„Sie haben also keinen Liebhaber?“
„Wie? Einen Liebhaber? Welcher Mann hätte wohl den Mut, in einem derartigen Hause mein Liebhaber sein zu wollen? Und bin ich etwa dazu da, um schnöden Vorteils willen mich dem ersten besten für dreißig Soldi preiszugeben? Höher aber kann mich in Venedig niemand einschätzen, wenn er mich in diesem Hause sieht. Übrigens fühle ich keinen Beruf, mich zu prostituieren!“
Eine Unterhaltung solcher Art ist nicht lustig, sie vergoß Tränen, und das Bild ihrer Traurigkeit im Verein mit der elenden Umgebung, die ich vor Augen hatte, war nicht danach angetan, meine Liebe wieder zu erwecken. Beim Abschied versprach ich ihr, wiederzukommen, und drückte ihr dabei zwölf Zechinen in die Hand. Sie war erstaunt über eine derartige Summe, niemals hatte sie sich so reich gesehen. Ich habe stets bedauert, ihr nicht das Doppelte gegeben zu haben.
Am nächsten Tage besuchte P. C. mich und sagte mit freudestrahlendem Gesicht, seine Mutter habe ihrer Tochter erlaubt, mit ihm in die Oper zu gehen; die Kleine sei ganz entzückt davon, weil sie noch niemals dort gewesen sei, und wenn es mir Vergnügen mache, könne ich sie irgendwo erwarten.
„Aber weiß Ihre Schwester denn, daß Sie mich als Teilnehmer zulassen wollen?“
„Sie freut sich schon darauf.“
„Und Ihre Frau Mutter? Weiß die es?“
„Nein; aber wenn sie es erfahren sollte, wird es ihr nicht unangenehm sein, denn Sie haben ihr hohe Achtung eingeflößt.“
„Ich will versuchen, eine Loge zu beschaffen.“
„Vortrefflich. Erwarten Sie uns da und da.“
Der Bursche sprach nicht mehr von Wechseln. Da er sah, daß ich seiner Dame nicht mehr den Hof machte, dagegen in seine Schwester verliebt war, so hatte er den schönen Plan ausgeheckt, mir diese zu verkaufen. Ich beklagte Mutter und Tochter, die einem solchen Subjekt ihr Vertrauen Schenkten, aber ich war nicht tugendhaft genug, die Einladung abzulehnen. Ich überredete mich sogar, daß ich, eben weil ich C. C. liebte, die Einladung annehmen müßte, um sie vor anderen Hinterhalten zu bewahren; denn wenn ich abgelehnt hätte, so würde er vielleicht einen weniger Gewissenhaften und Feinfühlenden gefunden haben, und dieser Gedanke war mir unerträglich. Mir schien, von meiner Seite hätte sie keinerlei Gefahr zu besorgen.
Ich mietete eine Loge in der Oper San Samuele und erwartete sie lange vor der festgesetzten Zeit am verabredeten Orte. Sie kamen, und der Anblick meiner jungen Freundin entzückte mich. Sie war elegant maskiert, und ihr Bruder trug seine Uniform. Um das reizende Mädchen nicht der Gefahr auszusetzen, daß sie als Begleiterin ihres Bruders erkannt würde, ließ ich sie schnell in meine Gondel einsteigen. Er bat mich, ihn bei der Wohnung seiner Geliebten abzusetzen; sie wäre krank; wir möchten nur in unsere Loge gehen, er würde nachkommen. Zu meinem Erstaunen bekundete C. C. weder Überraschung noch Widerstreben, mit mir allein in der Gondel zu bleiben; über das Verschwinden ihres Bruders wunderte ich mich jedoch durchaus nicht, denn er verfolgte dabei offenbar seine Absichten. Ich sagte C. C., wir wollten bis zum Beginn der Vorstellung spazieren fahren; bei der starken Hitze müßte sie die Maske abnehmen. Dies tat sie denn auch augenblicklich. Ich hatte mir die Pflicht auferlegt, ihre Unschuld zu achten, und die edle Zuversicht, die aus ihren schönen Zügen und aus ihren vertrauensvollen Blicken leuchtete, die unschuldige Freude, die sie kundgab – dies alles vermehrte noch meine Liebe zu ihr.
Natürlich konnte ich ihr nur von meiner Liebe sprechen, da aber dies ein heikler Punkt war, so wußte ich nicht, was ich sagen sollte; ich begnügte mich daher damit, ihr reizendes Gesicht zu betrachten, denn aus Furcht, ihre Schamhaftigkeit zu beunruhigen, wagte ich nicht, meine Blicke auf zwei knospende Halbkugeln zu heften, die von den Liebesgöttern selber gerundet waren.
„Erzählen Sie mir doch irgend was!“ rief sie; „Sie sehen mich ja nur immerfort an und sagen kein Wort; Sie bringen mir heute ein Opfer, denn mein Bruder hätte Sie sonst zu seiner Dame mitgenommen, die nach seiner Schilderung schön wie ein Engel sein muß.“
„Ich habe die Dame gesehen.“
„Sie muß sehr geistvoll sein.“
„Das mag sein. Ich habe davon nichts bemerken können, denn ich war niemals bei ihr, und habe auch nicht die Absicht, sie je zu besuchen. Glauben Sie also ja nicht, schöne C., daß ich Ihnen das geringste Opfer bringe!“
„Ich glaubte es; denn da Sie nicht sprachen, so dachte ich, Sie seien traurig.“
„Wenn ich nicht zu Ihnen spreche, so geschieht es vor Bewegung über das Glück, das Ihr engelhaftes Vertrauen mir bereitet.“
„Das freut mich außerordentlich. Aber wie sollte ich denn nicht Vertrauen zu Ihnen haben? Ich fühle mich bei Ihnen freier und viel sicherer als in Gegenwart meines Bruders. Meine Mutter selber sagt, man könne sich in Ihnen nicht täuschen, und Sie seien ganz gewiß ein hochanständiger Mann. Übrigens sind Sie unverheiratet; das war das erste, wonach ich meinen Bruder fragte. Erinnern Sie sich Ihrer Worte, Sie beneideten den, der mich zur Frau bekommen würde, um sein Glück? Ich sagte in demselben Augenblick, das Mädchen, das Sie einmal zum Gatten erhalte, werde die glücklichste Frau in ganz Venedig sein.“
Diese Worte, die sie mit der unbefangensten Naivität und in einem von Herzen kommenden Ton der Aufrichtigkeit sagte, machten auf mich einen Eindruck, den ich schwer beschreiben kann. Leider konnte ich nicht wagen, den zärtlichsten Kuß auf die Rosenlippen zu drücken, die diese Worte ausgesprochen hatten; zugleich aber empfand ich einen köstlichen Genuß, mich von diesem Engel geliebt zu sehen.
„Da also unsere Gefühle so übereinstimmen“, sagte ich, „so könnten wir, liebenswürdige C., das vollkommenste Glück erlangen, wenn wir untrennbar verbunden werden könnten. Aber ich könnte ja Ihr Vater sein!“
„Sie mein Vater! Welch ein Unsinn! Wissen Sie denn nicht, daß ich vierzehn Jahre alt bin.“
„Und wissen Sie nicht, daß ich achtundzwanzig zähle?“
„Nun, welcher Mann Ihres Alters hätte wohl ein Kind, so alt wie ich! Ich muß lachen, wenn ich daran denke, daß ich ganz gewiß niemals Angst vor meinem Vater haben würde, wenn er Ihnen ähnlich sähe. Ich könnte mich dann ihm gegenüber gar nicht mehr zurückhalten!“
Da es Zeit war, ins Theater zu gehen, so verließen wir die Gondel. Die Vorstellung nahm sie ganz und gar in Anspruch. Ihr Bruder erschien erst gegen Ende; so paßte es ihm in seinen Plan. Ich gab ihnen ein Abendessen in einem Gasthof, und über dem Vergnügen, das reizende Kind mit sehr gutem Appetit essen zu sehen, vergaß ich ganz, daß ich nicht zu Mittag gegessen hatte. Ich sprach während der ganzen Mahlzeit fast kein Wort, denn ich war liebeskrank und in einem Zustande der Erregung, der unmöglich lange dauern konnte. Zur Entschuldigung meines Schweigens schützte ich Zahnschmerzen vor; sie bedauerten mich und ließen mich schweigen.
Nach dem Essen sagte P. zu seiner Schwester, ich sei in sie verliebt und würde Erleichterung verspüren, wenn sie mir erlaubte, sie zu küssen. Ihre ganze Antwort bestand darin, daß sie mit lachenden, kußheischenden Lippen sich mir zuwandte. Ich glühte; aber ich hatte solche Achtung vor dem unschuldigen ahnungslosen Geschöpf, daß ich sie nur auf die Wange küßte, noch dazu auf anscheinend ganz kalte Art.
„Was ist das für ein Kuß!“ rief da aber P. „Vorwärts, vorwärts, einen tüchtigen Liebeskuß!“
Ich rührte mich nicht; der schamlose Kuppler war mir lästig. Aber seine Schwester wandte den Kopf zur Seite und sagte traurig: „Dränge ihn nicht, ich habe nicht das Glück, ihm zu gefallen!“
Dieser Ausdruck brachte meine ganze Verliebtheit in Aufruhr; ich verlor die Selbstbeherrschung und rief feurig: „Wie, schöne C.? Sie wollen meine Zurückhaltung nicht dem Gefühl zuschreiben, das Sie mir eingeflößt haben? Sie glauben, Sie gefallen mir nicht? Wenn es nur eines Kusses bedarf, um Sie darüber zu beruhigen, so empfangen Sie ihn als Zeichen der innigen Gefühle, die ich für Sie empfinde.“
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