
***
Nach einer Ewigkeit waren die Tränen versiegt. Harry reichte ihr ein Taschentuch. Dann setzte er sich wieder auf die Kante seines Schreibtisches. »Komm, Kaja, erzähl mir die ganze Geschichte.«
In diesem Augenblick wurde die Tür zu Harrys Büro aufgerissen. Der Mann, der hereingestürmt kam, konnte höchstens Mitte dreißig sein, doch das Leben war ihm nicht freundlich gesonnen: Sein Haar war unordentlich, seine Haut blass, fast bleich, seine Kleidung so zerknittert wie sein Gesicht.
Er fixierte Katharina genervt: »Ist das endlich die IT-Schnepfe vom Festland?«
Harry stand auf: Mit seiner imposanten Erscheinung hatte er schon auf Streife so manchen Krawallschläger zur Raison gebracht. Auch der Mann, der sie so rüde unterbrochen hatte, wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Das ist Zoë Yamamoto, ein Gast! Eben angekommen«, erklärte Harry freundlich. Dann wandte er sich an Katharina: »Stefan Döring. Unser Club-Direktor.«
»Ein Gast! Hurra!«, sagte der Mann bitter, während er Katharina achtlos die Hand gab. »Beschwerde mit Tränen? Schon beim Einchecken?«
Harry wollte zu einer Erklärung ansetzen, doch Katharina kam ihm zuvor: »Mein Hund ist gestorben. Hab’ es eben telefonisch erfahren.«
»Gott sei Dank. Ich meine: Mein Beileid. – Harry, finde mal raus, wo die blöde IT-Schnepfe bleibt. Dieser Computer macht echt, was er will.« Und damit warf er die Tür hinter sich ins Schloss.
»Was war das denn?«, fragte Katharina, durch diesen Auftritt ernüchtert.
»Sieh es ihm nach. Stefan steht unter Stress. – Hier liegt einiges im Argen.«
»Was denn?«
»Erzähl ich dir später. – Jetzt bringe ich dich erst mal zu deinem Bungalow. Und unterwegs erzählst du mir in Ruhe, in welchen Schwierigkeiten du steckst.«
***
Katharina hatte sich rücklings auf das große, weiche Himmelbett fallen lassen. Einen kurzen Moment wünschte sie sich, jetzt einfach so liegen zu bleiben, bis sie wieder nach Deutschland zurückkonnte.
Harry hatte sie durch die paradiesische Landschaft der Insel zu einem kleinen Bungalow geführt, der sich malerisch in eine Felsengruppe einfügte. Der Bungalow selbst hatte nur einen großen Raum. Das »Badezimmer« mit Dusche und einer Badewanne mit Löwenfüßen lag dahinter im Freien, durch die umgebenden Felsen vor ungebetenen Blicken geschützt. Sehr romantisch.
Unterwegs hatte Katharina Harry von ihren Schwierigkeiten erzählt. Von Ministro. Und von Andreas Amendt. Harry hatte nachdenklich genickt. Er sei gerne bereit, mit in die Akte zu schauen, hatte er gesagt. Und was Ministro anginge: Die Insel sei eine Festung, nur über die Brücke erreichbar. Jeder, der reinwolle, müsse an ihm und seinen Männern vorbei. Und sie hätte es Verfolgern ohnehin schwergemacht.
Katharina hatte ihn gefragt, woher er sie denn erkannt hätte.
Harry hatte gelacht: Das Foto aus dem Polizeiausweis, das jetzt in ihrem Pass war – das hatten sie zusammen aufgenommen. Er selbst hatte einen Abzug, die an der Pinnwand mit seinen Schützlingen hing – jenen Polizisten, die er während ihrer Ausbildung betreut hatte.
Dann hatte er sie in dem Bungalow alleingelassen.
Jetzt lag sie also auf dem Bett. Doch wenn sie länger so liegen blieb, würde sie einschlafen. Also zwang sie sich, wieder aufzustehen. Sie warf einen Blick auf ihr Gepäck. Auspacken konnte sie später. Aber eines würde sie gleich erledigen: Sie öffnete den Kosmetikkoffer, nahm die Geräte heraus, entnahm ihnen die Teile ihrer Waffe und setzte sie zusammen. Dann schob sie die Pistole in ihre Handtasche und ließ die Geräte in der hintersten Ecke des Schrankes verschwinden. Die Akte und ihr Geld legte sie in den kleinen Safe. Als Kombination wählte sie »03 12 91«, den Todestag ihrer Familie. Der Code sollte sie daran erinnern, dass sie noch eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Dann schlüpfte sie aus ihren verschwitzten Kleidern und stellte sich unter die Dusche. Das prasselnde Wasser tat gut, ihre vom Flug verspannten Muskeln lockerten sich. Endlich hatte sie genug, trocknete sich ab und fischte frische Wäsche, ein T-Shirt, eine Stoffhose und ein paar Sandalen aus ihrer Reisetasche.
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