Meine Liebe zu C. C wurde mit jedem neuen Tage inniger und heißer, und ich war entschlossen, alles zu wagen, um sie davor zu schützen, daß ihr elender Bruder sie an irgend jemanden verhandelte, der vielleicht weniger bedenklich sein möchte als ich. Die Sache schien mir dringlich zu sein. Welch ein Greuel! Was für eine unerhörte Verführung! Welch seltsames Verfahren, um meine Freundschaft zu gewinnen! Dabei sah ich mich in die harte Notwendigkeit versetzt, dem Menschen gegenüber, den ich auf der ganzen Welt am tiefsten verachtete, mich zu verstellen. Ich hatte durch meine Erkundigungen erfahren, daß er überschuldet war und daß er in Wien, wo er Frau und Kinder hatte, Bankerott gemacht hatte; daß er in Venedig seinen Vater in Ungelegenheiten gebracht hatte, so daß dieser ihn aus dem Hause jagen mußte und nur aus Mitleid sich stellte, als wüßte er nicht, daß er immer noch dort wohnte. Er hatte seine Frau oder vielmehr seine Geliebte verführt; deren Mann wollte nichts mehr von Ihr wissen, und nachdem er ihr ganzes Vermögen verzehrt hatte, suchte er daraus Nutzen zu ziehen, daß sie sich prostituierte, denn er wußte nicht mehr aus noch ein. Seine arme Mutter, die ihn vergötterte, hatte ihm alles gegeben, was sie besaß, sogar ihre Schmucksachen und Kleider. Auch ich sah voraus, daß er mich von neuem wegen irgend eines Darlehens oder wegen einer Gutsage belästigen würde; aber ich war fest entschlossen, ihm alles abzuschlagen. Unerträglich war mir der Gedanke, daß C. C. die unschuldige Ursache meines Ruins werden und ihrem Bruder als Werkzeug dienen sollte, um seinen ausschweifenden Lebenswandel fortführen zu können.
Von einem unwiderstehlichen Gefühl aufrichtiger Liebe angetrieben, suchte ich schon am nächsten Tage P. C. auf. Ich sagte ihm, daß ich seine Schwester mit den reinsten Absichten liebte, und machte ihm bemerklich, welche Qual er mir bereitet hätte, indem er alle Rücksichten und sogar jene Scham verletzt hätte, die auch der durchtriebenste Wüstling niemals außer acht lassen darf, wenn er Anspruch darauf machen will, zur guten Gesellschaft zu gehören.
„Und sollte ich selbst“, so rief ich, „auf das Vergnügen verzichten müssen, Ihre engelsgleiche Schwester noch fürderhin zu sehen, so bin ich entschlossen, nicht mehr mit Ihnen zusammenzukommen; aber ich sage Ihnen, ich werde zu verhindern wissen, daß sie mit Ihnen ausgeht; denn es soll nicht von neuem irgendein niederträchtiger Handel mit ihr getrieben werden.“
Abermals entschuldigte er sich mit seiner Trunkenheit; er habe auch nicht geglaubt, daß ich für seine Schwester eine Liebe empfände, die den Genuß ausschlösse. Er bat mich um Verzeihung, indem er mich weinend umarmte, und ich hätte mich vielleicht erweichen lassen, als plötzlich seine Mutter und Schwester eintraten und mir in überschwenglicher Weise für mein hübsches Geschenk dankten. Ich antwortete der Mutter, ich liebte ihre Tochter nur in der Hoffnung, daß sie sie mir zur Gattin geben würde.
„In dieser Hoffnung, gnädige Frau, werde ich mit Ihrem Herrn Gemahl sprechen, sobald ich mir eine sichere Stellung errungen habe, die mich in Stand setzt, sie angemessen zu unterhalten und sie glücklich zu machen.“ Mit diesen Worten küßte ich ihr die Hand; ich war dabei so bewegt, daß mir die Tränen über die Wangen rollten. Meine Tränen waren ansteckend, und die gute Mutter ließ auch die ihrigen fließen. Nachdem sie mir herzlich gedankt hatte, ließ sie mich allein mit ihrer Tochter und mit ihrem Sohn, der starr wie eine Bildsäule dastand.
Es gibt auf der Welt viele Mütter dieser Art, und sehr oft sind dies gerade solche, die beständig keusch und züchtig gewesen sind: sie argwöhnen keine Täuschung, weil sie an sich selber keine anderen Beweggründe kennen als solche der Tugend; aber sie fallen fast alle ihrer Vertrauensseligkeit zum Opfer und der Zuversicht, die sie auf die von ihnen für rechtschaffen gehaltenen setzen. Die Worte, die ich der Mutter gesagt hatte, setzten die Tochter in Erstaunen; aber ihr Erstaunen wurde noch viel größer, als sie erfuhr, was ich zu ihrem Bruder gesagt hatte. Nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte, sagte sie ihm, mit jedem anderen außer mir würde sie verloren gewesen sein; sie würde an Stelle seiner Dame ihm nicht verziehen haben; denn sein Benehmen habe diese ebenso tief entehrt wie ihn selber. P. C. weinte; aber der falsche Kerl vermochte seinen Tränen stets nach Belieben zu gebieten.
Es war Pfingstsonntag, und da deshalb im Theater keine Vorstellung war, so sagte er mir, wenn ich am nächsten Tage mich am selben Orte wie sonst einfinden wollte, würde er mir seine Schwester zuführen, und da die Ehre ihm nicht erlaubte, Frau C. allein zu lassen, so würden sie uns unsere volle Freiheit gönnen. „Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel, und Sie bringen meine Schwester nach Hause, nachdem Sie mit ihr zu Abend gegessen haben, wo Sie Lust haben.“
Mit diesen Worten gab er mir den Schlüssel, den zurückzuweisen ich nicht stark genug war, und ließ uns allein. Einen Augenblick nach ihm ging auch ich, indem ich meiner Freundin sagte, wir würden am andern Tage in den Garten auf der Zuecca gehen.
„Mein Bruder“, sagte sie, „hat sich so anständig benommen, wie es unter diesen Umständen möglich war.“
Pünktlich war ich am verabredeten Ort und da ich vor Liebe glühte, so sah ich voraus, wie es kommen würde. Ich hatte natürlich eine Loge in der Oper besorgt, aber bis zum Abend gingen wir in unseren Garten. Da Festtag war, saßen mehrere kleine Gesellschaften an getrennten Tischen. Wir wollten nicht mit anderen Leuten in Berührung kommen und beschlossen daher, in den Zimmern zu bleiben, die wir uns anweisen ließen, und von der Oper uns nur den Schluß anzusehen. Ich bestellte demgemäß ein gutes Abendessen. Wir hatten sieben Stunden vor uns, und meine reizende Freundin sagte mir, wir würden uns nicht langweilen. Sie warf ihr Maskenkleid ab, setzte sich auf meinen Schoß und sagte mir, ich hätte sie vollends erobert durch die Art und Weise, wie ich sie nach jenem abscheulichen Abendessen geschont hätte. Alle unsere Gespräche aber waren von Küssen begleitet, die immer feuriger und feuriger wurden.
„Hast du gesehen“, fragte sie mich, „was mein Bruder mit seiner Dame machte, als sie sich rittlings auf ihn setzte? Ich sah es nur im Spiegel, aber ich konnte es mir wohl vorstellen.“
„Hast du nicht befürchtet, ich könnte dich ebenso behandeln?“
„Nein, das kann ich dir versichern! Wie hätte ich dies befürchten können? Ich weiß doch, wie sehr du mich liebst. Du würdest mich dadurch so gedemütigt haben, daß ich dich nicht mehr hätte lieben können. Wir sparen uns das solange auf, bis wir verheiratet sind, nicht wahr, mein lieber Freund! Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude ich empfand, als ich dich meiner Mutter gegenüber deine Gesinnungen erklären hörte. Wir werden uns ewig lieben. Aber da fällt mir ein, Liebster, erkläre mir doch die Worte, die auf den Strumpfbändern gestickt stehen.“
„Ist eine Inschrift darauf? Das wußte ich gar nicht.“
„O ja; sie ist französisch. Mache mir doch die Freude und lies sie.“
Auf mir sitzen bleibend, machte sie das eine Strumpfband ab, während ich ihr das andere löste. Die beiden Verse hätte ich lesen sollen, ehe ich ihr das Geschenk machte, sie lauteten:
En voyant chaque jour le bijou de ma belle, Vous lui direz, qu’amour veut, qu’ il lui soit fidèle.
Ihr, die ihr täglich meiner Schönen Kleinod seht, Sagt ihm: die Liebe will, daß sie in Treu besteht.
Diese Verse waren ohne Zweifel sehr frei, aber sie schienen mir gut gemacht, komisch und geistvoll. Ich lachte laut auf und lachte noch lauter, als ich auf ihren dringenden Wunsch ihr den Inhalt übersetzen mußte. Da ihr der Gegenstand ganz neu war, mußte ich mich in eine Erklärung der Einzelheiten einlassen, wodurch wir beide in Feuer gerieten. „Ich werde nun nicht mehr wagen“, sagte sie, „meine Strumpfbänder irgend einem Menschen zu zeigen, und das tut mir leid.“
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