Ferdl und Jürgen bestätigten das alles so im Wesentlichen.
Die Nachbarn wussten nicht viel über Haberkorn. Er war unauffällig und freundlich gewesen. Er wohnte schon ewig da im Haus. Niemand berichtete über Ärger mit Haberkorns Gewohnheiten. Es hatte nie aus der Wohnung gestunken, es hatte nie Müll im Stiegenhaus gegeben. Alle behaupteten, dass sie sich noch nie über Haberkorn beschwert hätten, warum auch? Hermine Intschak, die Nachbarin von gegenüber, bestätigte, dass der Rauchfangkehrer nach der Kontrolle bei ihr auch an Haberkorns Tür geläutet hatte; ob Haberkorn geöffnet hatte, hatte sie nicht mehr beobachten können, weil sie ihre Wohnungstür schon geschlossen hatte.
Beatrix ließ ihre Mitarbeiter bei der Hausverwaltung und bei den Gerichten erheben, ob es eine Aufkündigung gegen Haberkorn als Mieter gegeben hatte. Das war offenbar nicht der Fall. Dass ein Vermieter morden würde, um einen missliebigen Mieter loszuwerden, hielt Beatrix ja nun doch für unwahrscheinlich.
Lauter tote Spuren. Es blieb nichts übrig, als sich mit Haberkorns engsten Freunden, den Schätzen in seiner Wohnung, näher zu befassen. Am späten Nachmittag des Tages nach der Tat begannen Beatrix und ihre Mitarbeiter, die Stapel im Reich des Ernst Haberkorn durchzuschauen.
Am Freitag Vormittag hatten sie das Vorzimmer, die Küche und den Wohnraum fertig aufgearbeitet, es fehlten aber immer noch das prall gefüllte Schlafzimmer und ein hinterer Raum, dessen Bestimmung nicht leicht zu erkennen war. Die Arbeit ging langsam voran, da die Kriminaltechniker zunächst jedes Stück zu sehen bekommen mussten, um zu entscheiden, ob darauf doch irgendwelche Spuren gesichert werden sollten. Es gab einfach Unmengen an Papier, Beatrix hatte Zeitungsausschnitte von 1989 gefunden. Darin ging es um Batterienrecycling, Lokalkritiken und andere Themen, deren Bedeutung nach diesem langen Zeitraum Beatrix nicht ansatzweise verstehen konnte. Sie selbst gehörte zu den Menschen, die gnadenlos alles wegschmeißen, was sie in den letzten zwei Wochen nicht verwendet haben. Die Arbeit machte ihr auch persönlich wenig Freude. Ihr altbekannter nervöser Schnupfen hatte sich wieder eingestellt, und der Staub zwischen den gestapelten Sachen brachte sie häufig zum Husten.
Der letzte Fund im ohnehin beengten Badezimmer war eine Sammlung von fünf oder sechs Spirituosenflaschen gewesen, von denen jede noch etwa einen Fingerbreit hoch Schnaps enthielt. An Gurkengläsern hatten sie bisher etwa vierzig Stück gefunden, alle mehr oder weniger gefüllt mit Münzen; Beatrix hatte einen Sachverständigen beauftragt, den Wert zu erheben, er konnte aber erst am Montag vorbeikommen. Als sie gerade begonnen hatte, einen der ersten Stapel im viel zu großen Schlafzimmer aufzutun, klingelte ihr Handy; es war ein vom Büro weitergeleiteter Anruf.
„Guten Tag! Mein Name ist … Hören Sie mich? Ja, also, hier spricht Edgar Schubert, ich bin der Gerichtskommissär in der Verlassenschaftssache nach Ernst Haberkorn... Können Sie mich verstehen?“
„Ja, Hellinger, Landeskriminalamt, bitte? Was kann ich für Sie tun?“
„Es geht um das Verlassenschaftsverfahren. Es ist meine Pflicht, in dieser Sache die Todesfallaufnahme durchzuführen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie die Wohnung schon für die Amtshandlung freigeben?“
„Was meinen Sie damit?“
„Es ist vom Gesetz vorgesehen, dass ich die Wohnung des Verstorbenen betrete und dort erhebe, was es an Vermögensgegenständen gibt.“
„Aha. Also, wir sind noch mitten in den Erhebungen. Die Wohnung ist doch eher … wie soll ich sagen … es gibt hier einiges an Sachen, die wir uns anschauen müssen.“
„Ja... Wann ist denn damit zu rechnen, dass ich die Wohnung betreten kann?“
„Das wird bestimmt noch ein paar Tage dauern. Aber gut, dass Sie anrufen. Wie schaut es denn mit einer Erbschaft aus?“
„Ich habe das Grundbuch und das Firmenbuch abgefragt, hier scheint Herr Haberkorn keine Vermögenswerte gehabt zu haben.“
„Und wenn noch etwas auftaucht? Wer würde das bekommen?“
„Nach meinem bisherigen Wissensstand gibt es ein Testament, und es gibt die gesetzliche Erbin, Frau Ilse Schneider...“
„Und was heißt das konkret?“
„Es gibt eine Alleinbegünstigte nach dem Testament. Vielleicht kennen Sie sie ja schon. Frau Iwona Bielinska. Das ist sehr bitter für Frau Schneider.“
„Wieso?“
„Die Seitenlinie gehört nach der geltenden Rechtslage nicht zu den Noterben.“
„Das heißt?“
„Die Schwester gehört nicht zu den Aszendenten oder Deszendenten und hat daher keinen Anspruch auf einen Pflichtteil, falls das Testament gültig sein sollte.“
„Gut, jetzt habe ich das wohl verstanden. Gibt es denn Hinweise darauf, dass das Testament ungültig sein könnte?“
„Das würde ich nicht sagen.“
„Danke. Gut, Herr Doktor. Ich notiere Ihre Nummer. Sobald wir die Wohnung freigeben, werden wir Sie anrufen. Ihr … Termin muss dann aber in meiner Anwesenheit durchgeführt werden.“ Todesfalldingsbums, dachte Beatrix und legte auf.
Am späten Nachmittag hatte sich Beatrix mit Kramer und Putzy im Schlafzimmer vorangearbeitet. Je tiefer sie in die Wohnung vordrangen, desto voller schienen die Zimmer zu werden. Als sie mit dem Schlafzimmer begonnen hatten, hatte es nur einen schmalen Pfad von der Tür zum Schlafplatz gegeben, ansonsten stapelte sich das Zeug hüfthoch. Jetzt gegen Abend hatten sie diesen Pfad am Eingang zu einer breiten Lichtung erweitert, dafür füllte sich das angrenzende Wohnzimmer bedenklich mit jenen Gegenständen, die sie bereits durchgeschaut hatten. Gleich neben der Eingangstür des Schlafzimmers hatte sich Beatrix durch etwa zehn Jahrgänge des STRASSENBAHN MAGAZINs gearbeitet, das letzte archivierte Heft war von 2008. Daneben fanden sich Haufen von Kleidung, wieder durchmischt mit Hemden, die noch in der Plastikfolie steckten. Beatrix arbeitete gerade an einem Stapel Heimwerkerprospekte, als vom Bett ein Aufschrei kam. Dort hatte sich Kramer in das Innere des Nachttischkästchens vorgearbeitet. „Chefin! Es ist Gold!“
„Wie bitte?“
„Das sind jetzt mal richtige Münzen. Goldmünzen und Silbermünzen. Es ist eine ganze Mappe.“
Kramer hielt einen Büroordner in der Hand, er schien schwer zu sein. In Plastikschutzfolien waren ordentlich verschiedene Münzen eingeordnet.
„Schaut es vollständig aus?“
Kramer blätterte vorsichtig mit seinen behandschuhten Händen durch.
„Schwer zu sagen, es gibt ja keine Seitenzahlen oder so. Aber ich sehe keinen direkten Hinweis, dass etwas herausgerissen worden wäre.“
„Gib her. Wir nehmen das auf jeden Fall gleich mit.“
Beatrix stieg über das Gerümpel und setzte sich kurz mit der Mappe in die Küche, nachdem die Techniker darüber gegangen waren. Sie war todmüde. Es war angenehm, ein paar Minuten lang die fein geschnittenen Kaiserköpfe, Wappentiere und Musikinstrumente auf den Münzen zu betrachten. Es schien immer noch eine Welt zu geben, in der die Dinge so waren, wie sie sein sollten. Dann schickte sie Kramer mit der Mappe ins Amt und fing an, sich durch die fast leeren Cremetiegel im Schlafzimmerregal zu arbeiten.
Am Montag sah es sich der Münzensachverständige an. Wert der Gurkengläser: Voraussichtlich null, also fast. Wert der Mappe: Etwa 30.000, genauer Bericht folgt, wenn er alles ausgerechnet hat.
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