Etwas in dieser Richtung gab ich der Frau zu verstehen. Sie steckte das Tablet weg. Pikiert wischte sie sich eine Strähne aus der Stirn und murmelte säuerlich: Nun gut. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. So soll es sein.
Was um Himmelswillen – WAR das, schnappte ich.
Mein Schwanz natürlich. Meine Gurke. Mein Penis. Damals. Zu den tristen Zeiten, als er noch dran war. Als er und ich noch im selben Team spielten. Mein Rohr. Gott hab es selig. Erst ohne, dann mit, dann wieder ohne Beschneidung. Mal so mal so. Verstehen Sie, wovon ich rede?
Oh, ich verstand! Fieberhaft suchte mein Blick nach einer Stewardess um zu fragen, ob sie mich umsetzen könne. Ich griff nach dem Knopf über mir, aber die Chancen, möglichst viele Sitzreihen zwischen mich und diesen Freak zu kriegen, standen denkbar schlecht. Der Flug war fast ausgebucht. Nur in der ersten Klasse gab es noch ein paar wenige freie Plätze. Scheiß drauf. Es wäre die Investition wert gewesen.
Schlapp erwiderte ich den Druck der mir dargebotenen Hand, Nicole Fischer, sagte das Etwas. Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ja, Miguelito. Ich war mal ein Mann – wie Sie. Oder sagen wir du – jetzt, wo wir so viel voneinander wissen?
Skeptisch sah ich sie an. Was wusste sie tatsächlich? Sie zeigte auf meinen Schritt, wischte eine Strähne aus der Stirn und gurrte, Mein Penis und ich – wir gehen jetzt getrennte Wege. Er nach da – ich nach dort. Sie zeigte zu Boden, unter dem sich in dreißigtausend Fuß Tiefe der in kosmisches Schwarz getauchte Atlantik ausbreitete, die große Kloake, in der früher oder später landete, was nicht mehr gebraucht wurde. Dann zeigte sie nach oben, wohin wir, glaubt man den Religionen, einziehen, wenn auch wir nicht mehr gebraucht werden. Also, junger Freund, sagte diese, hm, Nicole, die vielleicht mal Jürgen oder Manfred gewesen war – sei gewarnt! Falls du nämlich unbeschnitten bist und vorhast, diesen Schritt zu gehen, wozu ich dir unbedingt rate, dann lass einen Profi ran. Ein Mohel, der sein Handwerk draufhat, verstehst du?
Sie zeigte auf das Tablet: Das nämlich, Miguelito, kommt raus, wenn zwei verhunzte Beschneidungen und eine vergeigte Verschiebe-Plastik plus ein grottiges US-Knast-Tattoo an einem Strang ziehen und alles richtig in die Grütze geht. So wird aus einem hübschen kleinen Dödel, der meiner fraglos einmal war, ein optischer Super-GAU. Das nur zu deiner Warnung.
Danke. Ich merk es mir, log ich schief grinsend.
Nun ja. Schwamm drüber. Ich bin ihn los, diesen Pimmel, und das ist gut so. Am Ende war er ohnehin nur noch dazu gut, schlecht zu riechen und beim Pissen zu stressen. Prostata – Sie verstehen?
Na, klar.
Ich rückte soweit es ging ab von ihr. Sie roch nach Knoblauch und Airline-Merlot.
So, so, resümierte ich aus Höflichkeit, Interessant. Sie waren also mal ein Kerl und haben sich beschneiden lassen.
Zweimal, korrigierte sie. Beide Male ist was dazwischengekommen. Money is God in action wissen Sie, und history is where it goes. Jedes Mal, wenn meine Konversion die entscheidende Hürde nehmen sollte, warf Gott mir mit irgendeiner Inszenierung Knüppel zwischen die Füße. Er hat einen merkwürdigen Humor. Beim ersten Mal, als der Mohel das Messer ansetzte, fiel die Berliner Mauer. Beim zweiten Mal war Nine Eleven und die Zwillingstürme purzelten um. Immer ging irgendwas zu Bruch, wenn ich aufs Ganze gehen wollte. Schließlich nahm ich die Sache persönlich. Gott wollte mich nicht als Clubmitglied. Da gab ich es auf. Die Ereignisse von Rom konnten meine Pläne, eine ordentlich beschnittene Rute zu kriegen, schon nicht mehr durchkreuzen. Als das passierte, war ich längst eine Dame. Ich wollte nicht länger auf klassischem Weg meinen Bund bekräftigen. Ehrlich gesagt waren mir Zweifel gekommen. War es wirklich so, dass ER Männer beschnitten haben wollte? Gingen ihm Menschen nicht generell am Arsch vorbei? Hatte das Thema für IHN irgendeine Relevanz? Als Frau war ich raus aus der Nummer. Es betraf mich nicht mehr. Ich war auf der sicheren Seite. Gottlob gibt es da heute Möglichkeiten, von denen ein Abraham nur träumen konnte. Fortschritt hat eben doch sein Gutes. Ernst fügte sie hinzu: Ja, Rom, nicht wahr? Was für ein Schock! Für uns alle …
Auch ich schwieg pietätvoll. Die Erinnerung an die Katastrophe ließ mich schaudern. Das Ganze war jetzt drei Jahre her, aber der Anschlag auf die friedlichen Menschen, die auf dem Petersplatz zusammengekommen waren, um zu beten und die fatalen Umstände, wie er geschehen war, das ließ einen auch 2033 noch nicht kalt. Wie waren diese Fanatiker in den Besitz unkonventioneller Waffen gekommen? So viele Unschuldige einfach pulverisiert. Obwohl die Katastrophe von Rom eindrucksvoll belegte, wie ehrgeizig die Menschheit darauf drängte, einen neuen Weltrekord in Grausamkeit und Bestialität aufzustellen, war doch auch klar, dass dieser Anschlag nicht annähernd die Schreckensdimension erreichte, die mit dem Namen Deutschland geschichtlich verbunden war. Was das betraf, hatten die Nazis ganze Arbeit geleistet. Auschwitz war einfach nicht zu toppen. Immerhin, die Hysterie gegenüber Arabern allgemein und Moslems im Besonderen, die seit dem Angriff auf das World Trade Center Jahr für Jahr zugenommen hatte, war in Folge dieses neuen Attentats auf ein nicht für möglich gehaltenes Niveau gestiegen. Ein einziges, winziges Symbol, ein unscheinbares Zeichen islamischer Religiosität wurde inzwischen als Hinweis für eine unmittelbar bevorstehende terroristische Gefährdung gesehen. Aus dem Nichts konnte jederzeit eine Massenpanik entstehen. So wird man mir nachsehen, dass ich, als Nicole aus ihren Miedern eine in Silber und Türkis gearbeitete Fatima-Hand kramte, um sie mir umzuhängen, mit einem Aufschrei reagierte.
Als Beschnittener, sagte die Transsexuelle, während sie auf das feingliederige, aber mit der Zeit schwarz gewordene Kettchen zeigte, hätte ich auch in diesem Club was werden können. Hat mich aber nie interessiert. Schon damals als Mann fand ich den Islam dümmlich mit seiner verklemmten Jungfrauenhypostase und den pubertären Paradiesfantasien als Wichsvorlage angehender Märtyrer. Nein, was Monotheismus betrifft, empfinde ich eher wie bei Cola-Getränke – nichts schlägt das Original.
Ich fummelte mir die Kette vom Hals, um sie zurückzugeben, aber die Alte schüttelte den Kopf: Behalten Sie’s. Steht Ihnen gut. Türkis ist deine Farbe.
Ein Herr, den mein Schrei geweckt hatte, drehte sich um, und ich beeilte mich, das Machwerk aus Billigsilber unterm Pulli zu verbergen.
Also, was ist, flüsterte das Wesen, während es die Ostgrenze von Sitz 21 J, den es eigentlich gebucht hatte, gefährlich weit in Richtung 21 K übertrat: Bist du oder bist du nicht? Sag schon. Du weißt, wovon ich rede!
Es brauchte eine Viertelminute, bis ich kapierte, dass sie erneut das Beschneidungsthema am Wickel hatte beziehungsweise anschnitt, falls der Wortwitz erlaubt war. Sie hob das Kinn, Darf ich raten? Du bist – nicht!
Und wenn doch, gab ich zurück.
Wenn doch? Dann – wow! Also – bist du??
Nochmal: Was ging es diesen Freak an – was eigentlich war die weibliche Form von Freak? Freakin? Freakette – was also ging es ihn an, ob ich meine Vorhaut besaß oder nicht. Ich musste schon bitten. Waren das Themen, über die man sprach, wenn man an einem 12. Oktober den Atlantik überflog, nur weil man zufällig nebeneinandersaß auf Plätzen, die irgendein Algorithmus für einen ausgewählt hatte?
So höflich es ging, machte ich diesem Was-Auch-Immer klar, dass dem nicht so war. Jedenfalls nicht in meiner Welt.
Nicole schien nicht zuzuhören. Vermutlich war sie auf Hörgeräte angewiesen, aber zu eitel, welche zu tragen. So groß war ihre Fortschrittsliebe dann doch wieder nicht.
Komm mit aufs Klo, unterbrach sie meine Gedanken, ich will Beweise.
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