»Willkommen auf Mafia Island«, verkündete Augustin stolz.
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Nachdem er das Flugzeug sorgfältig in einem kleinen Hangar verschlossen hatte, nahm Augustin wieder Katharinas Gepäck. Erneut balancierte er die Reisetasche auf dem Kopf. Er musste Nackenmuskeln aus Stahl haben. Dann schritt er wieder zügig aus. Katharina musste beinahe rennen, um ihm zu folgen. Kein Wunder, dass die besten Marathonläufer aus Afrika kamen.
Sie gingen an einem kleinen, aber frisch und bunt gestrichenen Holzgebäude – wohl das offizielle Terminal – vorbei zu einem Parkplatz, auf dem nur drei Autos standen. Auf eines davon steuerte Augustin jetzt zu. Katharina blieb vor Staunen und, zugegeben, Neid der Mund offen stehen. Es war ein DKW Munga – eine Kreuzung aus offenem Jeep und Transporter, die zuletzt 1968 gebaut worden war. Doch der Wagen sah aus, als wäre er eben erst aus der Fabrik gerollt.
»Wow.« Es war Katharinas Hobby, alte Autos zu restaurieren, zuletzt einen Mini aus den Sechzigerjahren, den sie Morris getauft hatte; er hatte fast neu ausgesehen. Aber das hier war ein Meisterwerk.
»Willst du fahren?« Augustin hielt ihr die Schlüssel hin.
»Wirklich? Ich meine …«
»Ach, hier auf Mafia Island ist alles nicht so hektisch. Wenig Verkehr.«
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Seiner Chauffeursaufgaben entledigt, wandte sich Augustin mit Begeisterung seiner Aufgabe als Reiseführer zu und erklärte ihr die Schönheiten am Wegesrand, während Katharina sich nach Leibeskräften bemühte, den Wagen auf den holprigen Sand- und Steinpisten zu halten. Manchmal passierten sie ein Dorf, dessen Bewohner freundlich winkten.
»Tourismus ist noch neu auf Mafia Island«, erklärte Augustin. »Die meisten hier leben von der Landwirtschaft und vom Fischen. Einige auch vom Schmuggel, aber das war früher mehr.«
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Sie hatten die Insel fast ganz durchquert, als sie an eine Bucht kamen.
Auf ein Zeichen von Augustin hielt Katharina den Wagen an. Ihr Begleiter deutete nach vorne: »Golden Rock!«
Auf die Entfernung sah der mächtige Koloss aus zerklüfteten Felsen, der etwa einen halben Kilometer vor ihnen aus dem Wasser ragte, völlig unbewohnbar aus. Doch eine lange, schmale Holzbrücke zog sich über gischtiges Wasser von den Felsen zum Festland wie eine Nabelschnur.
»Die Legende sagt, dass einst ein zorniger Gott seinen Faustkeil in den Boden gerammt hat, weil er die Schönheit von Mafia Island nicht ertragen konnte«, erklärte Augustin theatralisch. »Andere behaupten, das seien die Überreste des Meteors, der die Dinosaurier ausgerottet hat. Und dieser Schweizer, Erich von Däniken, behauptet …«
»… dass Außerirdische dort einen Ufo-Landeplatz gebaut haben?«
»Genau.«
»Und in Wirklichkeit?«
»Na ja, die Geologen sind sich uneins. Aber die meisten vermuten, dass bei der großen Kontinentalverschiebung einfach eine Felsplatte gebrochen ist. Oder so ähnlich.«
»Und da ist wirklich eine Ferienanlage drauf?«
»Ja! Und was für eine. Du wirst sehen. Langsam auf der Brücke. Seitenwind.«
Behutsam ließ Katharina den Wagen anrollen; sie erwartete, dass die Brücke unter ihnen schwankte. Doch die Brücke stand … nun ja, wie ein Fels in der Brandung. Etwas mutiger gab Katharina ein wenig Gas. Sie rollten langsam über die Brücke.
»Hat ein Deutscher gebaut. Dirk Schröder. Kennst du den?«, fragte Augustin.
Katharina verneinte.
»Hätte ja sein können. Muss jetzt bestimmt ein Star sein. Richtig toller Architekt. Solide Wertarbeit. – Es führt über den Main eine Brücke von Stein. Wer darüber will gehen, muss im Tanze sich drehen«, stimmte Augustin an.
Das Frankfurter Volkslied löste etwas in Katharina: Sie konnte wieder frei atmen. Nur noch über die Brücke, dann war sie in Sicherheit. Sie hatte es geschafft! Bei der zweiten Strophe sang sie fröhlich mit:
»Kommt ein Fuhrmann daher, hat geladen gar schwer, seiner Rösser sind drei, und sie tanzen vorbei.«
Und so fuhren sie singend Meter um Meter der Insel entgegen, deren Felsen in der Sonne tatsächlich golden schimmerten.
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Die Brücke endete auf einem Felsplateau. Katharina hielt überrascht den Wagen an, da ihnen ein aristokratisch-schlanker Mann entgegentrat. Er trug einen hellen Anzug und einen Tropenhelm. In der Hand hielt er an einem Stab ein großes Schild: »Golden Rock gehört den Affen. Und sonst niemandem.«
Der Mann erkannte Augustin, machte den Weg frei und winkte ihnen freundlich zu. Augustin grüßte lässig zurück. Dann gab er Katharina ein Zeichen weiterzufahren: Eine schmale Straße führte in die Felsen hinein.
»Wer war das denn?«
»Das ist Alexander Freiherr von Weillher. Der steht immer hier.«
»Und das lasst ihr zu?«
»Er ist Dauermieter auf Golden Rock. Zahlt gut. Außerdem … die Touristen lieben es, ihn zu fotografieren.«
Katharina lachte auf: »Und was ist mit diesen Affen?«
»Hier auf Golden Rock gibt es Paviane. Die will er schützen. – Lästige Viecher. Wir haben ihnen ein Gehege eingerichtet, aber manchmal büxen sie aus und machen Ärger.«
Katharina wusste, was er meinte. Am Kap der Guten Hoffnung hatte sie erlebt, wie eine Horde Paviane auf der Suche nach Essbarem einen Campingbus zerlegt hatte: Ausgewachsene Paviane hatten die Kraft, Menschen den Arm aus dem Gelenk zu reißen.
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Gesäumt von hohen Felswänden wand sich die schmale Straße höher und höher.
Hinter zwei mächtigen Gesteinsblöcken öffnete sich mit einem Male ein großes Plateau: Die hügelige Landschaft war durchbrochen von rauen Felsformationen; gepflegter Rasen, kleine Wäldchen, einzelne Palmen und große, knorrige Bäume. Sauber geharkte Kieswege durchzogen die Landschaft, Treppen verbanden einzelne Ebenen miteinander. In der Ferne erhob sich wuchtig ein kleines Felsgebirge, auf dem ein Windrad stand.
Die zahlreichen kleinen Bungalows schmiegten sich an die Felsen, als wären sie aus dem Stein hervorgewachsen.
Schmetterlinge flatterten zwischen blühenden Hibiskus-Sträuchern hin und her.
So hätte es vermutlich im Garten Eden ausgesehen, dachte Katharina. Wenn da nicht die blöde Geschichte mit dem Apfel dazwischengekommen wäre.
Augustin tippte ihr auf die Schulter: »Alles in Ordnung?«
»Warum?«
»Du weinst.«
Katharina betastete ihr Gesicht. Tatsächlich! Ihr waren zwei Tränen die Wangen hinuntergelaufen. Sie hatte es geschafft! Sie war frei. Frei!
»Nur der Fahrtwind«, log sie rasch. »Meine Augen sind etwas empfindlich.«
Augustin zuckte mit den Schultern, als würde er ihr nicht recht glauben.
»Mein Gott, ist das schön hier«, sagte Katharina schließlich.
»Natürlich! Die Götter haben Afrika geschaffen, als sie besonders gute Laune hatten.« Auf Augustins ausgestreckter Hand hatte ein bunter Falter Platz genommen.
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Katharina ließ den Wagen wieder anrollen, musste aber gleich darauf bremsen: Vor ihnen überquerte ein Warzenschwein mit geschäftigen Schrittchen den Weg.
»Ich habt hier Warzenschweine?«, fragte Katharina erstaunt, während sie das Tier betrachtete, das sich am Wegesrand auf die Vorderknie niedergelassen hatte, um zu grasen.
»Nur das eine. Das ist Anton. Unser Maskottchen. Hat uns ein Ingenieur aus Namibia geschenkt.«
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Der Kiesweg führte sie zu einem Gebäudeensemble am Rand des Plateaus: Der große, offene Pavillon war vermutlich das Restaurant; das funktional-eckige Gebäude, das sich daran anschloss, enthielt wahrscheinlich die Küche, nach den Schornsteinen auf dem Dach zu urteilen. Etwas abseits stand ein zweistöckiger Holzbau mit einer offenen Veranda.
Augustin wies Katharina an, vor der Veranda zu parken. Sie kletterten aus dem Wagen und gingen ein paar Stufen hinauf.
Korbsessel und Sofas, mit bunten Tüchern bedeckt und üppig mit Kissen dekoriert, gruppierten sich um kleine Tische. In der Mitte der Veranda stand ein großer Tresen aus knorrigem Holz. Einen kurzen Moment erwartete Katharina, dass gleich Petrus an den Tresen trat, das große Sündenbuch aufschlug, ihr die Leviten las und dann den Eintritt ins Paradies doch noch verweigerte.
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