Was ist? Tara dreht sich auf den Rücken, ich verlasse sie, sie packt mein Rohr, steckt es an seinen Platz zurück. Komm! Sieh mich an!
Die 797 durchschoss ein paar Dutzend Meilen Luftraum, ohne dass einer von uns etwas sagte. Darf ich was fragen, meldete ich mich schließlich zu Wort.
Nicole nickte. Ich fühlte mich ermutigt: Lenki und diese Tara – die sind identisch?
Darauf kannst du einen lassen.
Aha. Zwei Namen für eine Person. Wozu machst du es deinen Lesern so schwer?
Leser? Was denn für Leser? Es gibt keine Leser. Es braucht keine. Es gibt nur Tara. Tara alias Lenki alias Mbele alias Danay. Lenki war ihr Spitzname. Den bekam sie von mir. Geboren ist sie in Uganda, als Mbele. Davor, bei ihrer brasilianischen Adoptivfamilie, hieß sie Danay. Tara hat sie sich später selbst genannt. Das war ihre Entscheidung. Tara. Wie das Gewicht der Welt nur ohne Welt. War’s das?
Und sie ist Jüdin?
Nicole schüttelte nickend den Kopf.
Noch jemand aus dem Club?
Vielleicht seine Ehrenvorsitzende. Jedenfalls zu kompliziert, um es in ein paar Sätzen zu sagen. Du willst den Kram nicht lesen – ist okay für mich. Also, wenn du keine weiteren Fragen hast, lass uns jetzt schlafen. Du wirst deinen Schönheitsschlaf brauchen. Oder willst du bei deiner Rede zum 100. Jahrestag der Bücherverbrennung aussehen wie einer, der damals das Streichholz besorgt hat?
Warum diese – na ja, Direktheit? Du glaubst doch nicht, ich schreibe einen Porno für dich. So nämlich klingt es. Es verletzt jeden Anstand. Ich muss an mein Image denken. Für kein Geld der Welt versaue ich meine Karriere mit solchem – Schweinkram.
Wie gesagt. Es ist meine Perspektive. Was dabei rauskommt, wenn du es aus Taras Sicht erzählst, wird man ja sehen.
Was ich gelesen habe – ich zeigte auf das Tablet – ist, was es ist. Egal aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Ein, ähm, wie nennt man es …?
Arschfick bleibt Arschfick – willst du das sagen?
Herrje. Ängstlich sah ich mich um, senkte die Stimme, Ich dachte, es geht um Liebe.
Klar geht’s um die, nickte Nicole. Dann schüttelte sie den Kopf: Es geht nicht um Liebe. Es gibt keine Liebe.
Es geht um Liebe – und auch wieder nicht?
Vielleicht.
Das nächste Problem! Zu viele Namen – kein klares Thema.
Es gibt keine Liebe, sagte Nicole, nicht nach Ausschwitz. Sie wirkte ernst. Nach einer Pause fügte sie hinzu: Adorno. Schon mal gehört? Theodor Wiesengrund Adorno. Ein ziemlich Großer. Er sagte: Es gibt keine Poesie nach Auschwitz.
Ja, weiß ich, hat er gesagt. Später hat er das relativiert.
Um es im Grunde noch radikaler zu postulieren. Ich darf zitieren: Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen.
Chapeau, da kennt einer …
… seine Horkheimer. Korrekt. Adorno wusste vielleicht nicht, wo das Reflexivpronomen hingehört. Aber was Sache ist, hat er gepeilt: Wo Leben moralisch nicht mehr möglich ist, muss Liebe von vornherein amoralisch sein. Nur als Pornografie kann sie noch funktionieren.
Holla. Und deshalb jetzt dieser – Schund? Mir scheint, als ob du dir da was vormachst.
Ach ja?
Du nutzt einen Vertreter der Frankfurter Schule als Rechtfertigung für einen, sagen wir mal, leicht pennälerhaften Blick auf die Liebe.
Die Liebe?
Nähe, Beziehung, das ganze Zeug.
Pennälerhaft? Sagt wer? Der verklemmte Jungautor, der sich weigert, einer alten Dame seinen Lurch zu zeigen, damit sie weiß, ob er verfickt nochmal beschnitten ist?
Nicht das jetzt wieder! Geräuschvoll riss ich die Klappe über dem Fenster auf und betrachtete die Sterne. In was war ich da reingerasselt. Prüften diese Fluggesellschaften denn nicht, ob ihre Passagiere noch alle Tassen im Schrank hatten?
Du bist ein ganz Hübscher, hörte ich Nicole gurren, Du schaust dir die Sterne an, dabei ist deine Anmut kein geringeres Wunder, Miguel Calderon Gutiérrez.
Ich seufzte. Sie muss es als Zeichen der Zustimmung verkannt haben, denn sie wurde umgehend wieder kess: Was ist, schöner Bengel, zeigst du der Lady deinen Schwengel?
Laut stöhnend kniff ich die Augen zusammen so fest ich konnte. Der Grad der Peinlichkeit hatte ein Niveau erreicht, dem mit Worten kaum beizukommen war. Auge um Auge, Übergriff um Übergriff. Ich leerte ihren Whiskey in einem Zug, knallte das leere Glas, unter dem noch mein Becher klebte, auf ihren Klapptisch zurück und schüttelte mich: Brrrr!!!!
Gilt dieses Brrr! dem Whiskey oder meinem Ansinnen, mit dir aufs Klo zu gehen?
Warum ich! Ausgerechnet ICH! Ich bin nicht der einzige südamerikanische Jungschriftsteller. Nicht mal der einzige mit semitischer Cuvée im Genmix. Angehende Autoren gibt es wie Sa …
… gen wir lieber Altersflecken auf einer Greisinnen-Haut? Wie du siehst – ich bewahre dich vor Stereotypen. Ich bringe dir schreiben bei. Du solltest dankbar sein!
WARUM ICH?
Hab ich doch schon gesagt. Ich mag dein Buch. Dreiundzwanzig Stories über Nine Eleven. Für jemanden, der, als das geschah, noch nicht einmal Mamita sagen konnte, geschweige denn laufen, eine recht beachtliche Fantasieleistung.
Danke. Gibt es eine Geschichte, die dir besonders gefiel? Eine Art Lieblingsepisode? Wenn ja – welche?
Nicole griff nach dem Trinkgefäß, sah, dass es leer war, stellte es zurück auf seinen Platz. Während sie sprach, trennte sie ihren Becher von meinem, Ich fand sie alle gut. Eine besser als die andere. Wirklich. Ich war begeistert. Von jeder einzelnen.
Sehr schmeichelhaft. Aber man hat doch immer irgendwelche Favoriten.
Na ja, da war … diese eine … wo, du weißt schon, mit den zwei, äh …
Video-Jungs? Die zwei aus Soho, die einen auf Num June Paik machen?
Ja, genau. Die besonders. Die mit den Video-Jungs. Wie war das noch mal?
Na ja – die beiden installieren Ihre Videokunst in Fenstern, so dünn, dass man sie nicht als Monitore erkennt. Trompe-l’œil 2.0. Es geht ihnen darum, wie die Menschen auf die Täuschung reagieren. Einmal filmen sie ein Bewerbungsgespräch von einer jungen Frau im achtunddreißigsten Stock des Sony Buildings. Die Bewerberin schaut, während sie die Fragen des HR Managers beantwortet zum Fenster. Plötzlich sieht sie dort King Kong zwischen den Wolkenkratzern spazieren und mächtig Chaos anrichten. Menschen wirbeln durch die Luft, Autos werden geknackt wie Paranüsse. Die Bewerberin bekommt Panik, weiß nicht, ob sie den Sony-Mann warnen soll oder einfach weglaufen. Sie hat keine Ahnung, dass die Fenster Bildschirme sind. Dieses Video geht viral. Die Jungs werden berühmt. Alle möglichen Firmen machen sich an sie ran. Die zwei lassen in der Folge UFOs landen, Tsunamis rollen, und eines Tages präsentieren sie vor der USA Marsh, wie man Investoren sensibilisieren kann für Themen wie Insurance Broking und Risk Management etc. Na ja, am Tag, als die Präsentation im 93. Stock stattfinden soll, stimmt was nicht mit dem Konferenzraum. Sie werden umquartiert in einen Konfi auf Stockwerk 100 und schaffen es nicht mehr, die Fenster rechtzeitig gegen ihre Monitore auszutauschen. Die zwölf Marketingmanager in ihren Maßanzügen wissen das aber nicht. Als sich ein riesiges Flugzeug den Fenstern nähert, erschrecken sie erst, grinsen dann breit, erheben sich schließlich wie ein Mann von ihren Sitzen und klatschen begeistert. Es wird ihr letzter Applaus, ist ihre letzte Präsentation. Natürlich auch für die Video-Jungs aus Soho. War es die?
Ja, genau. Das war super. Meine absolute Lieblingsgeschichte.
Tja. Meine auch. Dumm nur, dass ich sie mir gerade ausgedacht habe. Die war nicht drin im Erzählband. Kein Verlag, der einen Ruf zu verlieren hat, würde so einen Schwachsinn drucken. Du lügst mich an. Du hast Below Zero nie gelesen. Nicht eine Zeile. Du belügst dich selbst. Das merkt man an deinem Text. Es läuft nicht. Nicht so jedenfalls.
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