Als Nigel ihn hinausbegleitete, knarrte die Tür wieder. Nach der Dämmerbeleuchtung im gräflichen Raum wirkte das trübe Licht der Treppe wie eine Festbeleuchtung. Und der neblige Herbsttag im Freien kam ihm nach dem Aufenthalt in der Festung wie ein unvermuteter Aufenthalt an der Riviera vor.
Mit weiten Schritten eilte Blake den steilen Pfad hinunter ins Dorf. Im Augenblick hatte er nur an einer der schottischen Besonderheiten Interesse. An einem wohlgefüllten Glas Whisky, das kein stilloser Gastronom mit Wasser, Soda oder gar Eis verschandeln durfte.
Mit einem Vorgeschmack des bräunlichen Elixiers auf der Zunge schob er sich an die Theke des › Wallace Inn ‹ und sah sich mit einem weiteren persönlichen Problem konfrontiert. Wie sollte er in dem Nest an ein Päckchen Benson & Hedges kommen, wenn auch seine Reserve aus dem Koffer aufgebraucht war?
Doch ehe er mit dem Wirt über seine Wünsche sprechen konnte, schob ihm dieser ein stilvolles Lederkästchen mit dem Wappen des Earl of Ross über die Theke.
»Das wurde für Sie abgegeben, Sir.«
Inspektor Blake klappte den Deckel auf. In dem mit rotem Samt ausgeschlagenen Kästchen lagen seine Zigaretten.
Sein Wunsch nach einem friedliches Glas Whisky war wie weggeblasen. Der Inspektor wusste genau, dass ihn niemand auf seinem Rückweg überholt hatte.

Kapitel 9
D
urch sein mehr als ausgiebiges Frühstück friedlich gestimmt, setzte sich Sergeant Cyril McGinnis kurz nach Inspektor Blakes Aufbruch weisungsgemäß in Richtung Tatort in Bewegung. Bei Tageslicht betrachtet sah die Sache schon ganz anders aus. Den Detective Sergeant quälte das schlechte Gewissen, weil er in der Nacht gekniffen hatte. Wenn die Leiche jetzt nicht mehr an ihrem Platz lag, konnte er sich den aufkommenden Ärger direkt ausmalen. Sein Vorgesetzter würde äußerst stinkig reagieren. Es hatte ihm noch nie zum Vorteil gereicht, wenn sich Blake seinetwegen beim Chief Superintendent verantworten musste.
McGinnis schätzte die Distanz zur Monterey-Zypressengruppe und entschied sich nicht zu laufen, sondern den Land Rover zu nehmen. Acht lange Jahre hatte er in London Streifendienst gemacht und wenn er dabei eines gelernt hatte, dann, dass Laufen gar nicht so gesund war, wie allgemein behauptet.
So nah wie nur möglich lenkte er den schweren Geländewagen an die Fundstelle heran. Er suchte sich eine Stelle, von der er nach menschlichem Ermessen davon ausgehen konnte, dass das Fahrzeug nicht auf Nimmerwiedersehen im Moor versinken würde. Es machte sich in der Personalakte nicht gut, schlecht mit Dienstfahrzeugen umzugehen. Er wusste das aus eigener Erfahrung nur zu gut. McGinnis konnte sich vor allem das dumme Gerede der Kollegen ausmalen, wenn er eingestehen musste, einen erst sechs Monate alten Range Rover auf Nimmerwiedersehen in einem schottischen Moor versenkt zu haben. Allein das ließ ihn achtsam sein.
Es erstaunte ihn, dass jemand neben der Leiche hockte und ihm freundlich zuwinkte. McGinnis erkannte ihn sofort. Es war der junge Mann, der mit ihm im › Wallace Inn ‹ wohnte.
»Was machen denn hier?« erkundigte er sich. Dabei fiel dem Sergeant ein, dass er den Mann beim Frühstück gar nicht gesehen hatte. Jedoch hatte er sich dabei nichts weiter gedacht, denn es war letzte Nacht recht spät geworden.
»Als guter Staatsbürger habe ich Ihnen ihren Job abgenommen, und heute Nacht auf den toten Mister Gaskell aufgepasst. Stellen Sie sich nur vor, Sie hätten ihn nicht mehr vorgefunden.« Ein Schmunzeln zeigte sich auf seinem Gesicht. »Was glauben Sie, was das für einen Skandal verursacht hätte?«
Auch wenn der Sergeant sichtlich erleichtert über das Vorhandensein der Leiche war, kamen ihm Bedenken. Allerdings konnte er sich an keine Dienstvorschrift erinnern, in der das unaufgeforderte Bewachen eines Corpus Delicti durch eine nicht autorisierte Zivilperson geregelt war.
Der junge Mann schien ihm seine Bedenken anzusehen.
»Jetzt machen Sie sich mal keine Gedanken. Es bleibt unter uns, Sergeant«, versprach er mit einem fröhlichen Lachen. »Ich selbst bin ja auch etwas erstaunt über die Art und Weise, mit der Ihr Vorgesetzter die Untersuchung führt.« Er grinste. »Aber das ist schließlich seine Sache und soll nicht mein Problem sein.«
Der Sergeant wurde jetzt sichtlich ruhiger. Am Ende siegte bei ihm aber doch die Pflicht, die er mit einem Schuss Höflichkeit würzte.
»Ich danke Ihnen. Muss eine harte Nacht für Sie gewesen sein. Sie wirken etwas mitgenommen«
»Damit haben sie völlig recht, Sergeant. Na ja, ich kann mich ja gleich ein wenig hinlegen«, griente der junge Mann.
»Sagen Sie, wer sind Sie eigentlich, und was hat Sie in diesen scheußlichen Landstrich verschlagen?« erkundige sich Cyril McGinnis.
»Mein Name ist Terry Prescott, und wenn Sie noch nie etwas von mir gehört haben, dann liegt das weder an mir noch an Ihnen. Ich bin seit etwa zehn Tagen hier und werde wohl auch noch einige Zeit in der Gegend hängen bleiben. Wenn es Sie interessiert, Sergeant, ich beobachte das Verhalten einiger seltenen Moorentenarten bei der Futtersuche. Ist ein interesantes Gebiet. Na ja, sicher nicht für jeden, aber für mich zumindest.«
Dem Detective Sergeant war es gleich, was Wissenschaftler so trieben. In seinen Augen waren sie alle Tagediebe, die nichts besseres mit sich anzufangen wussten als dicke, völlig unverständliche Bücher zu schreiben, im Wissen, dass diese wiederum, dann andere Wissenschaftler im Schweiße ihres Angesichts lesen mussten. Aber er wollte sich von seiner gutmütigen Seite zeigen.
»Ich muss fairerweise gestehen, dass es nur eines geben würde, was mich an diesen Vögeln interessiert« Jetzt musste auch McGinnis lächeln. »Wie man sie am besten auf den Grillrost packen kann. Aber mal im Ernst, was muss man denn anstellen, um sie zu beobachten?«
»Nun, das ist eine etwas komplizierte Angelegenheit«, erklärte Terry Prescott ausweichend. »Ich werde es Ihnen ein anderes Mal erklären, wenn Sie möchten. Im Augenblick bin ich einfach zu müde.« Prescott gähnte betont. »Immerhin habe ich mir die Nacht mit einer Leiche um die Ohren geschlagen.« Er streckte seine Arme weit von sich. »Wenn Sie noch ein wenig Zeitvertreib suchen, dann werfen Sie doch noch ein paar Mal Ihren Anker aus, Sergeant. Das Moorloch hier ist, wie übrigens alle in dieser Gegend, sehr bemerkenswert. Es ist keineswegs grundlos. Unten liegt lediglich ein wenig Schlick, aber dann folgt eine Felsplatte. Und wenn schon mal etwas hineingefallen ist, dann müsste es sich finden lassen. Alles Gute, Sergeant.«
Prescott schüttelte McGinnis noch die Hand und machte sich auf den Weg zur Pension.
Wenn ihm der junge Mann nichts über sein Schaffen verraten wollte, dachte der Sergeant, dann werde ich ihn nicht drängen. Und um sich etwas die Zeit bis zum Eintreffen des Leichenwagens zu vertreiben, holte er sich die Leine mit dem vierarmigen Haken aus dem Land Rover. Dann begann er gezielt in der schwarzbraunen Brühe zu fischen. Im Rahmen seiner Ausbildung hatte er auch Dienst bei der Flusspolizei machen müssen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, sich beim Bergen seiner ersten Wasserleiche übergeben zu haben. Bis heute verstand er nicht, dass es unter seinen Kollegen tatsächlich welche gab, die damit nicht das geringste Problem hatten. Immerhin wusste er von damals, wie man gezielt nach Wasserleichen suchte.
Trotz seiner mächtigen Pranken steckte eine unerwartete Sensibilität in seinen Fingern. Ein leichter Ruck am Seil genügte und er konnte bereits am Widerstand spüren, was der Haken gegriffen hatte.
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